Forum:Flexibler sein

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Die deutschen Rentenregelungen und die betriebliche Altersvorsorge stehen zu Recht auf der politischen Agenda.

Von Gert G. Wagner

Die Altersvorsorge ist eine Dauerbaustelle. Das stört Wissenschaftler und Kommentatoren, die gern ein System sähen, das sich über Jahrzehnte hinweg nicht strukturell ändert und so die Lebensplanung von Versicherten und Rentnern erleichtert. Aber das ist in einer Welt, die sich ständig ändert, eine reichlich akademische Lehrbuchvorstellung. Die Gesetzliche Rentenversicherung ist deswegen nach wie vor die zentrale Säule der Altersvorsorge, weil sie praktisch immer umgebaut und der Zeit angepasst wurde.

Die Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rentenphase - sei es durch Erwerbsminderung oder Erreichen einer Altersgrenze ausgelöst - ist nicht nur aktuell ein wichtiges Thema. Es wird immer ein kontrovers diskutiertes Thema bleiben, da - wie auch der Sozialbeirat ausdrücklich feststellt - es beim Übergang in den Ruhestand nicht nur auf das Rentenrecht und die Höhe der Rente ankommt, sondern vor allem auch darauf, die Ruhestandsphase in guter Gesundheit - und insbesondere nicht erwerbsgemindert - zu erreichen.

Ein umfassender betrieblicher Gesundheitsschutz kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die Erwerbsfähigkeit möglichst lang erhalten bleibt und deshalb Übergänge von Arbeit in den Ruhestand ohne gravierende Einkommenseinbußen gelingen. Und neben der flächendeckenden Umsetzung des gesetzlich verpflichtenden Arbeitsschutzes ist auch eine gute medizinische Versorgung und das gesundheitsbewusste Verhalten des Einzelnen notwendig.

Angesichts der Tatsache, dass sowohl die Arbeitswelt als auch die individuellen Versicherungsverläufe immer differenzierter werden, ist eine möglichst weitgehende Flexibilisierung der Rentenzugangsregelungen grundsätzlich wünschenswert.

Sinnvoll ist eine Neuregelung der Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten, schreibt Professor Gert G. Wagner. (Foto: Marco Urban)

Die Hinzuverdienstgrenzen könnten angehoben, Teilzeit erleichtert werden

Gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und im Hinblick auf eine zufriedenstellende Versorgung der Menschen im Alter sind - so stellt der Sozialbeirat fest - grundsätzlich alle Maßnahmen zu begrüßen, die einen längeren Verbleib der Beschäftigten in einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit real ermöglichen. Aber bei der Einräumung individueller Gestaltungsspielräume durch das Rentenrecht sollte im Grundsatz darauf geachtet werden, dass die Regelungen nicht zulasten der übrigen Beitragszahler und Rentner gehen. Berücksichtigt man zusätzlich, dass Gestaltungen flexibler Übergänge sowohl für die betroffenen Beschäftigten als auch für ihre Arbeitgeber finanziell zumutbar sein müssen und dem Ziel, eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung Älterer zu erreichen, zumindest nicht widersprechen sollten, zeigt sich, dass dieses Anliegen in vielen Fällen nicht einfach zu erreichen ist. Hinsichtlich des gesetzlichen Änderungsbedarfs im Rentenrecht ist der Sozialbeirat sich in folgenden Punkten einig:

Sinnvoll ist eine Neuregelung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten. Die bisherigen Regelungen zu Hinzuverdienstgrenzen sind zu kompliziert, weil die Berechnung der Verdienstgrenzen in der Regel die Inanspruchnahme der Beratung eines Rentenversicherungsträgers erfordert. Sie erschweren zudem unnötig die Möglichkeit, bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente erwerbstätig zu sein. Da vorgezogene Renten - von der Altersrente für besonders langjährig Versicherte und der Altersrente für Schwerbehinderte abgesehen - mit Abschlägen verbunden sind, könnten die Hinzuverdienstgrenzen mindestens deutlich angehoben und die Systematik ihrer Berechnung vereinfacht werden. Dies würde auch dazu beitragen, Kombinationen von Teilzeitarbeit und Teilrente zu erleichtern.

Zur weiteren Erleichterung von Teilzeitmodellen könnte zudem ermöglicht werden, Teilrenten in mehr als nur drei Stufen (bislang: ein Drittel, die Hälfte oder zwei Drittel der Vollrente) beziehen zu können. In Betracht käme zum Beispiel eine Staffelung von 20 bis 80 Prozent der Vollrente in Zehn-Prozent-Stufen, um den Nachjustierungsaufwand zu reduzieren.

Da die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass die Zahl der Erwerbstätigen jenseits der Regelaltersgrenze von im Moment gut 65 Jahren deutlich zugenommen hat, erscheint ein weiterer Anstieg wahrscheinlich. Der Sozialbeirat sieht deswegen keinen Bedarf, für eine Weiterarbeit jenseits des 65. Lebensjahres noch zusätzliche sozialrechtliche Anreize zu schaffen. Es gelten schon heute attraktive rentenrechtliche Bedingungen für diejenigen, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten wollen. Sofern sie - wie in der Regel der Fall - bereits Rente beziehen, müssen sie keine Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen, haben also einen höheren Nettoverdienst als sonstige Beschäftigte. Hinzuverdienstgrenzen haben sie nicht zu beachten, weil diese nur vor der Regelaltersgrenze gelten.

Im Übrigen steht es Beschäftigten, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten wollen, offen, den Rentenbeginn aufzuschieben und weiter zusammen mit ihrem Arbeitgeber in die Rentenversicherung einzuzahlen und damit zusätzliche Rentenansprüche zu erwerben. Dabei erhalten sie zudem für jeden Monat, um den sie ihren Rentenbeginn aufschieben, eine um 0,5 Prozent höhere Monatsrente. Es sei freilich angemerkt, dass einfachere Möglichkeiten der Befristung von Arbeitsverträgen für Rentenbezieher erwogen werden könnten, um die Beschäftigung jenseits der Altersgrenze für Arbeitgeber zu erleichtern.

Ausdrücklich weist der Sozialbeirat darauf hin, dass das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel einer Stärkung der betrieblichen Altersversorgung, insbesondere für kleine und mittlere Betriebe, besonders wichtig ist.

Der Rückgang des Sicherungsniveaus der Gesetzlichen Rentenversicherung macht deutlich, dass die gesetzliche Rente zukünftig alleine nicht ausreichen wird, um den Lebensstandard des Erwerbslebens im Alter zu erhalten. Unter den Status-quo-Bedingungen kann der Lebensstandard im Ruhestand nur auf dem Niveau des Erwerbslebens bleiben, wenn im Alter zusätzliche Einkommensquellen zur Verfügung stehen. Wie dies am besten erreicht werden kann, ist, wie betrieblicher Gesundheitsschutz, erst einmal mit den Sozialpartnern - Arbeitnehmern und Arbeitgebern - zu diskutieren.

Diese Gespräche sind bereits am Laufen, erste Ergebnisse sollten erst einmal abgewartet werden, damit dann eine neue öffentliche Diskussion über die Dauerbaustelle Altersvorsorge beginnen kann. Dabei wird dann auch die Frage eine Rolle spielen, wie im unteren Einkommensbereich über eine reine Armutsvermeidung hinaus akzeptable Renten erreicht werden können.

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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