Gastbeitrag:Absurder Leichtsinn

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Wer einzelne Länder aus dem Euro entlassen will, riskiert einen Zerfallsprozess.

Gerhard Illing, Sebastian Jauch und Michael Zabel

Die aktuelle Debatte um die Zukunft des Euro krankt an intellektueller Rechtschaffenheit. Die Ereignisse der letzten Jahre haben deutlich aufgezeigt, dass eine dauerhaft stabile Währungsunion nicht zum Nulltarif zu haben ist. Eine Währungsunion kann unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb der Regionen nicht durch bloße Geldpolitik entgegensteuern. Das Funktionieren des Euro erfordert daher eine Instanz, die solche regionalen Ungleichgewichte wirksam ausgleichen kann.

Die naive Vorstellung, dieses Ziel - wie in den Maastricht-Kriterien formuliert - über ein "minimales fiskalisches Europa" erreichen zu können, wurde in den letzten Jahren eindrucksvoll als Selbstbetrug entlarvt. Es gehört zur intellektuellen Rechtschaffenheit, den Menschen in Deutschland offen zu erklären, dass der Erhalt des Euro ohne weitgehende institutionelle Reformen nicht möglich sein wird. Statt diese Erkenntnis offen auszusprechen, werden derzeit scheinbare Lösungsszenarien präsentiert, welche die Illusion nähren, die Krise durch eine Lockerung des Währungsverbundes überwinden zu können.

Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist der jüngst in der Süddeutschen Zeitung präsentierte Vorschlag von Hans-Werner Sinn und Friedrich Sell, einzelne Krisenländer temporär aus dem Euro austreten zu lassen und sie dann nach erfolgter Abwertung und struktureller Gesundung wieder in den Euro aufzunehmen. Dieser Vorschlag verkennt den fundamentalen Unterschied zwischen der vergleichsweise schmerzlosen Auflösung einer Wechselkursbindung und dem chaotischen Auseinanderbrechen einer Währung. Es gibt nur wenige historische Beispiele für einen solchen Prozess - wie den Zerfall des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs oder Jugoslawiens. Und immer ging dies mit einer politischen Desintegration der betroffenen Regionen einher.

De facto bedeutet ein temporärer Austritt aus dem Euro nichts anderes als die Abschaffung des einheitlichen Währungsraums. Das Euro-System würde degradiert zum einem System (temporär) fester Wechselkurse zwischen den beteiligten Euro-Staaten. Zahlreiche Studien zeigen die inhärente Instabilität eines solchen Systems bei freiem Kapitalverkehr. Die Debatte um einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion belegt eindrucksvoll, dass allein schon die Furcht vor einem solchen Schritt explosive Dynamiken herbeiführt, die ebendieses Szenario endogen immer wahrscheinlicher werden lassen: Aus Angst vor einer Umwandlung ihrer Ersparnisse in dann deutlich abgewertete Drachmen versuchen Griechen wie ausländische Anleger ihre Ersparnisse ins vermeintlich "sichere" Ausland zu schaffen. Dies hat eine gewaltige Kapitalflucht in Gang gesetzt, die zu enormem Kapitalmangel im Land selbst führt und so die Krise dort enorm verstärkt. Dies wiederum lässt die Rufe nach einem Austritt umso mehr erstarken.

Nur wenn er auf Dauer angelegt ist, kann ein einheitlicher Währungsraum die Vorteile bringen, für die er gegründet wurde. Je stärker die Zweifel am Fortbestand des Währungsraums sind, desto höhere Risikoprämien werden Anleger zwangsläufig fordern und so eine innere Instabilität schaffen. Eine Währungsunion auf Abruf: Diese Vorstellung ist absurd. Sie würde eine dauerhaft nicht tragbare Situation schaffen. Wie glaubhaft wäre es, nach einem Austritt Griechenlands davon auszugehen, dass der Euro-Raum in seiner Zusammensetzung stabil bleiben kann?

Ohne schmerzhafte Reformen wird eine dauerhafte Lösung der Euro-Krise nicht möglich sein. Das Szenario eines Auseinanderbrechens des Euro-Raums birgt für Deutschland unkalkulierbare ökonomische Risiken. Die direkten Kosten eines Austritts Griechenlands mögen beherrschbar erscheinen, nach einem Austritt Griechenlands wird es für Anleger aber immer wahrscheinlicher, dass bald auch Portugal und Spanien den Währungsraum verlassen. Der Schritt zu Italien ist dann nicht mehr weit. Die Furcht vor einem Austritt würde die Kapitalflucht dramatisch verschärfen. Sie löst eine fatale Abwärtsspirale aus und wird so zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die Rückkehr zu nationalen Währungen in Europa wäre die logische Konsequenz. Eine solche Kettenreaktion triebe die Folgekosten eines Griechenlandaustritts in immense Höhen.

Über die Wiedereinführung der Deutschen Mark mögen sich deutsche Touristen zunächst vielleicht freuen. Schließlich würde der Urlaub an Adria und Algarve wegen der starken DM deutlich günstiger. Die Richtung Deutschland einsetzende Kapitalflucht würde aber einen massiven Aufwertungsdruck auf die DM ausüben und so die durch Lohnzurückhaltung hart erkämpfte Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie über Nacht wieder zunichtemachen.

Deutschland könnte sich diesem Aufwertungsdruck auch nicht nach dem Modell der Schweiz entziehen. Die Schweizer Zentralbank kauft momentan in großem Umfang europäische Anleihen, um sich dem Aufwertungsdruck des Franken gegenüber dem Euro entgegenzustemmen. Sollte die Deutsche Bundesbank diesem Beispiel folgen, müsste sie französische, spanische und italienische Staatsanleihen kaufen. Um die deutsche Exportwirtschaft zu stützen, müsste nach einem Auseinanderbrechen des Euro-Raums also genau das getan werden, was heute so einmütig verteufelt wird: die Finanzierung der Defizite anderer europäischer Länder durch die Zentralbank. Der deutsche Bundeshaushalt würde bei der Rückkehr zur DM somit langfristig durch einen massiven Einbruch der Wirtschaft und steigende Arbeitslosigkeit belastet.

Was das für die aktuelle Debatte bedeutet? Was daraus für Konsequenzen zu ziehen sind? Der Weg zurück zum europäischen Flickenteppich ist mit unkalkulierbaren sozialen, politischen und ökonomischen Risiken verbunden. Ein dauerhaft stabiler gemeinsamer Währungsraum bedarf, wie von vielen Ökonomen von Anfang an gefordert, einer gemeinsamen Politik. Dies schließt demokratisch legitimierte europäische Institutionen ein, die selbst Steuern erheben und stabilitätsorientierte Fiskalpolitik betreiben können. Dies ist nicht von heute auf morgen umsetzbar, aber es wird Zeit, dass europäische Politiker den Weg dorthin aufzeigen. Die Geldpolitik der EZB verschafft Zeit, stellt aber keine langfristige Lösung dar.

© SZ vom 03.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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