Geheimes Finanzsystem bei Siemens:Einmal nach Übersee und zurück

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Nach der Großrazzia verfolgen Staatanwälte die Spur des Geldes aus möglichen schwarzen Kassen bei Siemens bis in die Karibik. Auf den Fluren der deutschen Konzernstandorte wird das Thema unterdes intensiv diskutiert.

Markus Balser und Klaus Ott

Eine gute halbe Stunde dauerte die Präsentation und sollte ein Zeichen setzen. Offenbar aufgeschreckt von Bestechungsvorwürfen gegen Siemens-Mitarbeiter in der Energiesparte wollte der Technologiekonzern in die Offensive gehen.

Alle Sicherheit hilft nicht gegen Korruption: Überwachungskameras und Maschendrahtzaun sichern den Siemens-Standort München-Neuperlach. (Foto: Foto: ddp)

Ex-Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger habe dem Aufsichtsrat unter dem Stichwort ,,Corporate Ethics'' vor gut einem Jahr interne Kontrollmechanismen vorgestellt, die auch Schmiergeldaffären künftig verhindern sollten, erinnern sich Teilnehmer.

Wohlwollend wurde das Programm im Kontrollgremium aufgenommen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass im Unternehmen im Verborgenen derweil offenbar an einem geheimen Finanznetz gearbeitet wurde, dessen Enden möglicherweise bis ins Spitzenmanagement hineinreichten.

Fassungslosigkeit

,,Die Vorwürfe machen mich fassungslos'', sagt ein Aufsichtsrat, der damals dabei war. ,,Gerade leitende Angestellte sollen strengen Verhaltensregeln folgen, auf die sie regelmäßig verpflichtet werden.''

Dass Fahnder in dieser Woche mit einer Großrazzia im Weltkonzern ein offenkundig illegales System aufdeckten, erschüttert Siemens in seinen Grundfesten.

Für das Unternehmen und den zuletzt oft kritisierten Vorstandschef Klaus Kleinfeld kommen die Ermittlungen internationaler Staatsanwaltschaften zur Unzeit.

Schwerster Umbau in der Unternehmensgeschichte

Kleinfeld treibt den schwersten Umbau in der mehr als 150-jährigen Geschichte des Unternehmens voran, der viele Mitarbeiter den Job kostet und tausenden Einschnitte abverlangt.

Gerade hatte sich der Vorstandschef nach der BenQ-Mobile-Pleite mit guten Geschäftszahlen etwas Luft verschafft, da brennt es im Unternehmen schon wieder. ,,Die Stimmung war zuletzt ohnehin explosiv'', sagt ein Betriebsrat.

Die jüngsten Vorwürfe in der Korruptionsaffäre, die bis in die Zentrale hineinreichten, brächten das Fass nun zum Überlaufen.

Diskretion

Am Münchner Standort Hofmannstraße rückten die Strafverfolger am Mittwoch schon am Morgen an. Teile des Vertriebs der ehemaligen Kommunikationssparte (Com) haben hier ihren Sitz. Die Ermittler gingen diskret vor, viele Beschäftigte bekamen vom Einsatz gar nichts mit.

Fahnder verhörten auf dem weitläufigen Bürogelände am Rande der Innenstadt Beschäftigte, beschlagnahmten Unterlagen. Seit die Nachricht von der Großrazzia die Runde machte, werde das Thema auf den Fluren intensiv diskutiert, sagt ein Mitarbeiter. ,,Auch wenn die Vorwürfe für den einen oder anderen hier keine große Überraschung sind.''

Die Versuchung ist groß

Zwar gebe es interne Kontrollen, sagt ein anderer. Doch die Versuchung bei der Vergabe von Projekten etwas nachzuhelfen, sei groß.

Mancherorts herrscht Erleichterung: ,,Es ist gut, dass alles durchleuchtet wird'', sagt der Betriebsrat eines anderen Standorts. Beschäftigte seien teilweise in Aktionen hineingedrängt worden, die sie in Gewissenskonflikte gebracht hätten. ,,Was machen Sie, wenn Sie von Vorgesetzten gebeten werden, es bei der Prüfung von Unterlagen nicht so genau zu nehmen?''

Aber er wisse auch, dass manche die Aufregung schlicht für scheinheilig hielten. ,,In vielen Teilen der Welt könnten doch ohne Gefälligkeiten gar keine Geschäfte mehr gemacht werden - so was hören wir hier immer wieder.''

Ethikkodex

Dabei hat Siemens im Ethikkodex für Finanzangelegenheiten unter Punkt sieben für alle Mitarbeiter festgelegt: ,,Einschlägige Gesetze, Richtlinien und Regelungen sind einzuhalten.''

