Fakten zum Arbeitsmarkt:Mehr Jobs, mehr Arbeitslose

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Zwiespältige Zahlen für die neue Arbeitsministerin Nahles: Die Zahl der Arbeitslosen ist in Deutschland im vergangenen Jahr leicht gestiegen. Gleichzeitig gab es aber so viele Jobs wie nie und inoffiziell sogar weniger Arbeitslose. Wie kann das sein?

Von Oliver Hollenstein

Ein bisschen mehr Arbeit, deutlich mehr Jobs, aber mehr Arbeitslose. Die Bundesagentur für Arbeit hat am Dienstag die Daten zum Arbeitsmarkt 2013 vorgestellt. Die SZ erklärt die wichtigsten Fakten:

So viele Jobs wie nie

In Deutschland gab es 2013 so viele Jobs wie nie zuvor. 41,8 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr berufstätig. Damit steigt die Zahl der Jobs in Deutschland kontinuierlich seit sieben Jahren. Allerdings hat sich das Wachstum zuletzt deutlich verlangsamt, mit 0,6 Prozent war der Anstieg nur noch halb so groß wie 2012. Die Forscher des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) rechnen für 2014 mit einem weiteren Anstieg, der allerdings noch einmal schwächer ausfällt. Auch der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sagt: "Die Frühindikatoren deuten auf eine stabile Entwicklung hin."

Sozialversicherungspflichtige kehren zurück

Bis 2005 war der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland beständig zurückgegangen, während der Anteil der geringfügig Beschäftigten angestiegen ist. Seither sei die Zahl der Sozialversicherungspflichtigen aber wieder von 26,2 auf 29,4 Millionen gestiegen. Das entspricht etwa 70 Prozent der Beschäftigten. Gleichzeitig sank der Anteil der geringfügig Beschäftigten von 15 auf 13,4 Prozent.

Ein bisschen mehr Arbeit

Alles gut also am Arbeitsmarkt? Nicht ganz. Die Deutschen haben im vergangenen Jahr 58 Milliarden Stunden gearbeitet - das ist nur minimal mehr als im Vorjahr. Wer das deutsche Jobwunder genau betrachtet, sieht: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Jobs deutlich schneller gestiegen als die Menge der Arbeit. Im dritten Quartal 2013 entsprach die geleistete Arbeitsmenge der im gleichen Quartal 1994, damals gab es allerdings 4,3 Millionen Arbeitnehmer weniger. Ein bisschen mehr Arbeit wurde 2013 also unter sehr viel mehr Leuten aufgeteilt. Das hat zur Folge, dass deutlich mehr Menschen in Teilzeit arbeiten. Etwa drei Millionen Deutsche arbeiteten 2013 reduziert, eine Million mehr als 2006. Die Forscher vom IAB rechnen damit, dass dieser Trend sich auch künftig fortsetzt. Eine Frage beantworten sie dabei nicht: Arbeiten die Berufstätigen freiwillig weniger, weil sie mehr Freizeit haben wollen - oder wurden sie zur Kürzung ihrer Arbeitszeit gedrängt?

Trotzdem mehr Arbeitslose ...

Obwohl es im vergangenen Jahr mehr Jobs gab, stieg die Zahl der Arbeitslosen. Im Jahresschnitt waren in Deutschland offiziell 2,95 Millionen Menschen ohne Arbeit. Das waren etwa 53.000 mehr als 2012. Die Arbeitslosenquote lag damit bei 6,9 Prozent. "Der Beschäftigungsaufbau hat sich fortgesetzt. Arbeitslose partizipieren allerdings nur teilweise vom Beschäftigungsplus", sagt BA-Chef Weise. Die Arbeitsmarktforscher vom IAB prognostizieren für 2014 einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit - etwa in der Höhe des derzeitigen Anstiegs. Andere Volkswirte sind skeptischer. Heiko Peters von der Deutschen Bank fürchtet beispielsweise, dass die Erwartung des von der Großen Koalition vereinbarten Mindestlohns und strengere Regeln bei der Leiharbeit sich im zweiten Halbjahr 2014 negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken.

