Die Panne, die zu einer Teilverjährung im Fall des früheren Post-Chefs Klaus Zumwinkel führte, wird ein Nachspiel im Düsseldorfer Landtag haben. In der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses soll die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) Auskunft geben, wer dafür verantwortlich war, dass ein Zumwinkel für das Jahr 2001 zur Last gelegter Steuerschaden in Höhe von 214.000 Euro verjährte.
Durchsuchungsanordnung und Haftbefehl waren von einem Bochumer Ermittlungsrichter rund zwölf Stunden zu spät ausgestellt worden. "Wir verlangen eine parlamentarische Aufklärung", sagte die rechtspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Monika Düker der Süddeutschen Zeitung: "Die haben da geschlampt und nicht richtig hingeguckt", so die Politikerin. "Richter und Steuerfahndung haben kollektiv gepennt", meinte SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger. Die SPD-Opposition erwarte von der Justizministerin und von Finanzminister Helmut Linssen (CDU) einen "lückenlosen Bericht" an das Parlament.
Verzwickter Fall
Die Verdächtigungen hatten Aufwind durch eine zeitliche Parallele bekommen: Am Dienstag hatte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass bei Steuerhinterziehungen in Höhe von einer Million Euro und mehr in der Regel Haftstrafen fällig seien; fast zur selben Stunde teilte das Bochumer Landgericht mit, dass sich im Fall Zumwinkel der Umfang der vorgeworfenen Steuerhinterziehung verringere: Von 1,18 Millionen Euro auf etwa 966.000 Euro.
Die Verminderung ist darauf zurückzuführen, dass die für den Fall zuständige 12. Große Strafkammer des Landgerichts die Vorgänge des Jahres 2001 als verjährt ansah und diesen Teil der Anklage für den Prozess, der am 22. Januar 2009 beginnen soll, nicht zum Verfahren zuließ.
Der Fall ist juristisch verzwickt: Die Bochumer Staatsanwaltschaft hatte am 14. Januar dieses Jahres beim Ermittlungsrichter des Landgerichts Bochum Durchsuchungsbeschlüsse sowie einen Haftbefehl im Fall Zumwinkel beantragt. Solche Beschlüsse gelten als "verjährungsunterbrechende Handlung". In einem Abschlussbericht der Steuerfahndung wurde der 2. Februar 2008 als Verjährungsdatum für die angeblich im Jahr 2001 hinterzogene Steuer genannt. Zumwinkels Steuerbescheid für das Jahr 2001 war vom Finanzamt Köln-Süd am 30. Januar 2003 ausgestellt worden.
"Frist" oder "Fiktion"
Die Steuerfahnder verwiesen auf den Paragraphen 122 der Abgabenordnung, der zufolge ein Steuerbescheid erst "drei Tage nach seiner Ausstellung als zugestellt" gilt. In der Strafrechtssprechung ist allerdings umstritten, ob es sich bei diesen drei Tagen um eine echte "Frist" oder um eine "Fiktion" handelt. Die Bochumer Staatsanwaltschaft hatte sich die von den Steuerfahndern genannte Verjährungsfrist zu eigen gemacht und dieses Datum ausdrücklich in der Anklageschrift genannt. Der Ermittlungsrichter ließ die Akte erst einmal liegen und fertigte die Durchsuchungsbeschlüsse am 31. Januar 2008 aus - in der Sicht des Landgerichts zwölf Stunden zu spät.
Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts nahm die für Zumwinkel günstigere Frist-Variante und erklärte 2001 für verjährt. Die Staatsanwaltschaft Bochum legte keine Beschwerde ein. Der Beschluss des Landgerichts sei "zumindest nachvollziehbar", erklärte der Bochumer Oberstaatsanwalt Bernd Bienioßek. Auch habe sich der Ermittlungsrichter nach Aktenlage innerhalb der Verjährungsfrist geglaubt. Bienioßek: "Das ist kein Justizskandal." Das Gericht könne bei seinem Urteil auch eingestellte oder verjährte Fälle berücksichtigen. Im Vorfeld des Prozesses hat die Bochumer Staatsanwaltschaft Zumwinkels Anwälten signalisiert, dass sie zwei Jahre Haft auf Bewährung beantragen will. Einen richtigen Deal, bei dem die Kammer eingebunden sein muss, gibt es indes nicht.
Bei den 780 Liechtenstein-Fällen, die derzeit in Bochum anhängig sind, haben nach Angaben aus Justizkreisen etwa 20 Beschuldigte jeweils mehr als eine Million Steuern hinterzogen. Sie befinden sich theoretisch oberhalb der magischen Marke des BGH. Dennoch sind auch in diesen Fällen Haftstrafen eher unwahrscheinlich. Die Bochumer Fahnder sehen eine Reihe der erheblichen Milderungsgründe, die der BGH vorschreibt: Die kriminelle Energie sei in vielen Liechtenstein-Verfahren gering. Häufig handele es sich um ererbtes Vermögen. Ohne die Mitwirkung der Beschuldigten sei eine Aufklärung kaum möglich. Etliche Beschuldigte seien älter als 80 Jahre, und eine öffentliche Hauptverhandlung sei ihnen ebenso wenig zuzumuten wie die Verhängung einer Freiheitsstrafe.