Geldwerkstatt:Plötzlich Geld

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Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. (Foto: SZ-Grafik)

Viele Menschen haben ihr Leben lang gespart. Mit 65 müssen sie ihre Vermögen abrufen. Einigen fällt das ziemlich schwer - das wissen auch die Versicherer.

Von Victor Gojdka, München

Wenn Günther Krabbenhöft sein Alter genießen will, dann bindet er sich seine Fliege um, setzt seinen Hut auf den Kopf und steckt eine Feder dran. Krabbenhöft, 73, geht tanzen. Nicht zum Tanztee, sondern in die angesagten Berliner Clubs. Ins Berghain, ins Sisyphos, in den Club der Visionäre. Und seit geraumer Zeit tanzt der "Hipster-Opa" auch durch die Werbespots einer großen Fondsgesellschaft. Die Aussage: Wer wie Krabbenhöft jeden Monat ein paar Euro zur Seite gelegt hat, kann sein Vermögen am Ende so ausgelassen genießen, wie er.

Doch die Realität ist komplizierter als ein Werbefilm. Denn selbst wenn Rentner über ihr Leben viel angespart haben: Ihr Geld ausgeben? Für viele nicht leicht, sagt Finanzpsychologin Monika Müller. "Viele Ältere verbinden Geld mit Sicherheit und haben ihr Leben lang nur gespart, sodass es ihnen mit Rentenbeginn schwer fällt, umzuschalten und ihr Geld auszugeben." Plötzlich, mit 65 Jahren, stehen die Neurentner also vor ihrem Ersparten. Jetzt sollten sie es langsam "entsparen", wie die Volkswirte es nennen. Im Klartext: ran an das Geld. Nur wie?

Versicherungsunternehmen umwerben diese Klientel mit einem Produkt namens Sofortrente. Das Prinzip ist einfach: Einmal eine hohe Summe Geld einzahlen und dann jeden Monat eine Zahlung erhalten, garantiert bis zum Lebensende. Die Stiftung Warentest hat im Dezember 26 solcher Sofortrenten untersucht: Wenn Neupensionäre am Anfang 100 000 Euro einzahlen, bekämen sie beim lukrativsten Anbieter 324 Euro Garantierente im Monat. Wirtschaften die Versicherer mit den Geldern ihrer Kunden gut, können Überschüsse dazukommen.

Auf den ersten Blick klingt das nach einem guten Modell, so planbar und verlässlich. Verbraucherschützer allerdings kritisieren, dass viele Kunden ein Minusgeschäft riskieren. Wer ab 65 die Garantierente bekommt, müsste ohne Überschüsse noch 26 Jahre leben, um den eingezahlten Geldbetrag voll wieder ausgezahlt zu bekommen. Mit anderen Worten: Versicherungsnehmer müssten 91 Jahre alt werden, um in diesem Szenario auf null herauszukommen.

Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zufolge dürfte ein heute 65-jähriger Mann im Schnitt 84 Jahre alt werden, eine Frau 88 Jahre. "Sofortrenten lohnen sich also nur, wenn Sie fast so alt werden wie der Schauspieler Jopi Heesters", sagt Stefanie Kühn, Finanzberaterin aus Grafing. Ist mit dem eigenen Tod noch Geld übrig, behält das meist die Versicherung. Wer zumindest einen Teil vererben will, kann das vereinbaren - meist allerdings auf Kosten der monatlichen Rentenhöhe.

Clevere Rentner können sich ihren kleinen Rententurbo aber auch einfach selbst basteln. Wer 100 000 Euro gespart hat, muss das Geld bei den aktuellen Magerzinsen nicht auf einem Girokonto parken. Auch, wenn viele das glauben: "Nur weil man in Rente ist, muss die Aktienquote nicht automatisch null betragen", sagt Finanzberaterin Stefanie Kühn.

"Wer kalkuliert, dass er hundert Jahre wird, ist einigermaßen auf der sicheren Seite."

