Forum:Wissen säen

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Zur Nobelpreisträgertagung in Lindau: Um den Hunger in Afrika effektiv bekämpfen zu können, müssen alle kooperieren. Ein Gastbeitrag von Howard-Yana Shapiro.

Von Howard-Yana Shapiro

Rund 195 Millionen Kinder in der Welt sind zu klein für ihr Alter, sie leiden unter Wachstumsstörungen. In manchen afrikanischen Ländern sind bis zu 50 Prozent der Kinder in ihrem Wachstum gebremst. Zwar ist die Zahl der Unterernährten weltweit seit 1990 etwa um 200 Millionen gesunken, dennoch bekommt in manchen Regionen in Afrika immer noch ein Drittel der Bevölkerung nicht genügend zu essen.

Beim diesjährigen G-7-Gipfel im bayerischen Schloss Elmau war die Ernährungssicherung eines der Hauptgesprächsthemen. Die nach dem Treffen veröffentlichte Abschlusserklärung fordert die Förderung eines "sektorübergreifenden Ansatzes für Ernährung." Es ist sicher ermutigend, wenn in einer Welt, in der dies eigentlich möglich ist, die Finanzminister der fortschrittlichsten Volkswirtschaften der Welt die nötige Aufmerksamkeit auf dieses Problem richten und Finanzmittel dafür bereitstellen. Es müssen jedoch alle Betroffenen miteinbezogen werden, wenn wir in Afrika langfristig Wachstumshemmung und Mangelernährung eindämmen wollen.

Kinder mit Wachstumsstörungen werden nie ihr volles Potenzial ausschöpfen können, ob körperlich, geistig oder finanziell. Forschungsergebnisse zeigen, dass wachstumsgestörte Kinder krankheitsanfälliger sind und in der Schule schlechter abschneiden als ihre Altersgenossen. Darüber hinaus verdienen Erwachsene, die als Kinder fehl- oder unterernährt waren, durchschnittlich 20 Prozent weniger als diejenigen, bei denen das nicht so war. Das macht es schwieriger, den Armutskreislauf zu durchbrechen. Wenn wir uns einfach zurücklehnen und davon ausgehen, dass um uns herum schon sektorübergreifende Ansätze zum Umgang mit diesem Problem entstehen werden, behindern wir Gesundheit und wirtschaftlichen Wohlstand auf diesem Kontinent.

Wir müssen neue Formen der sektorübergreifenden Zusammenarbeit finden, die vielfältiger, tiefgreifender und wirksamer sind als bisher. Auch das Unternehmen Mars Incorporated teilt diese Meinung, eines der weltweit größten Lebensmittelunternehmen, für das ich seit zwanzig Jahren tätig bin.

Im Jahr 2011 starteten wir bei der "Clinton Global Initiative" ein Programm, das den Gedanken dieser Zusammenarbeit verkörpert: das African Orphan Crops Consortium (AOCC). Bei den sogenannten Orphan Crops handelt es sich um Pflanzen und Kulturpflanzensorten, die in ländlichen Haushalten eine wichtige Rolle spielen. Aber weil sie nicht zu den wichtigsten börsengehandelten Rohstoffen gehören, schenken ihnen die internationalen Forschungsnetzwerke wenig oder gar keine Aufmerksamkeit. In Afrika stehen auf der Liste der Orphan Crops unter anderem Pflanzen wie der Affenbrotbaum (Baobab), die afrikanische Spinnenpflanze oder die Fingerhirse, die alle reich an Nährstoffen sind und potenziell stark zur Ernährungssicherung des Kontinents beitragen könnten. Dem stehen aber niedrige Ernteerträge, eine niedrige Effizienz und die Schädlingsanfälligkeit entgegen.

Das African Orphan Crops Consortium wurde eingerichtet, um hier eine Änderung herbeizuführen. Modernste wissenschaftliche Ausrüstung und Methoden helfen bei der Sequenzierung, Assemblierung und Annotierung der Genome der 101 wichtigsten afrikanischen Nutzpflanzen. Dieses Unterfangen wurde im Kern durch eine ungewöhnliche globale Partnerschaft möglich: Afrikanische Union - Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (AU-NEPAD Agentur), World Agroforestry Centre (ICRAF), BGI, Life Technologies Corporation, World Wildlife Fund, University of California (Davis), Mars Incorporated und andere engagieren sich hier.

Derartige Programme sind allerdings nur wirksam, wenn sie auch den Menschen Entwicklung bringen, die diese am dringendsten benötigen: die Kleinbauern. Die Verantwortlichen der G 7 mahnten die Weltgemeinschaft sicherzustellen, dass unsere Maßnahmen "weiterhin Frauen, Kleinbauern und landwirtschaftliche Familienbetriebe befähigen."

Dies ist eine willkommene Änderung der Gangart, insbesondere angesichts der Kritik gegen die 2012 von der G 8 eingerichteten Neuen Allianz für Ernährungssicherung, von der manche behaupten, sie würde den Kleinbauern in Afrika sogar schaden.

Eine Akademie in Nairobi gibt Daten über Nutzpflanzen weiter. Kleinbauern profitieren davon

Zu diesem Zweck beschreitet das AOCC-Programm beim Umgang mit geistigem Eigentum einen eigenen Weg. Mithilfe eines Verfahrens der Public Intellectual Property Resource for Agriculture (PIPRA) werden alle in diesem Programm generierten Daten ohne Patente und Restriktionen öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Das Programm macht dieses Wissen den afrikanischen Kleinbauern, landwirtschaftlichen Familienbetrieben und Züchtern frei zugänglich und trägt so zur Entwicklung von robusteren Produkten mit höheren Erträgen und einem höheren Nährstoffgehalt bei.

Vier Jahre nach Einrichtung des AOCC wurden bereits Sacheinlagen im Wert von 50 Millionen Dollar zur Förderung der Arbeit aufgebracht und große Fortschritte bei der Sequenzierung des afrikanischen Pflanzengenoms erreicht. Dieses ist oft deutlich größer und komplexer als das menschliche Genom. Aber wir können es uns nicht leisten, die Forschung im Elfenbeinturm einzuschließen. Denn wenn wir tatsächlich bedeutsame Fortschritte in der Ernährungssicherung erzielen wollen, muss dabei genauso viel Augenmerk auf Befähigung und Umsetzung gelegt werden wie auf den wissenschaftlichen Fortschritt. Deshalb wurde in Nairobi die African Plant Breeding Academy eingerichtet; dort lernen 250 Wissenschaftler den Umgang mit den Daten aus dem Projekt. Mit mehr und mehr Absolventen der Academy, die beginnen, neue Nutzpflanzensorten zu züchten, sehen wir die Früchte dieses ungewöhnlichen sektorübergreifenden Programms.

Nur einen Monat nach dem G-7-Gipfel in Elmau richten sich die Augen der Welt derzeit wieder auf Deutschland, weil in Lindau derzeit die Nobelpreisträger tagen. Die Rekordzahl von 65 Nobelpreisträgern und mehr als 650 führende junge Wissenschaftler aus fast 90 Ländern strömen an den Bodensee, um eines der kritischsten Themen zu erörtern, zu diskutieren und voranzubringen. Jetzt, da Ernährungssicherung wieder so weit oben auf der Tagesordnung steht, können wir nur hoffen, dass die dort anwesenden jungen Wissenschaftler diese ungewöhnliche Zusammenarbeit getreu dem Motto der G 7 2015 weitervorantreiben: "An morgen denken. Gemeinsam handeln."

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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