... aber eigentlich doch nicht

Anders sieht das Bild interessanterweise aus, wenn man sich die versteckte Arbeitslosigkeit anschaut. In die offizielle Arbeitslosenstatistik zählen viele Arbeitslose gar nicht hinein. Das heißt: Wer gerade fortgebildet wird, krank, älterer Langzeitarbeitsloser über 58 ist oder sich nicht arbeitslos meldet, wird nicht gezählt. Die Forscher vom IAB berechnen jedes Jahr, wie hoch diese stille Reserve ist. 2012 waren das 1,4 Millionen Deutsche, 2013 etwa 1,25 Millionen. Im kommenden Jahr soll die Zahl auf 1,11 Millionen sinken. Laut dieser Statistik ist die Arbeitslosigkeit seit 2006 kontinuierlich gesunken und hat 2013 einen neuen Tiefststand erreicht. Der Anstieg bei der offiziellen Arbeitslosigkeit erklärt sich laut Bundesagentur für Arbeit vor allem dadurch, dass weniger Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen waren: Sie wurden dadurch von der stillen Reserve in die offizielle Statistik verschoben.

Es passt einfach nicht

Dass immer weniger Arbeitslose fortgebildet werden, könnte sich bald rächen. Die IAB-Forscher prognostizieren, dass die Arbeitslosigkeit künftig deutlich langsamer zurückgehen wird. Die gute Wirtschaftslage habe in den vergangengen Jahren viele Unternehmen dazu gebracht, neue Leute zu suchen, die moderate Lohnentwicklung habe das vereinfacht. Außerdem hätten nach den Hartz-IV-Reformen viele Arbeitslose intensiver nach Jobs gesucht. Dieser Effekt flache nun ab: Das Stellenangebot gehe zurück, die Löhne steigen wieder. Leider hätten die Maßnahmen der vergangenen Jahre aber nicht dazu geführt, ein großes Problem des deutschen Arbeitsmarktes zu lösen: Für Personen mit bestimmten Berufen gibt es in manchen Regionen einfach keine Stellen. Mismatch nennen die Ökonomen das. Oder wie Weise sagt: "Die Profile der Arbeitslosen passen nur unzureichend zur Arbeitskräftenachfrage." Die IAB-Forscher fordern daher: Die Politik müsse wieder mehr für die Qualifikation tun und auch die Zuwanderung stärken.

Immer weniger potenzielle Arbeitnehmer

Die Zuwanderung braucht es laut Ökonomen auch, um ein weiteres Problem zu lösen. Die größte Gefahr für die deutsche Wirtschaft sehen viele Ökonomen darin, dass immer mehr Deutsche in Rente gehen, während immer weniger Junge nachkommen. Allein durch diesen Effekt würden dem deutschen Arbeitsmarkt in diesem Jahr 290.000 Menschen abhandenkommen, heißt es. Ausgeglichen werde dieser Effekt aber seit einigen Jahren durch Zuwanderung, vor allem aus Süd- und Osteuropa, schreiben die IAB-Forscher. Daher wird das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial auch 2014 weiter steigen - um vermutlich 120.000 Menschen. 2013 kamen 220.000 Menschen hinzu. Auch BA-Chef Weise sieht in der Organisation der Zuwanderung eine Herausforderung. "Es gilt, die Menschen für Deutschland zu begeistern, die wir brauchen."

Dafür Vollbeschäftigung im Osten

Besonders gut beobachten kann man den demographischen Wandel in den ostdeutschen Bundesländern. In den vergangenen vier Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen dort um 20 Prozent gesunken - fast doppelt so schnell wie in Westdeutschland. Das lag aber nur zu etwa zwei Dritteln an neuen Jobs. Eine wesentliche Ursache ist der demographische Wandel, wodurch es immer weniger potenziell Erwersbtätige gibt. Die positive Folge: Es gibt inzwischen Landkreise wie Sonneberg in Südthüringen, in denen die Arbeitslosenquote bei 3,8 Prozent liegt - bei dieser Größe sprechen viele Ökonomen schon von Vollbeschäftigung. Die negative Folge: Viele Unternehmen dort haben inzwischen massive Probleme, geeignete Kandidaten für offene Stellen zu finden. Insgesamt liegt die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland mit 10,3 Prozent aber immer noch deutlich über der in Westdeutschland, wo sie sechs Prozent beträgt.

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