Goleo-Hersteller:Die Scheinwelt des Herrn Pfaff

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Der Nici-Chef betrieb eine blühende Schattenwirtschaft, die Mitarbeiter wussten davon nichts und pumpten Millionen in die Firma - einige stehen jetzt vor dem Ruin.

Klaus Ott und Uwe Ritzer

Als daheim die heile Plüschtierwelt zerbrach, gönnte sich Georg Vornbrunn gerade einen Urlaub in Schlesien.

Ein Mitarbeiter der Nici AG befüllt im Firmensitz des Spielwarenherstellers in Altenkunstadt das offizielle Maskottchen der Fussballweltmeisterschaft 2006, Goleo, mit Watte. (Foto: Foto: ddp)

"Ich habe sofort meine Koffer gepackt und bin nach Hause gefahren", sagt der Bürgermeister von Altenkunstadt.

Während der gesamten Rückfahrt ins Oberfränkische dachte der 49-jährige Kommunalpolitiker ungläubig darüber nach, ob denn tatsächlich sein könne, was ihm sein Mitarbeiter aus dem Rathaus per Handy mitgeteilt hatte.

Die Nachricht geht um die Welt

Die Nici AG, Hersteller von "Goleo", dem offiziellen Maskottchen der Fußball-WM, und regelmäßig nicht nur von Mitgliedern der bayerischen Staatsregierung in höchsten Tönen als Vorzeigefirma gepriesen, ist pleite.

Die Nachricht ging um die Welt, wegen "Goleo". Vier Tage nach dem Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit wirkt der Bürgermeister noch immer schockiert. "Niemand hat vorher etwas geahnt", sagt er.

Vermutlich hat sich niemand auch nur in kühnsten Träumen vorstellen können, dass in den Gebäuden der Nici AG am Ortsrand der knapp 6000 Einwohner großen Gemeinde nicht nur ein weltweit erfolgreicher Hersteller von Plüschtieren und Geschenkartikeln residiert, sondern auch eine bizarre Scheinwelt.

Darin wurden Rechnungen, Lieferscheine und Frachtpapiere für Waren ausgestellt, die es offenbar überhaupt nicht gab. Bilanzen sollen in großem Stil frisiert worden sein. Und Nici hat sogar Steuern auf Umsätze gezahlt, die es überhaupt nicht gab.

Scheinrechnungen über 55 Millionen

Die Staatsanwaltschaft in Hof verdächtigt das Unternehmen, seit dem Jahr 2000 Scheinrechnungen an Kunden über angebliche Lieferungen von Nici-Artikeln in Höhe von insgesamt 55,172 Millionen Euro geschrieben zu haben. Die Scheinrechnungen seien an so genannte Factoring-Gesellschaften weitergereicht worden, die sich vornehmlich im Besitz von Banken befinden.

Solche Finanzfirmen kaufen in großem Stil Forderungen auf, um sie später einzutreiben. Die Finanzfirmen überwiesen, so erste Ermittlungsergebnisse, 40,485 Millionen Euro an Nici. Ob dieses Geld ins Unternehmen floss, um dort die Bilanzen zu schönen, oder ob es in privaten Kanälen versickerte, ist offen.

"Das ist, wie wenn man heiße Luft in Dosen füllt, Geschenkpapier drum herum wickelt und das dann mehrmals verkauft", beschrieb der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé den Hausbanken das System.

Ein stattliches Aufgebot von Staatsanwälten und Polizeibeamten durchsuchte am Donnerstag bis in den späten Abend hinein sechs Objekte in Süddeutschland, darunter die Nici-Firmenzentrale sowie das Privathaus des Unternehmensgründers und langjährigen Vorstandschefs Ottmar Pfaff, den der Aufsichtsrat eine Woche vorher geschasst hatte.

Anschließend erstattete das Kontrollgremium Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft schlug schnell zu und beschlagnahmte nun Computer und Kisten voller Unterlagen. Die Strafverfolger ermitteln gegen Pfaff wegen Betrugsverdachts. Auch der bisherige kaufmännische Leiter von Nici steht im Verdacht, in die Manipulationen verwickelt zu sein.

Tränen und Sorge um die Aktien

Aus Ermittlerkreisen verlautete, die mutmaßlichen Betrügereien seien so komplex und raffiniert angelegt gewesen, dass unmöglich nur eine Person sie habe bewerkstelligen können. Retten soll das Unternehmen nun der Münchner Anwalt Jaffé, der Dienstagnachmittag eingesetzt worden war.

Am Abend weilte der Spezialist für knifflige Fälle bereits in Altenkunstadt, um den Betrieb aufrecht zu erhalten und die Belegschaft zu beruhigen. Bewegende Szenen spielten sich ab, eine langjährige Mitarbeiterin brach in Tränen aus, und immer wieder fragten Werksangehörige, was denn nun die Aktien noch wert seien.

