Geldanlage:Der Höllensturz

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Am Anleihemarkt türmen sich riskante Unternehmenspapiere. Trübt sich die Wirtschaft ein, könnten sie auf Ramschniveau sinken - und eine neue Krise befeuern.

Von Victor Gojdka, München

John Flannery hatte sich das alles anders vorgestellt, als er im vergangenen Herbst auf die Bühne der hauseigenen Digitalkonferenz schritt. Im Rhythmus der treibenden Bässe lief der Chef des Mischkonzerns General Electric in die Halle, das gleißende Licht der Scheinwerfer tanzte um den 55-Jährigen. "Wir treiben die totale Transformation der Industrie voran", sagte Flannery, der sich an diesem Tag dynamisch zeigen wollte. Nur ein Jahr später ist die Ära Flannery Geschichte.

General Electric, einst Unternehmen von Weltruf, steckt in der Krise: Die Schuldenlast drückt, Ratingagenturen beurteilen die Bonität des Unternehmens zunehmend kritisch. Vor einigen Jahren erhielten GE-Anleihen noch Bestnoten, jetzt halten sie sich knapp über Ramschniveau. Bald jedoch, befürchten Experten, könnten die Anleihen nur noch eines sein: Schrott. Fällt die Einstufung weiter, bricht damit schlagartig ein wichtiger Käuferkreis für die Papiere weg. Denn viele institutionelle Investoren, wie Pensionsfonds oder Versicherungen, dürfen nur Unternehmensanleihen mit guter Bonität kaufen, im Jargon "Investmentgrade" genannt.

Seit die Anleihekurse von GE-Papieren vor einigen Tagen dramatisch abstürzten, schauen professionelle Anleger sehr genau auf den Markt für Unternehmensanleihen. Denn inzwischen türmt sich dort ein Berg an Wackeltiteln, die sich wie GE nur noch knapp über Ramschniveau halten. Selbst in vielen vermeintlich soliden Anleiheportfolios nichts ahnender Privatanleger lagern inzwischen Massen solcher Papiere. Experten befürchten: Sollte sich die Wirtschaft eintrüben, könnte es am Anleihemarkt zu Verwerfungen kommen - mit Folgen für die gesamte Wirtschaft.

Sollten die Ratingagenturen weitere Papiere herabstufen, droht ein großer Knall

Vor einigen Tagen sorgte die Mahnung eines Mannes an den Finanzmärkten für Aufsehen, dessen Stimme unter Finanzexperten Gewicht hat. In Greenwich, einem Luxusdomizil für Fondsinvestoren eine Autostunde nördlich der New Yorker Wall Street, meldete sich Paul Tudor Jones zu Wort. Jones ist ein milliardenschwerer Investor, der die Börsenkrise 1987 hat kommen sehen. "Es wird vermutlich ein paar wirklich furchterregende Momente in Sachen Unternehmensschulden geben", sagte Jones.

Kellogg’s, Heidelcement, GE und Bayer (im Uhrzeigersinn) sind nur vier Beispiele für die vielen Unternehmen in den USA und Europa, deren Rating schon recht schlecht ist und deren Anleihen mit der Note „BBB“ recht nahe am Ramschstatus liegen. (Foto: Luke Sharrett/Bloomberg, Jasper Juinen/Bloomberg, Oliver Berg, Daniel Acker/Bloomberg)

Es ist eine scharfe Trennlinie, die Jones und seine Kollegen genau beobachten. Eine Linie, die zwischen jenen Unternehmensanleihen verläuft, die mit der Ratingnote "BBB" gerade noch als solide gelten. Und jenen, die mit dem Stempel "BB" schon in die Kategorie "Junk" gehören, zum Anleiheschrott. Inzwischen halten sich sowohl in den USA als auch in Europa bereits 50 Prozent aller Unternehmensanleihen nur noch ganz knapp über dieser Schwelle. Vor zehn Jahren waren es in Europa nur etwa 20 Prozent. Noch monströser ist die Bilanz, wenn man auf das Volumen dieser Papiere schaut: Standen in den USA vor zehn Jahren 800 Milliarden Dollar solcher Wackelanleihen aus, türmt sich der Berg inzwischen auf mehr als drei Billionen Dollar. Getrieben wurde das Wachstum riskanterer Unternehmensanleihen durch die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken und durch Banken, die nach der Finanzkrise mit Krediten knauserten.

