Geldwerkstatt:Wie schlimm sind Niedrigzinsen wirklich?

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Auch wer eine konservative Strategie fährt und sein Geld lieber vorsichtig anlegt, kann profitieren. Wichtig ist aber, sich mit den richtigen Kapitalmarktprodukten zu befassen.

Von Jan Willmroth

Nicht selten tritt in Diskussionen nach einiger Zeit ein Gewöhnungseffekt ein, bestimmte Dinge werden dann nicht mehr hinterfragt. Bei den niedrigen Zinsen, die europäische Sparer nun schon seit mehr als drei Jahren begleiten, ist das zum Beispiel so. "In Zeiten niedriger Zinsen", das ist einer dieser undifferenziert verwendeten Begriffe, brächten die meisten Produkte "keinen Ertrag mehr". Oder zumindest kaum noch. Solche Aussagen gipfelten in den vergangenen Jahren gar in der Behauptung, Sparer würden durch die niedrigen Zinsen "enteignet". Ein harter Vorwurf.

Der logische Zusammenhang: Wenn Spar- und Rentenmarktprodukte niedrig verzinst sind und die Inflation höher als der nominale Zins, verlieren Sparer real Geld. Das aber, so zeigen langfristige Analysen, war immer wieder mal der Fall - auch zu Zeiten höherer Marktzinsen. Zinsen von drei Prozent und mehr sehen eben nach viel aus, sind es aber nur, wenn die allgemeine Preissteigerungsrate nicht auch hoch ist.

Im vergangenen Jahr zeigte eine Analyse der Deutschen Bundesbank, dass in der Zeit zwischen 1967 und 2014 die realen Zinsen auf Sparprodukte mit dreimonatiger Kündigungsfrist in der Mehrheit der Monate negativ waren. Dass Anleger mit vergleichsweise sicheren Produkten Geld verlieren, war also auch bereits eher die Regel denn die Ausnahme, als Sparbücher noch mit mehr als zwei Prozent verzinst waren. Sparer sitzen also einer Illusion auf, wenn sie nur die Nominalzinsen im Blick haben und nicht die Inflationsrate beachten. Die liegt momentan in Deutschland bei 0,3 Prozent - ein im historischen Vergleich sehr niedriger Wert, bei dem der Realverlust angesichts niedriger Sparzinsen noch relativ überschaubar bleibt. Die Geschichte von der Enteignung der Sparer stimmt also nur bedingt, das sollte die Erkenntnis sein.

In Teilen stimmt sie dann mit Blick auf Produkte mit langfristig garantierten Zinsen aber doch. Wer heute eine Lebensversicherung abschließt, muss sich auf eine sehr lange Zeit einstellen, in der er mit sehr niedrigen Zinsen lebt. Gleiches gilt für Bausparverträge und weitere Produkte, in denen das Geld lange gebunden und die Zinsen lange versprochen sind. Und wer heute Produkte hält mit einer hohen garantierten Verzinsung, muss sich darauf einstellen, dass die Bank oder Bausparkasse nach Wegen sucht, ihn aus dem alten Vertrag zu drängen.

So schränkt die Niedrigzinsphase zwar nur bedingt die Rendite ein, wohl aber die Auswahl. Dennoch, die niedrigen Nominalzinsen veranlassen deutsche Sparer offenbar nicht, ihre Anlageformen zu überdenken. Einer kürzlich veröffentlichen Umfrage von TNS Infratest für die Vermögensverwaltung von Goldman Sachs zufolge halten 77 Prozent der 1000 Befragten ihr Geld weiter in gering verzinsten Produkten wie Tagesgeld oder Sparbüchern. Das ist zunächst konsequent: Sicherheit und ständige Verfügbarkeit des Ersparten sind der Umfrage zufolge die wichtigsten Kriterien bei der Geldanlage. Weniger als sieben Prozent nannten eine hohe Rendite als ihr wichtigstes Ziel.

Dennoch sollte nicht zuletzt die Niedrigzinsphase Anlass sein, die Aufteilung des eigenen Geldes zu überdenken und daran zu erinnern, dass es inzwischen Kapitalmarktprodukte gibt, mit denen auch unerfahrene Anleger bei einigermaßen überschaubarem Risiko ein Vermögen aufbauen können. Das galt zwar teilweise auch schon früher, als die Zinsen höher waren - aber da täuschten die höheren Zinsen auch noch leichter über die reale Rendite hinweg.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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