Gewerkschafter Öfinger im Interview:"Mehdorn ist nicht mehr tragbar"

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Gewerkschafter Öfinger, Sprecher der Initiative "Bahn von unten", über Bahn-Chef Mehdorn und die katastrophalen Zustände im Konzern.

Thorsten Denkler

Hans-Gerd Öfinger ist Sprecher der Initiative "Bahn von unten", einem Zusammenschluss von privatisierungskritischen Mitgliedern der Bahn-Gewerkschaft Transnet.

Hans-Gerd Öfinger, Sprecher der Initiative "Bahn von unten" (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Herr Öfinger, Bahn-Chef Mehdorn verliert den Rückhalt und scheint kurz vor der Ablösung zu stehen. Ein gutes Zeichen für die Bahn?

Hans-Gerd Öfinger: Der ganze Skandal unterstreicht die Notwendigkeit eines kompletten Neuanfanges bei der Bahn. In personeller aber auch bahn- und verkehrspolitischer Hinsicht.

sueddeutsche.de: Kompletter Neuanfang würde bedeuten, nicht nur Mehdorn müsste seinen Hut nehmen.

Öfinger: In erster Linie muss der Eigentümer Bund endlich wieder eine vernünftige Bahnpolitik betreiben. Er darf dem Bahnmanagement nicht länger einen Blankoscheck ausstellen für die Zerschlagung und den Ausverkauf unserer Bahn. Es ist deshalb nicht damit getan, nur eine Person an der Spitze auszutauschen.

sueddeutsche.de: Das heißt, Hartmut Mehdorn hat noch eine Chance verdient?

Öfinger: Nein. Was er sich mit dem Bespitzelungsskandal jetzt geleistet hat und wie er sich die Wahrheit nur Stück für Stück aus der Nase ziehen lässt, das hat das Restvertrauen in ihn endgültig zerstört. Er ist nicht mehr tragbar.

sueddeutsche.de: Was ist falsch gelaufen in den vergangenen Jahren?

Öfinger: Im Kern ist es die Orientierung auf Gewinne, um die Börsenfähigkeit der Bahn herzustellen. Es ging darum, maximale Rendite zu erzielen - aber nicht darum, die Bahn als Rückgrat eines flächendeckenden, ökologischen und sozialen Verkehrssystems auszubauen. Mit dieser Jagd nach Rendite wurde innerhalb der Bahn unendlich viel Schaden angerichtet. Die hohen Forderungen in der jetzigen Tarifrunde sind Ausdruck der Unzufriedenheit der Mitarbeiter. Mensch und Material sind am Ende.

sueddeutsche.de: Die Börsengang war immer politisch gewollt. Hat Mehdorn also nur ein Kommunikationsproblem innerhalb der Bahn?

Öfinger: Politische Eliten und potenzielle Nutznießer wollen den Börsengang. Die Mehrheit der Bevölkerung und der Eisenbahner wie auch insbesondere die Mehrheit der SPD-Mitglieder will ihn sicher nicht. Die Bahn gehört nicht in private Hände. Sie muss unter der Kontrolle und im Dienst der Allgemeinheit stehen. Jegliche Aktivitäten hinsichtlich Teilverkauf und Teilprivatisierung der DB AG sind umgehend einzustellen.

sueddeutsche.de: Gehört nicht wenigstens auf Mehdorns Verdienstliste, dass er den Bahn-Konzern konkurrenzfähig gemacht und internationalisiert hat?

Öfinger: Wir haben die Global-Player-Visionen, den Versuch des Bahn-Managements, die Welt zu erobern und gegen andere Staatsbahnen in Europa einen Konkurrenzkampf zu führen, immer kritisch gesehen.

sueddeutsche.de: Warum?

Öfinger: Die Eisenbahner in den Nachbarländern sind nicht unsere Feinde, sind nicht unsere Konkurrenten, sondern Verbündete im Kampf um eine moderne, öffentliche und sozialen Ansprüchen gerecht werdende Eisenbahn.

Die wesentliche Aufgabe der Bahn besteht aber darin, hier in diesem Land Schienenverkehr zu organisieren und den Anteil der Schiene am gesamten Verkehrsaufkommen zu stärken. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil. Die Bahn hat Industrieanschlüsse gekappt, den InterRegio gestrichen. Die Bahn hat zu oft am Interesse von Gewerbe, Wirtschaft und Bürgern vorbei gehandelt.

sueddeutsche.de: Mehdorn wollte im großen Stil gegen Korruption vorgehen und hat Daten abgeglichen. Fühlen Sie sich ausspioniert von der Bahn?

Öfinger: Wenn es jetzt heißt, es seien alle Bahn-Mitarbeiter überprüft worden, dann fühlen sich auch viele von uns persönlich ausspioniert. Wir kennen aber auch Mitarbeiter, die sehr konkrete Hinweise haben, dass sie beobachtet wurden, dass ihre Telefone abgehört, ihre E-Mails gelesen wurden.

Wir glauben inzwischen, dass es nicht nur um die Aufdeckung von Korruption ging, sondern dass auch gezielt privatisierungskritische Eisenbahner ausspioniert wurden. Eine Beschnüffelung in dieser Größenordung beinhaltet auch einen politisch motivierten Angriff gegen kritische Eisenbahner und Gewerkschaftsmitglieder.

sueddeutsche.de: Wie geht es jetzt weiter?

Öfinger: Die Dinge müssen sauber aufgeklärt werden. Etwa, dass Mehdorn den Betriebsrat nicht informiert haben soll, weil der angeblich 'zu geschwätzig' sei. Ich kann mich daran erinnern, wie Norbert Hansen, der jetzt auch im Bahnvorstand sitzt, seinerzeit als Gewerkschaftsvorsitzender von Transnet gesagt hat, Mehdorn sei ein besonders aufgeklärter Manager, der die deutsche Mitbestimmungskultur verkörpere. Da muss ich wirklich lachen.

sueddeutsche.de: Da ist aber auch Ihre Gewerkschaft über lange Zeit offenbar ihrer Kontrollfunktion nicht nachgekommen.

Öfinger: Ja, klar. Das konnte passieren, weil Herr Hansen die Gewerkschaft dazu missbraucht hat, seine Karriere zu fördern. Darunter leidet die Gewerkschaft bis zum heutigen Tage.

sueddeutsche.de: Was müsste ein Nachfolger Mehdorns mitbringen?

Öfinger: Er sollte ein echter Eisenbahner sein, der statt permanenter Umstrukturierung, Fragmentierung und kurzfristiger Renditemaximierung auf langfristige Ziele, auf Eisenbahn-Fachverstand und kooperatives Führungsverhalten setzt, damit verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Es gibt genug qualifizierte Persönlichkeiten, die den Posten übernehmen könnten, die aber im System Mehdorn kaltgestellt wurden.

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