Sollten Ratingagenturen angesichts einer Wirtschaftsflaute viele Unternehmenspapiere herabstufen, könnte es zum großen Knall kommen. Sollten Hunderte Unternehmen ihr Gütesiegel verlieren und in den Ramschbereich fallen, müssten große Investoren diese Papiere schnell losschlagen. Ihnen ist es oft schlicht verboten, Schrotttitel zu halten, weil die zu riskant sind. Auf einen Schlag verlören diese Anleihen damit den Großteil ihrer Käufer, die Kurse würden sinken. Titel, denen ein solcher Höllensturz widerfährt, nennen Finanzexperten daher gefallene Engel. Innerhalb von fünf Jahren fallen statistisch gesehen zehn Prozent aller "BBB"-Anleihen auf dieses spekulative Niveau. "Wenn es richtig knallt, könnten es deutlich mehr sein", sagt Marco Stoeckle, Experte für Unternehmensanleihen bei der Commerzbank.

Zurück bliebe ein Berg an Anleihetiteln, an die sich nur wenige Anleger herantrauen. Trübt sich die Wirtschaft deutlich ein, könnte "eine Flut an Papieren" mit Ramsch-Rating entstehen, die der Markt kaum aufsaugen könne, sagt Commerzbank-Analyst Stoeckle. Im Klartext: Die Kurse der Anleihen würden weiter sinken.

Parallel dazu würden die Zinskosten für Unternehmen steigen, sobald sie die Anleihen verlängern müssten. Das wiederum könnte der erste Dominostein in einer Kaskade sein: Die höheren Kosten dürften zu schlechteren Ratings führen, die wiederum höhere Zinskosten verursachen - was die Unternehmen in die Bredouille bringen könnte. Schon um 0,1 Prozentpunkt höhere Zinsaufschläge für Unternehmen würden Wirtschaftswachstum kosten und für mehr Arbeitslose sorgen, konstatierte die amerikanische Investmentbank Morgan Stanley vergangene Woche in einem Papier für die Vereinigten Staaten.

In den vergangenen Tagen wurde die Unruhe am Markt spürbar, allein in der zurückliegenden Woche haben Investoren sechs Milliarden Dollar aus Fonds für Unternehmensanleihen abgezogen. Vor allem von Schrotttiteln haben sie sich dabei getrennt, aber auch von soliden Titeln. "Die Touristeninvestoren machen sich langsam wieder auf in angestammte Gebiete", sagt René Hermann von der Schweizer Ratingagentur Independent Credit View.

Das große Gewicht der Wackeltitel könnte auch für Privatanleger zum Problem werden; sie sollen einen Blick in ihre Anleiheportfolios werfen. Manche Indexfonds für Unternehmensanleihen bilden einfach nur einen breiten Korb an Anleihen ab, auch dort türmen sich mitunter die fragwürdigen Papiere mit der Note "BBB". Selbst in manchen aktiv gemanagten Anleihefonds lagern inzwischen zu mehr als 60 Prozent solche Wackelkandidaten, auch viele Versicherungen und Pensionsfonds halten Unternehmensanleihen.

Wie kritisch der Berg an potenziellen Ramschanleihen ist, beurteilen Experten unterschiedlich. Die Kassandrarufe jedoch werden immer lauter. Zu Zeiten der Finanzkrise seien Häuserkredite das Problem gewesen, sagte Investmentlegende Paul Tudor Jones in seinem Vortrag, bald dürften es die Schuldenberge der Unternehmen sein.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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