Dass dagegen offenbar auch Spitzenmanager verstoßen haben, schlägt hohe Wellen. Der Konzern gerät in große in Bedrängnis, drinnen und draußen. ,,Die Ermittlungen laufen auf hohen Touren'', sagt Christian Schmidt-Sommerfeld, der Chef der Münchner Staatsanwaltschaft.

Schon vor Monaten soll die Schweizer Bundesanwaltschaft Siemens mit ersten Erkenntnissen konfrontiert haben. Aufsichtsratsmitglieder erfuhren von den Ermittlungen erst in dieser Woche aus den Medien.

Aufsichtsrat greift ein

Nun bahnt sich ein Konflikt zwischen Kontrollgremium und Management an. ,,Schwebende Verfahren sind eindeutig Gegenstand der Unternehmensaufsicht'', ärgert sich ein Mitglied des Kontrollgremiums. ,,Wir hätten früher informiert werden sollen.'' Spätestens bei der nächsten Aufsichtsratssitzung müsse die Affäre zum Thema werden.

Dann wird auch zu klären sein, ob und, falls ja, was das Siemens-Management von der Existenz schwarzer Kassen wusste. Unangenehme Fragen muss sich wohl Konzernchef Klaus Kleinfeld stellen lassen.

Denn zwischen Anfang Januar und Ende September 2004 verantwortete Kleinfeld als zuständiger Betreuer das Kommunikationsgeschäft im Zentralvorstand die von den Ermittlungen betroffene Festnetzsparte.

Die Beschuldigten berichteten auch an Kleinfeld

Die in der Affäre schwer beschuldigten ehemaligen Bereichsvorstände Andy W. Mattes und Michael Kutschenreuter berichteten an den Zentralvorstand, also auch an Kleinfeld.

Siemens äußerte sich am Freitag unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht zu den Vorwürfen gegen die Manager. Mattes, der Anfang 2006 zum US-Computerriesen Hewlett Packard wechselte, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Auch die Sparte Siemens Real Estate, deren Bereichsvorstand Kutschenreuter heute ist, konnte keinen Kontakt herstellen.

Ihren Anfang nahm die neue Siemens-Affäre ausgerechnet in der Schweiz, in der Unternehmen aus der ganzen Welt gerne Geschäfte abwickeln, die lieber verborgen bleiben sollen.

Konspiration wird auch in der Schweiz schwieriger

Die eidgenössischen Banken und Steuerbehörden galten lange Zeit als besonders verschwiegen; aber inzwischen sind konspirativ agierende Finanzhändler, die möglichst unauffällig hohe Summen verschieben wollen, auch dort nicht mehr sicher.

Im Spätsommer 2005 erhielt die Schweizerische Bundesanwaltschaft, deren Fahnder die Organisierte Kriminalität und andere schwere Verbrechen verfolgen, einen Hinweis auf Geldwäsche. Der Tipp stammte offenbar von einer Bank, die sich an die eidgenössische Meldestelle für Geldwäscherei gewandt hatte; von dort gelangten die Informationen zur Bundesanwaltschaft nach Bern. Und die leitete ein Ermittlungsverfahren ein.

Nach und nach zeigte sich, dass da offenbar nicht schmutziges Geld in sauberes verwandelt, also gewaschen werden sollte - sondern genau umgekehrt. Irgendwer brauchte wohl schwarze Kassen, die mit vielen Millionen Euro und Franken gefüllt waren, für schmierige Geschäfte.

Zugang zu prall gefüllten Konten

In den Fokus der Fahnder gerieten drei Leute, die Zugang zu prall gefüllten Konten hatten: Zwei ehemalige Mitarbeiter von Siemens und eine weitere Person, die ,,in Beziehung'' zum Großkonzern steht, wie das die Bundesanwaltschaft formuliert.

Von der Schweiz aus führten die Spuren in der einen Richtung unter anderem nach Griechenland; dort sollte das Geld ausgegeben werden. Und in der anderen Richtung über die in der Karibik gelegenen Virgin Island und die USA nach Deutschland zu Siemens; von dort kam das viele Geld her.

Die Ermittler enthüllten ein geheimes, weit verzweigtes internationales Finanzsystem, das bei Siemens begann, und dort vermutlich auch enden sollte.

Aus den mindestens 20 Millionen Euro, die nach den Erkenntnissen der Münchner Staatsanwaltschaft alleine bei diesem Projekt investiert wurden, wären im Laufe der Zeit womöglich mehrere hundert Millionen oder gar einige Milliarden Euro geworden; dank lukrativer Aufträge für den Großkonzern, die - so der Verdacht - über Schmiergeldzahlungen besorgt werden sollten.

