Datenskandal bei der Bahn:Spontan kein Detail

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Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hat sich offenbar nur ungern vom Aufsichtsrat zur Ausforschung all seiner Mitarbeiter im Jahr 2005 befragen lassen. Doch schon bald wird Mehdorn genauestens Rede und Antwort stehen müssen.

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn will auf einer außerordentlichen Sitzung über die Datenaffäre bei dem Unternehmen beraten. Das sagte der Sprecher von Bahn-Aufsichtsratschef Werner Müller.

Unter Druck: Immer neue Berichte über massenhaften Überprüfungsaktionen bei den eigenen Mitarbeitern könnten Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zu Fall bringen. (Foto: Foto: AP)

Das Kontrollgremium werde vollständige Klarheit in der Angelegenheit herbeiführen und Regelungen finden, die eine Wiederholung der Vorgänge ausschließen.

Ein Termin für die Sitzung werde zurzeit beraten. "Herr Müller hat Herrn Mehdorn gebeten, die Antworten der DB AG auf die Fragen des Verkehrsausschusses dem Aufsichtsrat vorab zur Verfügung zu stellen. Das hat Herr Mehdorn zugesagt", erklärte der Sprecher des Ex-Evonik-Chefs.

Die Bundesregierung forderte Mehdorn unterdessen auf, bis zur Sondersitzung des Aufsichtsrats einen umfassenden schriftlichen Bericht zur Datenaffäre vorzulegen.

Der Sprecher von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, Rainer Lingenthal, erklärte am Mittwoch in Berlin, bisher sei "noch kein einziges Papier" im Ministerium eingegangen, das die Vorgänge schildere. Deshalb sei es auch zu früh, die Frage nach dem Verbleib Mehdorns im Amt zu beantworten. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm schloss sich dem an.

Merkel: "Rasch und zügig" aufklären

Die Tagung des Aufsichtsrats ist zwar noch nicht terminiert. Die Arbeitnehmervertreter verlangen aber, dass sie vor der Sitzung des Verkehrsauschusses am 11. Februar stattfindet, in der die Abgeordneten hohe Bahn-Manager zu Einzelheiten befragen wollen.

Wilhelm wiederholte die Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass alle aufgeworfenen Fragen "rasch und zügig" aufgeklärt und "eindeutig erläutert und dargestellt" werden müssten. Es gebe berechtigte Bedürfnisse nach Information seitens des Verkehrsausschusses, seitens des Aufsichtsrats und aufgrund eigener Befugnisse des Bundesverkehrsministeriums, sagte der Regierungssprecher.

Lingenthal berichtete von der Sondersitzung des Aufsichtsrats-Prüfungsausschusses vom vergangenen Freitag, dass Mehdorn erst zu diesem Treffen habe zitiert werden müssen und auch erst auf mehrmaliges Befragen von der zweiten Aktion berichtet habe. Diese wurde am Dienstagabend öffentlich.

Betroffen waren 2005 alle 220.000 Bahnbeschäftigten. Dem Ministerium sei über Presseveröffentlichungen hinaus nichts bekannt, das eine Äußerung über "Umfang, Dimension, Mitarbeiter oder Verantwortliche" zulassen würde, sagte Lingenthal.

"Keinerlei detaillierte Information"

Auch auf Befragen sei in der Sitzung "keinerlei detaillierte Information" über die zweite Aktion gekommen. Bei der ersten waren 2002/2003 heimlich die Daten von rund 173.000 Mitarbeitern abgeglichen worden. "Ich kann nicht sagen, ob das die beiden einzigen größeren Aktionen gewesen sind oder nicht." Insgesamt soll es 43 Vorgänge unterschiedlichen Ausmaßes gegeben haben.

Zu dem Schreiben Mehdorns an die Mitarbeiter vom Dienstag sagte Lingenthal, diese müssten selbst wissen, ob das aus ihrer Sicht eine gute Herangehensweise sei. Mehdorn hatte darin Fehler eingeräumt und die künftige Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter versprochen. Wessen Daten wann wofür benutzt worden sind, erklärte er jedoch nicht.

