Franken:Drehmoment

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Windräder, Flugzeuge, Züge - überall braucht man Wälzlager. Doch der Schaeffler-Konzern hat in diesem Bereich Probleme. Nun soll ein neuer Vorstand das Geschäft wieder voranbringen.

Von Uwe Ritzer, Herzogenaurach

In seiner Freizeit spielt Björn Theobald Schlagzeug. Damit ist er zuletzt auch seinem Arbeitgeber positiv aufgefallen: der Firma Schaeffler. Mit seiner Band hat der Pfälzer nämlich eine Feuerwehrhymne komponiert, die einen einschlägigen Wettbewerb gewann und nun als offizielle deutsche Feuerwehrhymne firmiert. Titel: "Tatütata - unsre Feuerwehr". "Bei der Musik und der Feuerwehr ist eines gleich", vertraute Theobald der Mitarbeiterzeitung von Schaeffler an. "Man muss jeden Tag mit allem rechnen, man weiß nie, was auf einen zukommt."

Diese Erfahrung dürfte auch Stefan Spindler gemacht haben, wenn auch in anderer Form. Seit gut einhundert Tagen ist der 52-Jährige, einst Manager bei Liebherr, MAN und Bosch-Rexroth, im Vorstand der Schaeffler AG für deren Industriegeschäft zuständig. Dort muss er zwar keinen Brand löschen, wohl aber einen verhindern - im übertragenen Sinne. Denn gemessen an der boomenden Automobil-Zuliefersparte des Familienkonzerns aus dem fränkischen Herzogenaurach kommt dessen Industriesparte nicht richtig voran.

Vor vier Jahren erwirtschaftete die Schaeffler-Gruppe noch ein Drittel ihres Umsatzes mit Wälz- und Gleitlagern für die Anwendung in mehr als 60 Branchen wie in der Luft- und Raumfahrt, bei Eisenbahnen oder Windkraftanlagen. Inzwischen steuert die Industrie-Sparte gerade noch 25 Prozent der Erlöse bei, und Schaeffler wäre schon froh, wenn sich der Umsatzanteil in den kommenden Jahren auf diesem Niveau stabilisieren würde. Auch was die Profitabilität angeht, hinkt das Industrie- dem Autogeschäft weit hinterher. Nun soll es Stefan Spindler richten.

Ein Windkraftwerk in Mecklenburg: Für solche Anlagen liefert Schaeffler Bauteile. Doch das Geschäft wird für den Familienbetrieb nicht mehr genug ab. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Am 1. Mai löste er Robert Schullan, 57, ab, dessen Vertrag nach drei Jahrzehnten im Unternehmen nicht mehr verlängert wurde. Sein Nachfolger ging umgehend ans Werk und schnürte einen tief greifenden Umbauplan namens "Core", Kern also. Mehr sei es nicht, sagt Spindler, "es ist kein Abbau- oder Sanierungsprogramm." Denn sanieren müsse man nichts. Vielmehr gehe es darum, künftig mit Produkten für die Industrie mehr Umsatz zu erwirtschaften, profitabler zu werden und die Lücke zum boomenden Automobilbereich nicht weiter wachsen zu lassen. Die ist enorm, wie sich auch im ersten Halbjahr zeigte.

Insgesamt erwirtschaftete die auf fast 84 000 Mitarbeiter gewachsene Schaeffler-Gruppe zwischen Januar und Juni 6,7 Milliarden Euro Umsatz, 12,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Währungsbereinigt ergibt sich ein Plus von 4,9 Prozent. "Wir haben unseren profitablen Wachstumskurs fortgesetzt und sind nun sechs Quartale in Folge gewachsen", sagte Vorstandschef Klaus Rosenfeld zufrieden. Die Autosparte wuchs um 14,1, beziehungsweise währungsbereinigt um 6,9 Prozent auf fast 5,1 Milliarden Euro Umsatz. Das Industriegeschäft legte hingegen nur um 7,5 Prozent zu, währungsbereinigt schrumpfte es sogar leicht.

Spindler soll ein weiteres Auseinanderdriften verhindern und die Kluft bestenfalls verkleinern. In einem ersten Schritt wird gespart, insgesamt ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag bis 2018. Größter Einzelposten: 500 der 2800 Stellen in Vertrieb und Verwaltung der Industriesparte in Europa werden gestrichen. "Wir werden den Abbau sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen abwickeln", sagte Spindler. Über natürliche Fluktuation, Altersteilzeit und Aufhebungsverträge. Die meisten der 500 Jobs fallen in Deutschland weg.

"Unser Ziel ist es, so viele Mitarbeiter wie möglich in die Automotive-Sparte zu übernehmen", so Spindler. Große Auseinandersetzungen mit Betriebsrat und IG Metall sind nicht zu erwarten, zumal Schaeffler seit Jahren Arbeitsplätze in Deutschland schafft. Mehr als 4000 waren es seit 2009, davon 1100 allein im vergangenen Jahr. Im ersten Halbjahr 2015 kamen weitere 200 neue Jobs hinzu.

Um Kunden schneller zu beliefern, sollen drei neue Verteilzentren entstehen

Spindler will überdies die Lieferfähigkeit der Industriesparte verbessern. Um die Produkte schneller zu den Kunden zu bringen, werden zusätzlich zu einem bestehenden Verteillager in Schweden neue in Italien, England und im unterfränkischen Kitzingen errichtet. Manager vor Ort bekommen mehr Verantwortung, die Abläufe werden gestrafft, der Kundenservice verbessert. Forcieren will Spindler das Geschäft mit Standard-Wälzlagern, von denen mehr auf Halde produziert werden sollen, um schneller ausliefern zu können. "Wir werden auch unsere Kapazitäten in Wachstumsregionen wie Asien und Amerika ausbauen", sagt Spindler. In all dies investiert Schaeffler 200 Millionen Euro.

Stefan Spindler, verheirateter Vater von zwei Kindern und passionierter Ausdauersportler, gehört zu einer ganzen Reihe von Managern, die Vorstandschef Rosenfeld um sich geschart hat. Konsequent hat der frühere Banker die Schaeffler-Spitze in den letzten zwei Jahren nach seinen Vorstellungen neu besetzt.

Rosenfelds Handlungsspielräume sind groß; er genießt nicht nur das Vertrauen des Aufsichtsrates, sondern vor allem von 80-Prozent-Firmeneigner Georg Schaeffler, 50, und dessen Mutter und 20-Prozent-Eignerin Maria-Elisabeth, 74. Was viel damit zu tun hat, dass Rosenfeld nach der höchst riskanten Übernahme der Continental AG 2008 die damit verbundene hohe Verschuldung der Familie und ihrer Firma in den Griff bekommen hat.

Statt der ursprünglich zwölf stehen noch neun Milliarden Euro Schulden zu Buche. Ihr 46-prozentiger Anteil an Conti und der Wert des eigenen Konzerns übersteigen die Schulden jedoch inzwischen bei Weitem. Erst im Frühjahr schätzte das US-Magazin Forbes allein das Vermögen Georg Schaefflers auf 24 Milliarden Euro und erklärte ihn zum reichsten Deutschen.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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