Fluchtpläne von US-Politiker Geithner:Der Mag-nicht-mehr-Minister

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Nur weg hier: Jeder führende Homo oeconomicus, der mit Obama in Washingtons Hallen der Macht eingezogen war, hat inzwischen das Weite gesucht. Jetzt sehnt auch noch US-Finanzminister Geithner öffentlich das Ende seiner bisherhigen Laufbahn herbei - und offenbart ein seltsames Amtsverständnis.

Christian Wernicke

Hat Barack Obama die Pest? Oder trägt Amerikas Präsident vielleicht irgendeine mysteriöse Mutation des Bakteriums Vibrio cholerae auf der Haut, die bei Berührung vor allem Menschen mit volkswirtschaftlicher Vorbildung anfällt? Es muss jedenfalls einen Grund geben, warum fast jeder führende Homo oeconomicus, der im Januar 2009 mit Obama in Washingtons Hallen der Macht eingezogen war, inzwischen das Weite gesucht hat. Nun strebt auch der Allerletzte von Obamas anfänglicher Kerntruppe von Bord: Timothy Geithner, der Finanzminister und engste Wirtschaftsberater des US-Präsidenten, hat angekündigt, er wolle noch vor Herbstanbruch weg aus der Hauptstadt.

Öffentliche Rücktrittsgedanken: US-Finanzminister Timothy Geithner. (Foto: AP)

Nur weg hier - ist das das Motto? Mit viel mehr als der schlichten Erklärung, dass sie alle ihre alten Jobs samt heimeliger Professorenstube mehr liebten als die Knochenarbeit im Regierungsapparat, hat bisher keiner der Geflohenen aufwarten wollen. Geithner ist da immerhin etwas auskunftsfreudiger. Er verweist auf seine Familie, die zurück möchte nach New York City. Und er lässt durchblicken, dass er, der langjährige Finanzfachmann und Wall-Street-Insider, endlich auch das große Geld verdienen wolle.

Anders lässt sich auch kaum begreifen, warum dieser Mann das Ende seiner bisherigen Laufbahn öffentlich herbeisehnt. Zwar schwört Geithner, er habe es über alles geliebt, dem Gemeinwohl zu dienen - erst als strebsamer Beamter im Finanzministerium, dann als brillanter Zentralbanker und zuletzt als kluger Minister im Schatzamt. Doch gleichzeitig offenbart er eine befremdliche Geringschätzung seines Amtes: "Ich hatte nie einen wirklichen Job, ich habe nur im öffentlichen Dienst gearbeitet." Das klingt, als verspüre da jemand angesichts seines nahenden 50. Geburtstags einen geradezu kindischen Drang, endlich erwachsen zu werden.

Zweifellos hat Timothy Geithner, patriotisch gesprochen, sich Verdienste um das Vaterland erworben. Der Plan, angesichts eines drohenden Kollapses des Weltfinanzsystems im September 2008 mit kurzfristigen Staatsbeteiligungen reihenweise Banken vor dem Bankrott zu retten, war zu großen Teilen sein Werk. Und als Obamas Minister war er daran beteiligt, die Wall Street mit einer strengeren Finanzmarktordnung zu zügeln.

Und doch hat Geithner seinem Präsidenten, ja seiner Nation, nun Schaden zugefügt. Schließlich offenbarte er seinen Plan zur Flucht aus der Verantwortung, noch ehe er seine Pflicht getan hat: Der Finanzminister muss bis Anfang August den widerspenstigen Republikanern einen Haushalts- und Schuldenkompromiss abringen, andernfalls droht dem Land schlicht die Zahlungsunfähigkeit (und aller Welt eine neue Finanzkrise). Als Mag-nicht-mehr-Minister hat er dabei weniger Chancen denn je. Was wiederum beim Volk das Verlangen nähren dürfte, den Mächtigen in Washington allesamt Pest und Cholera an den Hals zu wünschen.

© SZ vom 02.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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