,,Erschließung neuer Märkte''

Die Münchner Strafverfolger ermitteln wegen ,,Bestechung im geschäftlichen Verkehr'' - eine hübsche Formulierung. Die Bundesanwaltschaft in der Schweiz untersucht, ob zur ,,Erschließung neuer Märkte'' verdeckte Zahlungen an aktuelle und potentielle Geschäftspartner geleistet worden seien, um Projekte akquirieren und verwirklichen zu können.

Die Berner Fahnder haben nach eigenen Angaben Bankguthaben in Höhe von mehr als zehn Millionen Euro blockiert. Insider berichten, in der Schweiz lagerten noch mehrere zehn Millionen Euro, die Siemens zuzurechnen seien.

Konzern im Konzern

Ausgangspunkt des Finanzsystems war die Siemens-Sparte Com in München, vormals ICM und ICN, die weltweit Datennetze errichtet; ein Konzern im Konzern mit 87 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, der ganze Staaten verkabelt und verdrahtet.

Von Siemens-Com dort flossen hohe Beträge an Firmen aus den USA und Österreich; für Beraterverträge, von denen die Fahnder glauben, es seien Scheinverträge. Diese Firmen reichten das Geld, vermutlich über Scheinrechnungen, weiter an drei ominöse Handelsgesellschaften auf den Virgin Islands in der Karibik mit Phantasienamen wie ,,Eagle Invest''.

Hinter diesen drei Gesellschaften wiederum kamen bei den Nachforschungen der Fahnder zwei ehemalige Siemens-Mitarbeiter zum Vorschein, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren verlassen hatten - um Sonderaufgaben zu erfüllen?

Die Umwege Österreich, USA und Virgin Islands

Offenbar sind das jene beiden Ex-Beschäftigten, gegen die auch die Bundesanwaltschaft in der Schweiz ermittelt und die dort diverse Konten verwalten, die über die Umwege Österreich, USA und Virgin Islands und diverse Holdings wie ,,Martha Overseas'' gespeist worden waren.

Einmal nach Übersee und zurück. Die beiden ehemaligen Siemens-Leute sollten das viele Geld, das offiziell längst nicht mehr dem Konzern gehörte, nach den Erkenntnissen der Fahnder an Siemens-Manager in aller Welt weiterleiten, beispielsweise an eine Führungskraft in Griechenland.

Sollte dieser Top-Mann in Athen auf diese Weise also Gelegenheit erhalten, freizügig Bares zu verteilen, um Großaufträge zu besorgen? Genau das vermuten die Fahnder; sie ermitteln unter anderem wegen eines Siemens-Projektes bei den Olympischen Sommerspielen 2004 in Athen.

Dass die beiden Ex-Beschäftigten dieses Finanzsystem aus eigenem Antrieb aufgebaut und betrieben haben, um Siemens auszuplündern, ist kaum anzunehmen.

Umfassende Vollmachten

Die Staatsanwaltschaft verdächtigt die beiden ehemaligen Com-Vorstände Kutschenreuter und Mattes, mit Leuten ihres Vertrauens dieses System der schwarzen Kassen vereinbart und umfassende Vollmachten für einzelne Operationen erteilt zu haben. Mit den beiden Top-Managern sei auch abgesprochen gewesen, Unternehmen und Behörden in aller Welt zu bestechen, lautet der Vorwurf. Auch dazu gaben die Manager sowie Siemens keinen Kommentar.

Am Nachmittag schließlich kündigte der Konzern an, seine Überwachungsregeln noch einmal zu verschärfen und Schwachstellen zu prüfen. Umgehend werde eine Revision durchgeführt, hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens.

Künftig soll zudem eine Nürnberger Kanzlei die Funktion eines Ombudsmanns für Siemens übernehmen. Mitarbeiter des Konzerns können sich künftig vertraulich an diese Juristen wenden, wenn sie Hinweise auf Vergehen von Kollegen haben und sie aus Angst vor Repressalien nicht im Unternehmen weitergeben wollen. In vergleichbaren Einrichtungen bei anderen Unternehmen wie VW waren ernstzunehmende Hinweise eingegangen, hieß es.

Geringes Interesse an dem schmutzigen Geld

Ungewiss ist nun, was aus den vielen Millionen Euro wird, die noch auf den Konten in der Schweiz liegen sollen. Inzwischen, so scheint es, will sie niemand mehr haben. Siemens jedenfalls dürfte wohl kaum Interesse an dem schmutzigen Geld anmelden.

© SZ vom 18.11.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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