Geldwerkstatt:Sind Aktien von ethisch fragwürdigen Unternehmen wirklich lukrativer?

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Die Rendite war bei Konzernen mit zweifelhaftem Ruf jedenfalls ziemlich gut. Lohnt es sich also, unmoralisch zu sein? Ja und nein.

Von Jan Willmroth

Man kann den Anlegern jetzt nach der Brexit-Abstimmung Zynismus vorwerfen, oder man sieht es einfach als Beweis, dass der Aktienmarkt doch recht effizient funktioniert: Zu den Aktien, die nach dem britischen Referendum besonders stark gewannen, gehörten die Papiere von Schnaps- und Zigarettenherstellern wie Diageo oder British American Tobacco, gerade an der Londoner Börse. Krisenstimmung, Katerstimmung. Eine gute Gelegenheit, noch einmal zu betrachten, dass umweltfreundliche Investments zwar immer beliebter werden, die Masse der Anleger sich dafür aber nur mäßig interessiert.

Was zählt, ist die Rendite. Und die war in der Vergangenheit bei Unternehmen mit zweifelhaftem Ruf meist ziemlich gut. Im vergangenen Jahr haben das die britischen Forscher Paul Marsh, Elroy Dimson und Mike Staunton mit einem Forschungsprojekt an der London Business School gezeigt. Basis der Analyse war eine gigantische Datenbank: 23 Länder, 115 Jahre, Aktien- und Anleihekurse, Inflation, Währungen, Bruttoinlandsprodukt. Mit besonderem Augenmerk untersuchten sie sogenannte "Sindustries", eine englische Wortschöpfung aus Sünde und Industrie. Man kann die Alkohol- und Tabakherstellung dazuzählen, die Waffenindustrie und die Glücksspielbranche. Ist ein wenig Auslegungssache.

Eindeutig ist dagegen, dass die Aktien der Tabakbranche während der vergangenen 115 Jahre von allen US-Aktien am besten gelaufen sind. Im Vereinigten Königreich war das ähnlich. Die Autoren der Studie verglichen außerdem den Vice Fund, einen an unethischen Unternehmen orientierten Aktienfonds, mit dem nachhaltig orientierten FTSE Social Index Fund. Im Schnitt schlägt der Sünden-Fonds sein Gegenstück um 1,7 Prozent pro Jahr. Lohnt es sich, unmoralisch zu sein?

Die Antwort ist: ja und nein. Tabakaktien in den USA erzielten im gesamten Betrachtungszeitraum eine jährliche Rendite von 14,7 Prozent, deutlich mehr als die durchschnittliche Rendite von 9,6 Prozent. Um das zu verdeutlichen: Ein um 1900 in Tabakaktien investierter US-Dollar wäre Ende 2014 6,3 Millionen Dollar wert gewesen, ein in den Aktienmarkt investierter Dollar aber nur 38 255. So groß werden die Zinseszins-Unterschiede mit der Zeit.

Das liegt nicht an den so viel besseren Geschäften der Tabakfirmen. Die Logik, mit der die Autoren die Ergebnisse zu erklären versuchen, ist eine andere: Gerade wenn Unternehmen wegen moralisch verwerflicher Geschäfte unbeliebt sind, lohne sich ein Investment umso mehr. Die Aktien unethischer Firmen sind häufiger unterbewertet, weil Investoren sie eher meiden. Weil diese Unternehmen beständig um Investoren werben müssen, mehr als andere, haben Anleger tendenziell höhere Gewinnerwartungen. In der Folge zahlen sündhafte Unternehmen etwa höhere Dividenden. Der Yale-Ökonom Frank Fabozzi kam 2008 in einem Forschungspapier zu ähnlichen Ergebnissen: Waffen und Suchtmittel im Portfolio lohnen sich.

Allzu viel verraten solche Betrachtungen Privatanlegern trotzdem nicht. Sie beruhen auf Daten aus der Vergangenheit; Aussagen über die künftige Entwicklung sündhafter Aktien sind schwer möglich. Paul Marsh, einer der drei Londoner Autoren, warnte nach der Veröffentlichung: Man solle bedenken, dass einige Ergebnisse nur durch Zufall zustande gekommen sein könnten. Ein reines Gewissen, so lernt man trotzdem, kann jedenfalls teuer sein.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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