Blick auf eine Nici-Shop mit dem WM-Maskottchen Goleo im Schaufenster in der Innenstadt von Frankfurt am Main. (Foto: Foto: AP)

Jaffé wunderte sich, warum die Beschäftigten beinahe mehr noch als um ihre Arbeitsplätze um die Aktien bangten, bis er nach und nach erfuhr, dass sich in der oberfränkischen Provinz eine ganz besondere Tragödie abspielt, die das Ausmaß anderer Pleiten weit übertrifft.

Die Belegschaft hat eigenes Geld in das Unternehmen gesteckt, manche Mitarbeiter haben Freunde und Verwandte überredet, das ebenfalls zu tun, und leitende Angestellte haben sich teilweise hoch verschuldet, als sie Aktien kauften. Sechs Millionen Euro flossen so in den Betrieb.

Die Beschäftigten investierten, offenbar auf Initiative von Vorstandschef Pfaff, ihren Jahresbonus; immerhin ein zusätzliches Monatsgehalt. 700.000 Euro kamen auf diese Weise für eine Wandelanleihe zusammen, die 2008 ausgezahlt werden sollte, je nach Wunsch entweder in bar oder in Form von Aktien.

Bis zu 320.000 Euro gaben sie ihrer Firma

Die Anleihe war so gut verzinst, dass Mitarbeiter gemeinsam mit Angehörigen und Freunden weitere 2,3 Millionen Euro zeichneten. Am schlimmsten trifft es knapp 20 leitende Angestellte, die sich seit Ende 2002 mit insgesamt fünf Prozent an Nici beteiligten.

178 Euro kostete eine Aktie. Zwischen 64.000 und 320.000 Euro investierten die einzelnen Führungskräfte. Sie hatten sich fast das ganze Geld zuvor bei Banken besorgt, viele von ihnen stehen nun vor dem Ruin. Die Aktien sind so gut wie nichts mehr wert.

Im Insolvenzfall werden normalerweise erst die Banken ausbezahlt. Anschließend folgen die übrigen Gläubiger, und was dann noch übrig bleibt, erhalten die Inhaber, also die Aktionäre. Meist bleibt nichts mehr übrig.

Für Thomas Riehl (Name von der Redaktion geändert) wäre das eine Katastrophe. Vor fünf Jahren ist er ins beschaulich-verschlafene Altenkunstadt am Main gekommen, das in diesem Jahr sein 1200-jähriges Bestehen feiert. "Die mir genannten Zahlen, der Teamgeist und die Atmosphäre bei Nici - das war klasse", sagt Riehl.

Er wurde sesshaft, baute ein Häuschen und wohnt dort zusammen mit Frau und Kindern. Nun sitzt er außer auf den Hypotheken für die Immobilie auf weiteren 123 000 Euro Schulden. So hoch ist das Darlehen, das er aufgenommen hat, um Aktien seines Arbeitgebers zu kaufen. "Mir wurde signalisiert, dass dies von leitenden Mitarbeitern erwartet wird", sagt Riehl.

"Sehr viel Wut"

Seine Frau und er waren schockiert und heulten eine halbe Nacht, als ihnen die persönlichen Konsequenzen der Pleite klar wurden. Dem ehemaligen Chef Pfaff möchte der Familienvater jetzt lieber nicht mehr über den Weg laufen. "Bei mir hat sich nach der Verzweiflung auch sehr viel Wut aufgestaut."

88 Prozent der Nici-Anteile hält der Pfaff-Clan, allein 26 Prozent der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft auf Familienbasis gehören dem schwer beschuldigten Ottmar Pfaff, der in den siebziger Jahren einmal dreieinhalb Jahre auf einer Basis der US-Luftstreitkräfte im texanischen El Paso Dienst tat.

Intern beteuert der geschasste Vorstandschef, er habe nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet. Doch den Fahndern kommt vieles merkwürdig vor, etwa Zahlungsströme nach Asien. Wurde Geld beiseite geschafft? Pfaff hat sich einen bekannten Münchner Strafrechtler als Anwalt genommen, der viele prekäre Fälle betreut. Einer der Mandanten ist in die Schmiergeldaffäre bei Infineon verwickelt.

Am WM-Maskottchen Goleo habe es jedenfalls nicht gelegen, sagt Jaffé, dass Nici pleite ging. Die Insolvenz verhindern konnte der Löwe aber auch nicht. Goleo sollte ein Knüller werden, ein Produkt, das sich von alleine verkauft, dank prominenter Werbehelfer.

Spot von Gottschalk, Fanclubs für Goleo

WM-Organisationspräsident Franz Beckenbauer stellte den hosenlosen Löwen vor, Thomas Gottschalk präsentierte eine lebensgroße Ausgabe des Stoffviechs in seiner Show "Wetten, dass...?" und witzelte vor einem Millionenpublikum, die Mutter des WM-Löwen sei wohl ein Lama gewesen.

