Fußball:Kostbare Beine

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Bei der EM verletzte sich Joshua Kimmich. Zum Glück nur eine Schürfwunde. Gegen Verletzungen können Spieler und Verein versichern. (Foto: Matthias Koch/imago)

Wie sich Fußball-Profis gegen Verletzungen und Invalidität versichern. Die gesetzliche Krankenversicherung reicht nicht aus, um den Verdienstausfall aufzufangen.

Von Patrick Hagen, Berlin

Für Antonio Rüdiger war die Europameisterschaft schon vor dem offiziellen Beginn vorbei. Im ersten Training des DFB-Teams im EM-Quartier verletzte er sich: Kreuzbandriss. Nicht nur die EM ist für ihn gelaufen, ihn erwartet auch eine Zwangspause von voraussichtlich sechs Monaten. Verletzungen gehören zum Alltag der Profis. In der Bundesliga fällt ein Spieler im Durchschnitt 50 Tage pro Saison aus. Nur wenige Sportler bekommen ihr Gehalt auf jeden Fall so lange weiterbezahlt, bis sie wieder fit sind. "In Deutschland sind die Spieler ganz normale Arbeitnehmer, das heißt, der Arbeitgeber muss bei einer Verletzung oder Krankheit grundsätzlich nur sechs Wochen das Gehalt weiterzahlen", sagt Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV). Nur einige hochkarätige Profis können mit ihren Vereinen längere Fristen vereinbaren.

Nach sechs Wochen springt die gesetzliche Unfallversicherung ein, wenn der Unfall auf dem Weg zur Arbeit, beim Training oder während eines Spiels passiert ist. Für Fußballer ist die Verwaltungsberufsgenossenschaft zuständig. Sie zahlt ein Verletztengeld von maximal 6400 Euro pro Monat. Bei Durchschnittgehältern von mehr als 100 000 Euro jährlich in der Bundesliga reicht das nicht, um den Verdienst lückenlos abzusichern. Handelt es sich nicht um einen Unfall und ist der Spieler gesetzlich krankenversichert, bekommt er bis zu 2600 Euro netto von der Krankenkasse.

In der Bundesliga und der zweiten Liga sind fast alle Spieler privat krankenversichert, sagt Stefan Gericke, Sportexperte beim Makler Aon. Das Unternehmen ist einer der großen Vermittler von Versicherungen für Fußballprofis. "Insgesamt sind mehr als 250 Spieler in der ersten und zweiten Liga über Aon versichert", sagt Gericke.

Allerdings trauen sich nur wenige private Krankenversicherer an das Geschäft heran - genauer gesagt zwei: Die Allianz und die DKV, die zu Ergo und damit der Munich Re gehört, bieten Verträge für Profispieler an, sagt Gericke. Die Preise sind hoch. Manche Spieler zahlen mehrere Tausend Euro im Monat. "Die Beiträge richten sich auch nach der Verletzungshistorie des Spielers", sagt der Experte. Bei dem privaten Krankenversicherer können die Spieler zusätzlich ein Krankentagegeld vereinbaren, das von der sechsten Woche an gezahlt wird. Dann fließen bis zu 1500 Euro am Tag, aber dafür sind weitere vierstellige Beträge als monatliche Prämie fällig.

Schwere Verletzungen wie ein Knorpelschaden können bei Spielern sogar zum Karriereende führen. Über die Hälfte der Sportinvaliden kommt aus dem Fußball, sagt Aon-Experte Gericke. Dagegen versichern sich viele Spieler mit einer sogenannten Sportinvaliditätsversicherung. Die Policen ähneln einer Berufsunfähigkeitsversicherung, mit der sich Arbeitnehmer für den Fall absichern, dass sie ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können. Ein wichtiger Unterschied: "Die Verträge laufen nur für ein Jahr und verlängern sich danach", sagt Gericke. Der Versicherer hat aber vor der Verlängerung das Recht, bestimmte Körperteile von der Deckung auszuschließen, die Prämie anzupassen oder gar den Vertrag zu kündigen.

Die Kündigung sei aber selten, sagt Gericke von Aon. Es sei auch selten, dass die Versicherer die Zahlung komplett verweigern. Bei normalen Berufsunfähigkeitspolicen sorgt die Frage, ob ein Kunde wirklich berufsunfähig ist, häufig für Ärger mit dem Versicherer. Seit 2002 hat Aon 16 Invaliditätsfälle für Fußballprofis abgewickelt. Allerdings sorgen nicht alle Fußballer ausreichend vor. "Viele junge Spieler unterschätzen das Risiko", sagt Gericke.

Auch an die Invaliditätsdeckung für Fußballprofis trauen sich nur wenige Gesellschaften. Ein Grund sind die regelmäßigen Verletzungen, mit denen die Spieler zu kämpfen haben. "Manche Anbieter haben sich nach hohen Schäden wieder aus dem Markt zurückgezogen", so Gericke. Der Makler entwickelt eigene Deckungen und sucht dafür Versicherer im Markt. Auch der Spezialversicherer Tokio Marine HCC in Barcelona und der Londoner Versicherungsmarkt Lloyd's haben solche Policen.

Ein weiterer Anbieter von Sportinvaliditätspolicen ist Ergo Specialty. Wie viele Spieler das Unternehmen versichert, will Arne Linke, Experte für die Versicherung von Profisportlern bei Ergo Specialty, nicht sagen. Nur so viel: "Bei jedem Bundesligaspiel läuft in der Regel ein von uns versicherter Spieler mit auf." Die Spieler sichern in der Regel das drei- bis fünffache Jahresgehalt in den Invaliditätsverträgen ab, sagt Linke. Die Prämie dafür liegt im Durchschnitt bei einem Prozent der Versicherungssumme. Wer also eine Million Euro absichern möchte, zahlt dafür eine Jahresprämie von 10 000 Euro. Die Prämie ist auch abhängig vom Alter des Spielers sowie von Vorverletzungen.

Die Bundesligavereine selbst sichern sich ebenfalls ab. Das Risiko: Der Neuzugang, für den der Klub möglicherweise eine hohe Ablöse gezahlt hat, verletzt sich sofort schwer. "Die Ablöse wird bei Klubs, die als Kapitalgesellschaft organisiert sind, über die Vertragslaufzeit abgeschrieben, bei einer Invalidität des Spielers muss der Wert direkt abgeschrieben werden", sagt Linke. Dagegen gibt es eine sogenannte Marktwertversicherung.

In anderen europäischen Ligen ist die Situation für die Spieler komfortabler. In Spanien und England haben Spielergewerkschaft und Vereine einen Tarifvertrag geschlossen. "In der englischen Premier League zahlen die Klubs das volle Gehalt bis zum Vertragsende weiter", sagt Geschäftsführer Baranowsky von der Spielergewerkschaft. Einen Tarifvertrag mit einer entsprechenden Regelung verlangt sein Verband auch für Deutschland. "Viele Spieler hätten gern, dass die Lohnfortzahlung ausgeweitet wird."

Passiert einem Spieler während der Europameisterschaft etwas, greift neben den individuellen Versicherungen der Spieler eine Deckung, die der DFB sowohl zu Gunsten der Spieler als auch der Vereine abgeschlossen hat. Gezahlt wird eine Pauschalsumme, unabhängig vom dem tatsächlichen Gehalt der Spieler. Zur Höhe der Deckung wollte der DFB keine Angaben machen. Auch der Fußball-Weltverband Fifa entschädigt Vereine, deren Spieler sich bei einer Welt- oder Europameisterschaft verletzen. Die Klubs erhalten maximal 7,5 Millionen Euro pro Spieler.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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