Fusionen:Die Annäherung

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Der US-Agrarkonzern Monsanto hat bei manchen Landwirten und Verbrauchern ein verheerendes Image. Dies ist eine der Herausforderungen, die Bayer nach der Übernahme des Saatgutherstellers meistern muss. (Foto: Daniel Acker/Bloomberg)

Der Kauf von Monsanto durch Bayer ist ein Risiko. Übernahmen von US-Konzernen werden oft zum Desaster. Sind beide Seiten gut vorbereitet? Bayer behauptet es.

Von Karl-Heinz Büschemann und Kathrin Werner, München/New York

Der Bayer-Vertreter war begeistert. In Amerika, so der Mann aus Leverkusen, werde der Besucher manches finden, "was ihm nicht gefällt und was bei uns besser ist". Aber er werde auch "vieles finden, was er zum Heile unserer heimischen Industrie ausnutzen kann." Diese Erkenntnis stammt allerdings nicht von Bayer-Chef Werner Baumann, der gerade dabei ist, in Amerika das umstrittenste Unternehmen der Welt für wahnsinnig anmutende 66 Milliarden Dollar zu kaufen. Sondern von Carl Duisberg, einem fernen Vorgänger Baumanns. Der Wissenschaftler und spätere Chef von Bayer war 1896 zum ersten Mal über den Atlantik gefahren, um sich nach den Chancen für sein Unternehmen in Amerika umzusehen. Er fand sie. Bayer beschloss 1903 den Bau der ersten US-Fabrik.

Der alte Pionier ist ein Wegbereiter für den jüngsten Amerika-Plan der Leverkusener, der auch 80 Jahre nach Duisberg ein Abenteuer ist: Die Übernahme von Monsanto ist die größte Fusion, an der jemals ein deutscher Konzern beteiligt war.

Aktionäre und Mitarbeiter von Bayer wie Monsanto fragen sich nun, ob das gut gehen kann. Vor allem auf deutscher Seite ist die Skepsis groß. Nach Bekanntwerden der Pläne im Mai ging der Aktienkurs von Bayer deutlich zurück. Erfahrungen deutscher Unternehmen mit Übernahmen in den USA sind oft schlecht.

Die Daimler-Chrysler-Hochzeit vernichtete zweistellige Milliardenwerte

Daimler übernahm 1998 den US-Autohersteller Chrysler. Das vollmundig angekündigte Projekt scheiterte krachend und vernichtete zweistellige Milliardenwerte. Die Deutsche Telekom kaufte 2000 den US-Mobilfunkanbieter Voicestream für umgerechnet 50 Milliarden Euro. Die Deutschen bedauerten den Kauf schnell. Im Jahr 2014 kaufte Siemens den US-Maschinenbauer Dresser Rand und geriet durch fallende Ölpreise mit der überbezahlten Neuerwerbung, die von Aufträgen der Ölindustrie lebt, in eine Abwärtsspirale.

Im Falle von Monsanto ist vor allem das katastrophale Image des Konzerns aus St. Louis ein Riesenproblem für die Leverkusener. Monsanto ist besonders im Geschäft mit genveränderten Lebensmitteln und mit umstrittenen Pestiziden wie Glyphosat vertreten. Vor allem in Lateinamerika hat sich der Konzern quälende Kämpfe mit lokalen Bauern vor Gerichten geliefert. Monsanto galt schnell als rücksichtslose Profitmaschine, die Bauern versklavt. Bayer-Chef Baumann allerdings glaubt, dass er die Übernahme von Monsanto stemmen kann, trotz vieler Vorbehalte in Gesellschaft und Politik. "Wir sind sehr gut vorbereitet", sagte Baumann jetzt der SZ, "und trauen uns zu, Monsanto zu integrieren".

Das dürfte aber dauern. "Das Image ist so zerstört, dass man es nicht mehr reparieren kann", urteilt Werner Antweiler, Wirtschaftsprofessor an der University of British Columbia in Kanada über den umstrittenen Konzern. Der Professor sieht daher in einer Übernahme aber den einzigen Weg, dieses schreckliche Image loszuwerden. "Das Marketing war über Jahre hinweg eine Katastrophe, die haben die öffentliche Meinung ignoriert."

Den Managern aus St. Louis war das schon lange klar. Der seit 2003 amtierende Monsanto-Chef Hugh Grant versucht seit einiger Zeit dem schlechten Ansehen entgegenzuwirken. "Ich glaube, dass Unternehmen wie meins daran arbeiten müssen, zu erklären, was Landwirtschaft ist und woher Essen kommt", sagt er. Schon vor Jahren hat er eine Charme-Offensive gestartet, für seine Firma und für Gentechnik in der Landwirtschaft insgesamt. Der Konzern schaltete sogar Werbefilme, in denen er fröhliche Menschen beim Abendessen zeigt und nebenbei einfließen lässt, wie viele Gedanken er sich um gutes Essen für eine wachsende Weltbevölkerung macht.