"Ganz im Vordergrund" stehe die Frage, ob bei einem Unternehmen dieser Bedeutung und dieser Größenordnung die Mitarbeiter in derartige Untersuchungen einzubeziehen seien, sagte Lingenthal. Es sei eine Frage der Unternehmenskultur und der Motivation. Auch daran müsse sich der Vorstand messen lassen, aber erst nach Vorliegen des Berichts.

Zur Frage der Zulässigkeit von umfangreichen Ausforschungen der Mitarbeiter erklärte der Heidelberger Arbeitsrechtler Michael Eckert vom Deutschen Anwaltverein, dass eine Kontrolle von Arbeitnehmern ist in vielen Fällen erlaubt sei. "Die Überprüfung der allein für den betrieblichen Gebrauch erlaubten Nutzung von Telefon und Internet, der E-Mails und sogar der Einsatz von Kameras bei konkretem Diebstahlverdacht und Zustimmung des Betriebsrates sind als Schutzmaßnahmen zulässig", erklärte der Jurist.

Neben dem Arbeitsrecht müsse der Arbeitgeber aber auch das Datenschutzrecht beachten. "Datenschutzrechtlich müssen die Mitarbeiter, die überprüft werden und bei denen nichts gefunden wurde, im nachhinein informiert werden", sagte Eckert weiter.

Das Unterlassen der Information stellt nach Auffassung von Transparency International Deutschland eine datenschutzrechtliche Verletzung dar. Das sogenannte Screening eines Großteils der Mitarbeiter wie bei der Bahn sei deshalb wohl mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in Ordnung gewesen, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Antikorruptionsorganisation Peter von Blomberg.

Die Bahn, die mit der Vergabe von Aufträgen in Milliardenhöhe besonders anfällig für Korruption sei, habe es versäumt herauszuarbeiten, wer die besonders gefährdeten Mitarbeiter und Abteilungen sind. Nur diese hätten überprüft werden müssen, und nicht auch jeder Schaffner oder Buchhalter. Außerdem hätte die Aktion nicht verheimlicht werden dürfen.

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz hatte am Morgen bereits den Rücktritt des Managers für den Fall gefordert, dass sich Berichte über eine weitere Überprüfungsaktion gegen alle Bahnbediensteten bestätigen sollten.

"Wenn das so wäre, wird sich Herr Mehdorn nach einer anderen Tätigkeit umsehen müssen", sagte Wiefelspütz dem Kölner Stadt-Anzeiger vom Mittwoch. Auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD) äußerte sich kritisch. "Der Vorgang ist geeignet, das Ansehen der Bahn weiter zu schädigen", sagte er demselben Blatt.

Kein Ende der Ermittlungen abzusehen

Die Bahn selbst hatte am Vorabend mitgeteilt, eine Ausweitung der Datenschutzaffäre sei möglich. Derzeit sei noch kein Ende der Ermittlungen abzusehen, teilte das Unternehmen am Dienstagabend mit. "Mögliche weitere Vorgänge" seien nicht auszuschließen.

Die Süddeutsche Zeitung hatte am Dienstag bereits berichtet, dass das Unternehmen im Jahr 2005 offenbar die komplette Belegschaft von damals rund 220.000 Beschäftigten ausgeforscht hatte. Bislang hatte die Bahn nach monatelangen Ermittlungen den Abgleich von Adress- und Kontodaten von 173.000 Mitarbeitern eingeräumt.

Über den erneuten Fall eines Datenabgleichs bei der Bahn im Jahr 2005 war Tiefensee Tagesspiegel-Informationen zufolge bereits am vergangenen Freitag informiert worden.

