Flugzeugbau:Forschen für die Zeit nach Corona

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Triebwerksmontage bei Rolls-Royce in Dahlewitz/Brandenburg. Das Geschäft ist wegen der fehlenden Nachfrage eingebrochen. (Foto: Rainer Weisflog/imago images)

Die Fluggesellschaften brauchen gerade keine neuen Flugzeuge, darunter leiden auch die Hersteller der Triebwerke. Sie bereiten sich nun auf die neue Antriebsgeneration vor.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Für John Slattery war der Weg zur wirklich großen Karriere vorgezeichnet. Der Chef des brasilianischen Flugzeugherstellers Embraer sollte nach der geplanten Übernahme der Zivilsparte von Boeing einen wichtigen Posten bei dem US-Konzern bekommen und vielleicht sogar bald die Passagierflugzeugsparte leiten. Dann kam die Corona-Krise, der Embraer/Boeing-Deal wurde im letzten Moment abgesagt, und Slatterys schöne Pläne waren hinfällig. Zumindest für den 51-jährigen Iren ist es trotzdem am Ende gut gelaufen.

Am Dienstag tritt er einen neuen Job an, nicht bei Boeing, sondern beim Flugmotorenbauer GE Aviation, der zu General Electric (GE) gehört. Er kann nun zwar nicht Boeing aus der tiefsten Krise der Unternehmensgeschichte helfen, aber der Job beim Marktführer der Triebwerkshersteller hat es auch in sich: Die Corona-Pandemie trifft sie genau wie die Flugzeugbauer. Gleichzeitig hängt es aber vor allem von den Motoren-Konstrukteuren ab, ob die Luftfahrt den Sprung in die ökologische Nachhaltigkeit schafft, den die Politik von ihr mittlerweile unmissverständlich fordert und von der ihre Perspektiven nach der aktuellen Krise maßgeblich abhängen.

Von den Triebwerksentwicklern hängt es ab, ob die Luftfahrt ökologischer wird

Den weltweiten Flugzeugbau dominieren zwei Unternehmen - Airbus und Boeing. Bei den Motoren sind es drei. GE Aviation ist gemeinsam mit dem französischen Partner Safran der dominierende Ausrüster von Kurz- und Mittelstreckenjets, gefolgt von Pratt & Whitney mit einem Marktanteil von ungefähr einem Drittel. Bei den Großraumjets kontrolliert GE Aviation gut die Hälfte des Marktes, gefolgt von Rolls-Royce mit gut 40 Prozent und Pratt als abgeschlagenem Dritten. Airbus und Boeing haben mit der A350, der A380 und der 787 in den vergangenen 15 Jahren nur drei komplett neue Flugzeuge auf den Markt gebracht. Die A380 wird bekanntlich eingestellt, der Erfolg der A350 und der 787 hängt zu großen Teilen an den neuen Triebwerken. Und bei den kleineren A320 und 737 haben die Hersteller versucht, so wenig wie möglich zu verändern - neue Motoren haben aber beide bekommen. Die Fortschritte der vergangenen zehn Jahre gehen also im Wesentlichen auf das Konto von GE, Pratt und Rolls-Royce, doch nun geht es erst einmal uns Überleben.

Da sich Fluggesellschaften derzeit keine Flugzeuge leisten können, dürfte das Neugeschäft nach Einschätzung von Experten im kommenden Jahr um 50 Prozent einbrechen. Schon im zweiten Quartal dieses Jahres war der Umsatz von GE Aviation um 44 Prozent rückläufig, Tausende Jobs wurden gestrichen.

Besonders dramatisch ist die Lage bei Rolls-Royce - das Unternehmen litt schon vor der Krise unter milliardenschweren Zusatzkosten für Nachbesserungen bei den Trent-Triebwerken für die Boeing 787. Jetzt ist der seit Jahren schwache Markt für Langstreckenjets mehr oder weniger ganz zum Erliegen gekommen, er wird sich auch so schnell nicht erholen. Zeitgleich mit den Neuverkäufen bricht für alle drei auch das Service- und Ersatzteilgeschäft weg, auf dem die Geschäftsmodelle vor allem fußen.

Die Hersteller hatten sich eigentlich auf eine Ausweitung der Produktion eingestellt

Der Rückgang in allen Bereichen trifft die Hersteller zu einer Zeit, in der sie sich auf das Gegenteil vorbereitet hatten: Vor Corona hatte vor allem Airbus GE/Safran und Pratt & Whitney gedrängt, die Produktion auszuweiten, damit noch mehr Flugzeuge ausgeliefert werden könnten. Jetzt müssen Slattery und seine Kollegen erst einmal eine Vollbremsung organisieren und sich gleichzeitig auf den nächsten Technologiesprung vorbereiten.

Die Erwartungen sind klar: Über staatliche Programme in Frankreich und Deutschland gehen in den nächsten Jahren Milliarden in die Erforschung von Wasserstoff als Treibstoff. Je nachdem, welcher technologischer Weg sich durchsetzt, könnten die Flugmotorenhersteller noch glimpflich davonkommen - dann nämlich, wenn künftige Triebwerke mit flüssigem Wasserstoff angetrieben werden. Ein zweiter, wichtiger Forschungszweig ist hybrid-elektrisches Fliegen - weit entfernt von der heutigen Kernkompetenz der großen drei und daher vielleicht das Einfallstor für neue Konkurrenten. Nach Jahren der Diskussion ist allerdings ein bisschen mehr Realismus in der Debatte darüber nötig, was in Sachen ökologischer Fortschritt überhaupt möglich ist. Langstreckenjets werden wohl noch für Jahrzehnte mit konventionellen Motoren bestückt, bevor vielleicht der Durchbruch beim Wasserstoff gelingt.

Bio-Treibstoffe sind für die nächsten Jahre die größte Hoffnung. Dass größere Flugzeuge auf Kurzstrecken bald voll-elektrisch fliegen werden, ist trotz der Fortschritte in der Batterietechnologie undenkbar. Allerdings drängen immer mehr Experten darauf, dass die nächste Motorengeneration zumindest für Hybridelemente ausgelegt und nachrüstbar sein sollte, um nicht schon nach wenigen Jahren obsolet zu sein.

Die nächste Triebwerksgeneration dürfte trotz aller Probleme schneller kommen, als es den Herstellern, allen voran GE Aviation, lieb ist. Denn Boeing hat zuletzt wegen des andauernden Flugverbotes der 737 Max Aufträge für mehr als 800 Maschinen durch Stornierungen verloren und mit ihnen Marktanteile gegenüber Airbus. Boeing muss also, sobald es finanziell wieder möglich ist, handeln, und GE Aviation ist mit Safran im CFM International-Konsortium bislang der exklusive Motorenlieferant. Zieht GE mit, drohen schnell hohe Entwicklungskosten. Falls nicht, würde die Monopolstellung auf dem 737-Nachfolger verloren gehen.

© SZ vom 01.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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