Fintech:Nicht so schnell, bitte!

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Junge Fintech-Unternehmen krempeln die Bankenlandschaft um. Doch London hängt Deutschland im Wettrennen der Standorte gerade ab.

Von M. Conradi, B. Finke und M. Schreiber, London/Frankfurt

Durch die verglasten Wände geht der Blick auf die Stadt. Auf die zahlreichen Banken, die in Glastürmen in der Nachbarschaft ihren Sitz haben, im Londoner Finanzviertel Canary Wharf. Doch die vielen jungen Männer und wenigen Frauen, die hier, im 39. Stock des Hochhauses One Canada Square, konzentriert auf die Bildschirme ihre Rechner schauen, sind keine Banker.

Sie sind angetreten, die altehrwürdige Bankenbranche umzukrempeln. Denn die 39. Etage des Turms gehört Level 39, Europas größtem Inkubator für Firmen, die an Internet- und IT-Lösungen für die Finanzbranche tüfteln. Hier können Gründer für wenig Geld Schreibtische oder ganze Büros mieten.

Fintech heißt diese boomende Branche im Fachjargon. Die jungen Unternehmen bieten Bankdienstleistungen an, nur ohne Banken. Sie sind schneller, cooler, einfacher. Dank ihnen sollen die Kunden schon bald völlig selbstverständlich Geld überweisen, als würden sie eine SMS schreiben, mit dem Handy bezahlen oder sich gegenseitig Kredite geben.

Investoren setzen große Hoffnungen auf Fintech. Im vergangenen Jahr steckten sie weltweit 12,2 Milliarden Dollar in die kleinen Technologiefirmen, dreimal mehr als 2013. Die Zahlen stehen in einer Studie, welche die Berater von Accenture am Donnerstag in London vorstellten. Der Großteil des Geldes kommt Start-ups in den USA zugute, aber dafür sind die Zuwachsraten in Europa besonders hoch. Auf dieser Seite des Atlantiks wiederum fließt das meiste Geld nach Großbritannien und Irland - und vor allem nach London.

Die Metropole, das Herz von Europas Finanzbranche, hat sich in den vergangenen Jahren auch zum unbestrittenen Fintech-Zentrum entwickelt: 44 000 Menschen arbeiten dort in der Branche, mehr als im Silicon Valley. Politik und Bankenaufsicht in Großbritannien haben längst erkannt, dass Fintechs mehr sind, als die Spielereien von ein paar technikbegeisterten Uni-Absolventen. So wie Amazon den Buchhandel über den Haufen warf und iTunes die Musikindustrie, so könnten die Fintechs die Bankenlandschaft verändern.

Was offenbar an der Zeit wäre. Eine Umfrage brachte vor einiger Zeit zutage, dass junge Menschen lieber zum Zahnarzt gehen als zum Bankberater. Kein Wunder, dass jetzt viel von Filialschließungen die Rede ist, zuletzt bei der Deutschen Bank. Großbritanniens Schatzkanzler George Osborne erklärte im vergangenen Jahr seinen Willen, London zum Fintech-Zentrum der Welt zu machen.

Und Deutschland? Schaut zu. Wartet. Redet. Dabei gibt es auch hierzulande eine Start-up-Szene, die ein bisschen Unterstützung gebrauchen könnte. Das Klischee von den gründungsunwilligen Deutschen - zumindest im Finanzbereich stimmt es nicht mehr. In Berlin, München und vor allem Frankfurt kündigen junge Leute ihre gut bezahlten Jobs in Banken oder Beratungsfirmen, um Fintechs zu gründen.

Und da fängt das Problem schon an. Während in London das Talent, das Wagniskapital und das Know-how eines ganzen Landes beisammensitzen, verteilen sie sich in Deutschland auf mehrere Städte. Seit einiger Zeit wird über einen zentralen Fintech-Standort bei Frankfurt gesprochen, doch ob aus diesem Cluster jemals etwas wird, steht in den Sternen.

Immerhin bereitet man im Berliner Finanzministerium nun eine Expertengruppe vor, die sich mit dem Thema Fintech beschäftigen soll. Doch geht es dabei zunächst nur darum, Informationen zu sammeln. Zuschauen. Warten.