Die Mitarbeiter zeigen sich zunehmend zufrieden über ihren lange kritisch gesehenen Arbeitgeber, das ergibt sich aus Meinungsäußerungen von Monsanto-Beschäftigten. Beobachter wie Wirtschaftsprofessor Antweiler glauben allerdings nicht, dass Monsantos Werbekampagne schon gefruchtet hat. "Monsanto war zu lange zu sehr auf kurzfristige Gewinne orientiert und nicht so sehr auf den Aufbau einer langfristig guten Reputation."

Für Bayer wird die Übernahme von Monsanto daher ein harter Ritt. Die Leverkusener werden dem vermutlich auch dadurch begegnen, dass sie den belasteten Namen Monsanto aufgeben werden, sobald die Verträge unterschreiben sind. Baumanns Experten behaupten, sie hätten die Kulturen beider Konzerne genau untersucht. "Da fühlen wir uns gut", sagt ein Manager. Dem gegenüber stehen Untersuchungen wie die der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group, wonach 52 Prozent aller Übernahmen Wert vernichten und zu Fehlschlägen werden.

Auf dem Gebiet der Firmenkäufe hat Bayer allerdings Erfahrung. So kauften die Leverkusener 2003 die Pflanzenschutzsparte von Aventis. Im Jahr 2006 übernahmen sie den Berliner Konkurrenten Schering mit 25 000 Mitarbeitern. Vor zwei Jahren sicherte sich Bayer von dem US-Konzern Merck für 14 Milliarden Dollar das Geschäft mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten. In diesem Fall sind ihnen aber Fehler unterlaufen. Sie schätzten den Kauf falsch ein und mussten teuer nachinvestieren. Dennoch heißt es bei Bayer, aus den früheren Fälle hätten sie genug gelernt: "Monsanto ist nicht komplexer".

Die Unterschiede zwischen den deutschen und amerikanischen Unternehmenskulturen werden häufig unterschätzt, glaubt Werner Antweiler, der in Leverkusen aufgewachsen ist, aber schon seit 26 Jahren auf der anderen Seite des Atlantiks lebt. "Obwohl Unternehmen heutzutage viel internationaler arbeiten, ist die Art der Führung in den USA immer noch anders als in Deutschland", sagt er. Amerikanische Firmen hätten meist flachere Hierarchien und einen freieren Informationsfluss. Die Türen stünden offener. Es sei für einfache Mitarbeiter leichter möglich, mit Managern aus höheren Ebenen zu sprechen und umgekehrt: für Manager sei es üblich, einfache Mitarbeiter anzusprechen, wenn sie eine Frage hätten, statt ihr Anliegen durch die Hierarchie-Ebenen hinabzureichen. "Nach einer Übernahme kann das zu Konflikten führen."

Der deutsche Industriegaslieferant Linde bekam gerade zu spüren, wie wenig amerikanische Geschäftspartner von europäischen Managern halten. Linde und der US-Konzern Praxair wollten sich zusammenschließen. Ein Milliardending. Doch schnell machten die selbstbewussten Amerikaner den Deutschen klar, dass der Sitz des neuen Unternehmens selbstverständlich in den USA liegen müsste. Auch das Europa-Geschäft sollte von den USA aus geführt werden: von einem Amerikaner. Linde sagte den Deal frustriert ab.

Bayer-Chef Baumann und sein Partner Grant hoffen, solche Differenzen vermeiden zu können. Beide Seiten setzen auch weniger auf Kostenersparnisse durch die Fusion mit Monsanto, sondern auf die Zusammenarbeit der Forscher. Bayer wie Monsanto sind innovationsorientiert und an der Entwicklung neuer Produkte interessiert. Dieser starke Fokus auf Forschung und Entwicklung helfe bei der Verschmelzung, meint Professor Antweiler. "Für Forscher ist vor allem wichtig, dass sie gute Bedingungen für die Forschung haben". Probleme sieht der Experte in den oberen Etagen, dort seien "die Unterschiede in der Geschäftspolitik groß".

Bayer-Konzernchef Baumann hat der SZ gesagt, er wolle den 150 Jahre alten Traditionskonzern seinem Nachfolger in einer besseren Verfassung übergeben, als er ihn vor ein paar Monaten übernommen hat. Dabei spielen die USA offenbar eine entscheidende Rolle. Dieser Meinung war schon sein früher Vorgänger Carl Duisberg. Der war nach seinen Besuchen in Amerika so begeistert, dass er dort an grenzenlose Möglichkeiten für Gewinne glaubte: "Hier rollt das Gold", schrieb er, "als wenn es wie in Monte Carlo an der Spielbank oder wie die Austern an den Banken gewonnen würde." Dieser Glaube hat sich in Leverkusen erhalten.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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