Finanzindustrie:Neuer Ärger für die Deutsche Bank

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„Natürlich kooperieren wir mit den Behörden“, teilt die Deutsche Bank mit. (Foto: picture alliance / Frank Rumpenh)

Die Staatsanwaltschaft fragt sich: Welche Rolle spielte die Bank im Handel mit Phantom-Aktien? Die Masche ähnelt Cum-Ex, gilt aber als noch perfider.

Von Cerstin Gammelin, Frederik Obermaier, Klaus Ott und Jan Willmroth, Berlin/Frankfurt

Es gelingt Olaf Scholz nicht oft, Abgeordnete des Bundestages so zu überzeugen wie an diesem Mittwoch. Der Bundesfinanzminister saß zum zweiten Mal in seiner Amtszeit im Finanzausschuss des Bundestags. Zum ersten Mal erlebten die Abgeordneten, dass ein Minister sich zu Cum-Ex-Geschäften äußerte - und noch dazu Maßnahmen dagegen ankündigte. Scholz habe frei gesprochen, präzise und sachkundig, hieß es. "Wenn Wolfgang Schäuble das schon gemacht hätte, was Scholz in Angriff nimmt, wären wir deutlich weiter. Wahrscheinlich hätte es uns als Steuerzahler viel Geld gespart", sagte Gerhard Schick, Finanzexperte der Grünen.

In der Sitzung des Ausschusses fiel auch der Name einer Bank, die ohnehin ziemlichen Ärger mit der Strafjustiz hat. Nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung untersucht die Staatsanwaltschaft Köln die Rolle der Deutschen Bank im Zusammenhang mit möglicherweise illegalen Aktiendeals. Im Rahmen eines seit 2017 laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Cum-Ex-Geschäften prüfen die Strafverfolger offenbar auch, ob das Geldinstitut im Handel mit sogenannten Phantom-Aktien dazu beigetragen haben könnte, die Staatskasse zu plündern. Banken und Börsenhändler, so der Verdacht, sollen Phantom-Aktien in den USA benutzt haben, um in Deutschland möglicherweise unrechtmäßige Steuererstattungen zu kassieren.

Die lange Zeit unentdeckte Masche wurde erst vor drei Wochen bekannt; als neue Variante im Cum-Ex-Skandal. Beim An- und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag haben Banken, Börsenhändler und deren Kompagnons diverse Staaten um insgesamt Dutzende Milliarden Euro erleichtert. Die Beteiligten hatten sich eine nur einmal auf Dividenden gezahlte Steuer mehrmals erstatten lassen. Die Staatsanwaltschaft Köln und andere Ermittlungsbehörden betrachten das als kriminell. Eines der vielen Verfahren in Köln richtet sich seit dem vergangenen Jahr gegen zwei frühere Beschäftigte der Deutschen Bank in London. Diese Ermittlungen betreffen jene Cum-Ex-Geschäfte, denen die damalige Bundesregierung 2012 eigentlich einen Riegel vorgeschoben hatte. Doch ging der mutmaßliche Steuerdiebstahl offenbar weiter. Die Kölner Strafverfolger stießen auf weitere Geschäfte, mit denen mehrere Staaten auch nach 2012 erleichtert worden sein sollen. Dem Vernehmen nach hat die Staatsanwaltschaft die Deutsche Bank nun auch wegen dieser neuen Variante im Fokus. Offen ist, ob es sich im Rahmen der laufenden Ermittlungen bereits um ein formelles Verfahren oder um eine Untersuchung handelt.

Die erst kürzlich bekannt gewordene Masche mit Phantom-Aktien gilt als noch perfider als Cum-Ex. Offenbar ging es darum, sich Kapitalertragsteuern auf Dividenden erstatten zu lassen, die nie gezahlt worden waren. Ein Fachmann, der einst an Cum-Ex-Geschäften beteiligt war, nennt das die "Weiterentwicklung der Teufelsmaschine Cum-Ex". Sie betrifft American Depositary Receipts, kurz ADRs. Das sind Papiere, die Banken in den USA als Ersatz für echte Aktien begeben und es Investoren erleichtern, Aktien ausländischer Firmen in Dollar zu handeln. ADRs müssen mit echten Aktien bei einer Depotbank hinterlegt werden. Die Dividenden stehen den Besitzern der US-Papiere zu. Weil es bei großen internationalen Geschäften oftmals Tage dauert, bis beispielsweise Aktien aus Europa in den USA vorliegen, gibt es die ADRs auch als vorläufige Papiere. Das war ein Einfallstor für Missbrauch. Die US-Börsenaufsicht fand heraus, dass Geldinstitute - darunter die Deutsche Bank - millionenfach solche Vorab-ADRs ausstellten, ohne später tatsächlich echte Aktien vorzuhalten. Mit diesen Phantom-Aktien sollen Finanzämter in Deutschland und anderswo getäuscht worden sein.

Die Deutsche Bank sagte auf Anfrage zu dem seit 2017 laufenden Verfahren auch hinsichtlich der neuen Variante: "Natürlich kooperieren wir mit den Behörden und haben auch zu dem Thema schon Auskunftsersuchen beantwortet." Im Rahmen der laufenden Cum-Ex-Ermittlungen stelle man "sämtliche angefragten Informationen zur Verfügung und unterstützt die Behörden soweit möglich und zulässig bei der Aufarbeitung des Sachverhalts". Da es sich um riesige Datenmengen handelt, dauert die Auswertung durch die Ermittlungsbehörden immer noch an. Dem Finanzamt Frankfurt hat der Konzern laut Finanzkreisen zweifelhafte Geschäfte mit Phantom-Aktien freiwillig gemeldet und angeboten, einen etwaigen Schaden für den Fiskus zu begleichen. Die Financial Times berichtete, einer internen Prüfung zufolge seien etwa fünf Prozent der Transaktionen mit Vorab-ADRs in den Jahren 2010 bis 2015 anfällig für Missbrauch mit Blick auf die deutsche Kapitalertragsteuer gewesen. Im Juli hatte die Bank nach einem Vergleich mit der US-Börsenaufsicht 75 Millionen Dollar wegen unsauberer Handhabung von ADR-Papieren gezahlt. Im Jahr 2016 hatte sie das Geschäft mit Vorab-ADRs nach eigenen Angaben ganz eingestellt.

Finanzminister Scholz (SPD) hat zügig reagiert und die Finanzaufsicht Bafin beauftragt, sich umfänglich mit den Vorwürfen zu beschäftigen. Eine Abfrage bei den Depotbanken läuft, um zu ermitteln, wie viel an Erstattungen geflossen ist. Die Bafin und das Bundeszentralamt für Steuern haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Der Informationsfluss soll so organisiert werden, dass alle Behörden und Institutionen angewiesen werden, ihre Erkenntnisse einzuspeisen. Scholz lässt eine zusätzliche Meldepflicht prüfen, um zu sehen, welche Erstattungen und Zahlungen pro Aktie geflossen sind. Ziel ist es, die Geschäfte, die eigentlich jetzt schon nicht mehr möglich waren, aber doch stattgefunden haben, tatsächlich zu unterbinden.

Bereits Ende November hatte Scholz bei einer Veranstaltung dazu aufgerufen, alle verdächtigen Fälle dem Bundesfinanzministerium zu melden. Er werde jedem neuen Verdacht nachgehen, hatte der Minister angekündigt.

© SZ vom 13.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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