In Asien gibt es sogar Fanklubs von Nici und Goleo. Als die Nachricht von der Insolvenz im fernen Osten ankam, herrschte vor allem in Japan Entsetzen. Das dortige Fernsehen hat sich in Altenkunstadt angesagt, um die Zuschauer daheim, die um ihre geliebten Plüschtiere fürchten, auf dem Laufenden zu halten.

Jaffé hat schon viele Pleiten erlebt und viele Firmen gerettet, aber ein Fall wie in Altenkunstadt ist ihm noch nicht untergekommen, auch wenn er dort auf einige alte Bekannte trifft. Den Fußball-Weltverband Fifa zum Beispiel, oder die Commerzbank, die HypoVereinsbank, die DZ Bank und andere.

Sie waren vor vier Jahren alle betroffen vom damaligen Niedergang des Medienhändlers Leo Kirch, der Deutschlands größtes Film- und Fernsehimperium geschaffen hatte, das in einer der größten Pleiten im Lande endete.

Das Münchner Amtsgericht beauftragte Jaffé mit der Abwicklung des Kirch-Konzerns, seine Kanzlei gegenüber dem Rathaus wurde Anlaufstelle für Medienmächtige aus aller Welt. Der kleine, eher unscheinbare Mann, Jaffé ist 1,70 Meter groß, hätte sich wichtig machen können, doch das ist nicht seine Art. Er bleibt lieber im Hintergrund.

Detektive sind gefragt

Nun also Nici in Altenkunstadt. Nachdem Jaffé am Dienstag dort eingetroffen war, suchte er mit Wirtschaftsprüfern, Anwälten, Steuerexperten und anderen Spezialisten aus seiner Kanzlei sogleich nach der Ursache für das Desaster, um Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Erst waren zehn Leute im Einsatz, jetzt sind es schon 25, die sich bis spät in die Nacht durch Hunderte von Dateien und Ordnern wühlen. Es ist die reinste Detektivarbeit; anders lässt sich nicht herausfinden, was der Plüschtier-Produzent in den vergangenen Jahren tatsächlich verkauft hat, und was nur auf dem Papier in den Handel ging.

Jede Menge "Luftbuchungen" hat Jaffé entdeckt, mit denen der Umsatz künstlich aufgebauscht wurde; aber auch viel Substanz, mit der sich das Unternehmen retten lasse. Das ist ja das verwunderliche an Nici.

Der Scheinrechnungen hätte es gar nicht bedurft, der Goleo-Fabrikant hätte auch so überleben können, wenn nur solide gewirtschaftet worden wäre, glaubt der Insolvenzverwalter. Über die Gründe für das möglicherweise kriminelle Treiben rätselt auch er noch.

Am Donnerstag hat Jaffé in München den Hausbanken von Nici seine ersten Erkenntnisse vorgetragen, fünf Stunden lang. Am Ende waren auch gestandene Banker, die schon viel erlebt haben, zum Beispiel die Pleite bei Kirch, bass erstaunt über die Schattenwirtschaft in Altenkunstadt.

Auch die Hypo fiel auf sie herein

"So etwas haben wir noch nicht erlebt", sagten hinterher einige der gut 40 Teilnehmer an dieser Runde, die in einer Filiale der Deutschen Industriebank getagt hatte.

Nici-Vorstandschef Pfaff habe eine Art "zweites Universum" geschaffen, ein künstliches Weltall, offenbar mindestens halb so groß wie die reale Existenz des Plüschtier-Fabrikanten. Auch die HypoVereinsbank soll auf Pfaff hereingefallen sein; sie zahlte Nici erst kürzlich fünf Millionen Euro für offenkundige Scheinforderungen aus angeblichen Warenverkäufen.

155 Millionen Euro Umsatz hatte Pfaff für das vergangene Jahr gemeldet; ob es bei den bislang entdeckten Scheinrechnungen bleibt, ist offen. Jaffé hofft derweil, die tatsächlich existierenden Geschäfte der Firma fortführen zu können.

Auch der Fiskus soll seinen Teil dazu beitragen. Womöglich kann der Insolvenzverwalter sieben, acht oder gar neun Millionen Euro vom Finanzamt zurückholen, die auf die Scheinumsätze an Steuern gezahlt worden waren. Das würde helfen, das Unternehmen zu retten.

Hehre Ansprüche

In Altenkunstadt hätte sich niemand vorstellen können, dass dort die Staatsanwaltschaft plötzlich eines Tages ausschwärmt und die heile Welt in Trümmern liegt. Unter Vorstandschef Pfaff hatte Nici hehre Ansprüche formuliert.

"Ehrliche Gefühle" und eine "unvergleichbare Kreativität" seien die Grundlage des Geschäfts mit den Plüschtieren. Der erste Slogan ist nun Vergangenheit, und der zweite anders zu verstehen, als er ursprünglich gemeint war. Eine andere Parole bei Nici hat ihre Gültigkeit behalten: "Jedes Unternehmen hat seine ganz eigene Geschichte."

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