Fahrräder:Klappt doch

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Sie sind teuer und sehr exklusiv: Falträder der britischen Firma Brompton. Jetzt wollen die Briten Deutschland erobern.

Von Björn Finke, London

Es beginnt mit dem Fahrrad-Rahmen. Der wird an einem Gestell auf einem großen Rollbrett befestigt. Das Rollbrett schieben die Mitarbeiter von Station zu Station. An einer Station werden Schutzbleche montiert. Später folgen die Räder. Nach zwölf Stationen ist auf dem Rollbrett ein komplettes Fahrrad zu bewundern. Gerade mal dreieinhalb Minuten dauert es, bis auf dieser Fertigungsstraße ein neues Rad entsteht. Und kein gewöhnliches. Sondern ein Faltrad: Diese Fabrik am Stadtrand von London, direkt neben der Autobahn M4 gen Heathrow, gehört Brompton Bicycle, dem Hersteller ebenso kostspieliger wie praktischer Räder zum Zusammenklappen.

Die Firma produziert ausschließlich in London, einer der teuersten Städte des Planeten. Und sie hat damit Erfolg in einer Branche, die ansonsten unter billigen Einfuhren aus Asien und Osteuropa leidet. Deutsche Traditionsmarken wie Kettler oder Mifa mussten Insolvenz anmelden. Der britische Hersteller Raleigh, der in Nottingham einst die größte Fahrradfabrik der Welt betrieb, verlagerte die Produktion schon Anfang des Jahrtausends nach Asien; inzwischen hat ein niederländischer Rivale Raleigh gekauft.

Doch Brompton boomt und ist heute der größte britische Fahrradhersteller. Mit 240 Beschäftigten baut die Firma jährlich 48 000 Räder, im Jahr 2021 sollen es sogar 100 000 sein. Vier von fünf Brompton-Bikes gehen ins Ausland. Dort möchte Geschäftsführer Will Butler-Adams weiter kräftig wachsen. Etwa in Deutschland: "In London, Brüssel, Barcelona oder New York sehen sie immer Bromptons auf der Straße", sagt der 41-Jährige. "Aber im Rest der USA oder in Deutschland ist das noch nicht so. Das wollen wir ändern."

Dabei helfen soll ein Faltrad mit Elektro-Antrieb, das Brompton 2016 auf den Markt bringen will. Solche Pedelecs, also Räder mit Motor-Unterstützung, seien ein Riesenerfolg in Deutschland, sagt der Chef. Die Entwicklung ist allerdings schwierig: Seit acht Jahren tüftelt Brompton an diesem Konzept. "Und seit acht Jahren denken wir, dass das Elektro-Faltrad im jeweils kommenden Jahr marktreif sein wird", sagt Butler-Adams halb im Scherz.

Außerdem will er seinen Leihservice im Ausland etablieren. Bislang gibt es in 15 britischen Städten vollautomatische Stationen, an denen sich Radler für umgerechnet sieben Euro am Tag ein Brompton aus einem großen Schrank holen können. Gebucht wird per Handy oder im Internet.

Die "komischen kleinen Räder" sähen "beängstigend" aus, findet der Geschäftsführer

Den Leihservice hat Butler-Adams aufgebaut, damit mehr Menschen Brompton-Bikes ausprobieren. "Sieht jemand aus - sagen wir - Aserbaidschan einen Ferrari, erkennt er sofort: Das Auto ist schnell, und es ist teuer", erläutert der Ingenieur. "Sieht der Mann ein zusammengefaltetes Brompton-Bike, fragt er sich: 'Was zum Teufel ist das? Ein Rollstuhl?'" Und stehe er vor dem ausgeklappten Rad mit seinen "komischen kleinen Rädern", finde er die Vorstellung, darauf zu fahren, wohl "beängstigend", vermutet Butler-Adams. "Hört er, dass das Rad gut 1000 Euro kostet, denkt er: 'Das muss ein Witz sein.'"

Wer die Falträder hingegen im Alltag genutzt habe, schätze ihre Vorteile, sagt der Manager. Sie sind zusammengeklappt klein genug, um sie mit einer Hand in der überfüllten U-Bahn zu transportieren; sie lassen sich schnell auseinanderfalten und dank Gangschaltung recht komfortabel fahren. Pendler können von zu Hause zum Bahnhof radeln, ihr Rad zusammengefaltet mitnehmen und dann vom Bahnhof weiter zum Büro strampeln. Wer Angst vor Dieben hat, stellt sich das Rad zusammengeklappt unter den Schreibtisch.

Butler-Adams nennt zwei Trends, von denen seine Firma profitiert: Menschen ziehen in Städte, und Menschen achten mehr auf ihre Gesundheit. Falträder seien optimal, um den täglichen Weg zur Arbeit in einer Stadt sportlich und flexibel zurückzulegen, sagt der Chef.

Trotzdem sah es lange nicht so aus, als würde Brompton zur Erfolgsgeschichte. Schon 1975 fing der Tüftler Andrew Ritchie an, ein Faltrad zu entwickeln, weil ihm die existierenden Klappräder zu klobig waren. Von seiner Wohnung blickte er auf die Londoner Kirche Brompton Oratory - daher der Name. Doch lange fand er keine Investoren, weswegen die Serienproduktion in einer Fabrik erst 1988 begann. Dies war eher eine kleine Manufaktur als ein modernes Werk. Butler-Adams heuerte 2002 als Manager bei Brompton an - "und was ich vorfand, haute mich um", sagt er. Die Fertigungstechnik sei auf dem Stand der Nachkriegszeit gewesen, es habe keine Strategie gegeben. Mit 24 Angestellten produzierte die Firma nur 6000 Räder im Jahr. Nun, 13 Jahre später, sind es achtmal so viele Brompton-Bikes.

Das ist immer noch wenig im Vergleich zu Dahon, dem Weltmarktführer. Der Konzern aus Los Angeles fertigt Hunderttausende Klappräder in China und Bulgarien. Andere Rivalen der Londoner sind Tern aus Taiwan oder das Faltrad Birdy des deutschen Herstellers Riese & Müller. Die Räder aus Asien sind deutlich billiger zu haben als Brompton-Bikes. Kurioserweise ist aber gerade Asien der wichtigste Exportmarkt der Londoner: Für wohlhabende Japaner etwa ist Brompton ein Symbol gepflegter Britishness und städtischen Schicks; sie zahlen für ein maßgefertigtes Rad von der Themse gerne mehr. Und maßgefertigt sind sämtliche Räder. Die Produktion beginnt erst, wenn eine Bestellung mit allen Farb- und Ausstattungswünschen eingegangen ist.

Auch in Deutschland existiert eine verschworene Fangemeinde. Sie traf sich in diesem und dem vergangenen Jahr zu einem Faltrad-Wettrennen in Bremen. Die Teilnehmer kombinierten Sakko und Krawatte mit kurzen Hosen - very british und überhaupt nicht ernst gemeint.

Um weiter wachsen zu können, zieht Brompton im Januar in eine viel größere Fabrik im Westen der Hauptstadt um. Die Metropole zu verlassen, kommt nicht in Frage; schließlich wirbt Brompton damit, das original Faltrad aus London anzubieten. Immobilien in London sind allerdings knapp und teuer: Unternehmenschef Butler-Adams sagt, die Suche sei ein "Albtraum" gewesen. Investoren säßen auf Grundstücken in Gewerbegebieten und hofften, dort später Wohnungen bauen zu dürfen, klagt er.

Made in London hat eben seinen Preis.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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