Wirklich annehmen will sich der Sache niemand in der Politik. "Keine politische Führungskraft, die eine Zukunft vor sich hat, kann irgendetwas bewerben, das nur im entferntesten etwas mit dem Finanzsektor zu tun hat. Das ist nach dem Vertrauensverlust durch die Finanzkrise viel zu unpopulär, selbst wenn es sachlich gute Gründe für eine Unterstützung gäbe", sagt Jörg Asmussen, Staatssekretär im Arbeitsministerium und früherer EZB-Direktor.

So kommt es, dass deutsche Gründer neidisch nach London blicken. So wie Matthias Knecht, Mitgründer und Co-Chef des Online-Kreditvermittlers Zencap. Begeistert spricht er von einem Gesetz, das britische Banken vom kommenden Jahr an zwingt, Mittelständler, deren Bitte um einen Kredit sie abweisen, an alternative Anbieter zu vermitteln. Schon heute reichen die Royal Bank of Scotland und Santander solche Kunden an die Internet-Plattform Funding Circle weiter, auf der Anleger kleinen Firmen Darlehen zur Verfügung stellen. Ein enormes Geschäftsvolumen, um das der deutsche Konkurrent Zencap sich erst eigens bemühen müsste.

"Wir spüren hier deutlich, dass nicht nur die Regierung und die Stadt die Szene unterstützen, sondern auch die Finanzaufsicht", sagt Dorothee Fuhrmann, eine deutsche Gründerin und Mieterin in Level 39. Tatsächlich verfügt die Financial Conduct Authority (FCA) über eine eigene Abteilung für Innovationsfragen, seit vergangenem Oktober bietet sie eine kostenlose Beratung für Gründer an. Fintech-Vertreter loben die Behörde dafür, dass sie der Branche nicht nur freundlich gegenübersteht, sondern sie aktiv unterstützt.

Bei der deutschen Aufsicht Bafin einfach mal Rat holen? Undenkbar

Dass Gründer sich bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), der deutschen FCA, einfach mal eben Rechtsberatung holen? Undenkbar. Für die deutschen Aufseher scheinen die Umwälzungen im Bankgeschäft vor allem eins zu sein: bedrohlich. Das mag verständlich sein, nach der Finanzkrise und all den Diskussionen über mangelnde Regulierung. "Man darf nicht vergessen, welche wichtige Rolle Banken für ihren Kunden und die Stabilität des gesamten Finanzmarktes spielen", sagt der oberste Bankenaufseher Raimund Röseler.

Hilfreich wäre es aber doch, wenn die strengen deutschen Auflagen von der Bafin zumindest offen erklärt würden. Andreas Hackethal, Finanzprofessor an der Uni Frankfurt, sieht hier ein Hindernis für deutsche Fintech-Start-ups: "Strikte Regeln sind in Ordnung. Aber es ist wichtig, dass Start-ups von der Aufsicht klare Orientierung erhalten, ob ein Geschäftsmodell regelkonform ist oder nicht." Derzeit machen sich Gründer auf solche Fragen selber einen Reim. Und so liefen auch die gewissenhaften von ihnen Gefahr, am Ende Ärger mit den Aufsehern zu bekommen.

London sei Frankfurt eben zwei bis drei Jahre voraus, sagt Christian Hoppe. Er ist Geschäftsführer bei Main Incubator, einem viel kleineren deutschen Pendant zu Level 39. Zwei bis drei Jahre, das ist eine halbe Ewigkeit im digitalen Geschäft, wo es für die Unternehmen nicht so sehr darum geht, die beste Idee zu haben, sondern darum, als Erster eine kritische Masse an Kunden an sich zu binden. Und so stehen die Chancen gut, dass das Google oder das Amazon der Finanzgeschäfte wieder kein deutsches ist.

Bei Level 39 in London haben sie übrigens seit einiger Zeit die Club-Lounge 39, einen schicken Privatbereich mit gutem Essen. Die Unternehmen in dem Inkubator ziehen nun nämlich so viel Interesse auf sich, dass ein Ort nötig wurde, an dem Gründer und Investoren in gediegener Atmosphäre zueinanderfinden können. Auch das gehört dazu, wenn man Erster sein will.

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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