Dies gehe aus einem Schreiben von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn an Tiefensee hervor, das der Zeitung vorliegen soll. Darin schreibe der Manager an den Minister, dass die Aufarbeitung der Fragen zu den Umständen der in den Jahren 2002 bis 2005 durchgeführten Datenabgleiche noch Zeit in Anspruch nehmen werde.

Das Schreiben datiere vom 30. Januar 2009. Mit Blick auf den von Tiefensee geforderten Bericht über diese Vorgänge schrieb Mehdorn, so die Zeitung, er versichere, dass eine umfassende Stellungnahme zügig erarbeitet werde.

Ruf nach schärferen Regeln

Noch am Dienstag hatte sich Tiefensee darüber beschwert, die Bahn informiere in der Datenaffäre nur scheibchenweise. Es dauere zu lange, es komme nicht konsequent, hatte er gesagt.

Angesichts der massenhaften Überprüfung von Mitarbeiterdaten bei der Bahn und der Telekom wird der Ruf nach schärferen Regelungen lauter. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar setzt sich für ein Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz ein.

"Die Daten von Mitarbeitern dürfen nur zu arbeitsrechtlichen Zwecken wie Lohnbuchhaltung verwendet werden", forderte Schaar in der Berliner Zeitung. Ein präventiver Datenabgleich dürfe nicht hingenommen werden.

"Es darf sich keine Unternehmens-Selbstjustiz etablieren, die ohne gesetzliche Grundlage und ohne richterliche Kontrolle abläuft."

Auch der FDP-Innenpolitiker Max Stadler hält neue Regelungen für notwendig. "Bei allem verständlichen Bemühen der Firmen, gegen Korruption vorzugehen, ist es an der Zeit, klare Regelungen zu erlassen, was aus datenschutzrechtlichen Aspekten nötig ist", sagte er dem Blatt.

Edathy forderte ebenfalls einen besseren Datenschutz für Arbeitnehmer. Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte der Bundestagsabgeordnete: "Ich halte es für dringend geboten, Voraussetzungen und Grenzen für Zugriffe auf Arbeitnehmerdaten gesetzlich präziser zu regeln." Vor allem die Frage der Verhältnismäßigkeit, also welche Eingriffe in Persönlichkeitsrechte zur Korruptionsbekämpfung in Betrieben angemessen seien, bedürfe der Konkretisierung.

Präzisere Gesetze gefordert

Edathy kündigte an, das Thema Arbeitnehmer-Datenschutz in die bevorstehenden Koalitionsgespräche über die geplante Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes einzubringen.

Die Gewerkschaft GDBA forderte unterdessen eine Entschuldigung von Mehdorn. Dass der Bahn-Chef in einem Schreiben an die Mitarbeiter Fehler eingeräumt habe, reiche nicht aus und sei eher eine Rechtfertigung gewesen, sagte GDBA-Chef Manfred Hommel im Deutschlandfunk. "Das Wort Entschuldigung wäre das gewesen, was am Anfang zu stehen gehabt hätte."

Unklar sei, was mit den gewonnenen Daten geschehen sei und niemand wisse, was noch zutage gefördert werde. Es sei eine Tatsache, dass Mitarbeiter über Jahre ausgespäht worden seien.

Die Bahn hatte vor einer Woche eingeräumt, in den Jahren 2002 und 2003 rund 173.000 ihrer damals rund 240.000 Mitarbeiter auf Korruptionsverdacht überprüft zu haben. Dies geschah mit Abgleich von Mitarbeiterdaten wie Wohnadressen, Telefonnummern und Bankverbindungen mit jenen von 80.000 Firmen, die Auftragnehmer der Bahn waren.

Bei der Telekom wurden ebenfalls Daten von Mitarbeitern mit denen ihrer Geschäftspartner abgeglichen. Bankverbindungen der Lieferanten seien "zu Testzwecken" mit den Lohn- und Gehaltskonten der Belegschaft verglichen worden, teilte die Telekom mit. Zur Zahl der betroffenen Mitarbeiter äußerte sich das Unternehmen nicht.

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