Experten empfehlen einem durchschnittlichen Rentner, etwa 20 bis 30 Prozent seines angesparten Betrags in Aktien zu stecken, der Rest kann zum Beispiel in verschiedene Festgelder wandern. In Sachen Aktien sollten Rentner jedoch wenig Risiko eingehen und nicht etwa versuchen, einzelne lukrative Aktien aus der Masse herauszupicken, sondern breit streuen. Am besten geht das mit kostengünstigen Indexfonds, die den Verlauf eines Aktienindex wie zum Beispiel des Dax eins zu eins nachbilden. Je breiter der Index aufgestellt ist, desto besser. Denn desto unabhängiger ist er vom Wohl und Wehe einzelner Länder oder Branchen. Im bekannten Index MSCI World sind zum Beispiel mehr als 1600 Aktien aus mehr als 20 Ländern gelistet. "Wer streut, der rutscht nicht aus", sagt Honorarberater Alexander Schmidt von der auf Rentner spezialisierten Finanzberatung "Die Alten Hasen".

Gleich zu Rentenbeginn allerdings übermütig zu werden und die 20 Prozent des Sparbetrags auf einen Schlag in Aktien zu schieben, sollten sich Rentner gut überlegen. Viele Analysten unken, dass die Aktienmärkte in den vergangenen Monaten bereits heißgelaufen sind. Sollten die Börsen abrauschen, kurz nachdem Rentner das Geld investiert haben, wäre das ärgerlich. "Stattdessen lieber Salamitaktik fahren", rät Honorarberater Alexander Schmidt. Also über zwei bis drei Jahre jeden Monat einen kleinen Betrag in Indexfonds schieben, um nicht zufällig einen einzigen schlechten Moment zu erwischen.

Bevor sich Rentner ihr Geld allerdings auszahlen können, müssen sie noch eine Wette abschließen. Denn wie viel sie sich jeden Monat auszahlen können, hängt davon ab, wie lange sie zu leben glauben. 75 Jahre, 80 oder 90? "Wer kalkuliert, dass er hundert Jahre wird, ist einigermaßen auf der sicheren Seite", sagt Finanzberaterin Stefanie Kühn. Wer heute mit 65 in Rente geht, hätte dann noch 420 Monate zu leben. Bei einem Anfangsbetrag von 100 000 Euro blieben so für jeden Monat rechnerisch 238 Euro. Diesen Rentenzuschuss sollten Pensionäre jedoch einmal im Jahr anpassen. Liefen die Börsen gut, können sie sich mehr auszahlen. Fielen die Kurse, möglicherweise etwas weniger.

Ihren monatlichen Rentenzuschuss sollten die Anleger zumindest zu Beginn ihrer Rente nicht aus dem Aktienportfolio abziehen, sondern lieber einmal im Jahr im Voraus aus ihren Festgeldern auf ein normales Konto schaffen. Denn kracht es an den Börsen und ziehen die Rentner parallel noch Geld aus den Aktien ab, wird es hinterher viel schwieriger, den Verlust wettzumachen. Um den zu kompensieren, müsste das wenige verbliebene Geld dann höhere Renditen erwirtschaften.

Wie andere Sparer müssen auch Rentner darauf achten, mit ihrem Portfolio nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Wenn Pensionäre immer mehr Geld aus ihren Festgeldern abziehen, kann der Aktienteil des Portfolios schnell an Gewicht gewinnen. Deshalb sollten Verbraucher ihr Portfolio einmal im Jahr in Balance bringen: Also so viel Geld aus den Aktien abziehen und ins Festgeld schieben, dass die Aktienquote wieder 20 bis 30 Prozent beträgt, so empfehlen es Finanzexperten.

Bei allen Überlegungen: Geld ist nicht alles im Leben, davon ist auch Werbestar Günther Krabbenhöft überzeugt. Viel wichtiger als die Schatztruhe des Ersparten, sagte Krabbenhöft einmal, sei eine andere Schatztruhe. Die Schatztruhe in der Seele jedes Einzelnen. Man müsse nur lernen, sie vom Staub der Jahre zu befreien und in ihr zu kramen.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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