Kommentar:Ran an die Bürger

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EZB-Chefin Christine Lagarde will den Vorwurf entkräften, die Notenbank verfolge elitär und abgehoben ihre Geldpolitik. Die Initiative ist dringend nötig.

Von Markus Zydra

Man kann der Europäischen Zentralbank vieles attestieren, eine besonders ausgeprägte Volksnähe gehört nicht dazu. Die öffentlichen Auftritte der Top-Notenbanker gleichen ökonomischen Seminaren, die Pressekonferenzen sind oft geprägt von bestimmt wichtiger, aber gleichzeitig kleinlicher Fachsimpelei. Der elitäre Touch und die sprachliche Distanzierung waren gewollt, denn die Währungshüter wandten sich in ihrer 22-jährigen Geschichte vornehmlich an die Profis der Finanzmärkte.

Diesen Fehler möchte EZB-Präsidentin Christine Lagarde nun ausbügeln. Die Französin hat versprochen, "jeden Stein umzudrehen". Dazu gehört auch, dass die Notenbank erstmals in ihrer Geschichte den Puls der Bürger fühlt. Wie geht es euch mit eurer Notenbank? Was sollen wir anders machen? "Die EZB hört zu", so das offizielle Versprechen. Interessierte Bürger können auf der Homepage der Zentralbank ihre Meinung sagen. Zugleich treffen Lagarde und ihre Kollegen aus dem EZB-Direktorium Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Sie sollen Vorschläge machen zur Reform der Geldpolitik. Die EZB sucht eine neue Strategie: Taugt das Inflationsziel von zwei Prozent noch? Die Zukunft der negativen Zinsen? Darf die Institution immer mehr Staatsanleihen kaufen?

Bislang verließ sich die Zentralbank bei diesen Frage auf die Experten im eigenen Haus, auf externe Ökonomen und die Finanzmärkte. Die Tatsache, dass man nun auch geldpolitischen Laien Gehör schenkt, wirkt wie ein stilles Eingeständnis: Die Notenbank weiß nicht mehr weiter. Klar, sie könnte immer mehr Geld aus dem Nichts schaffen, aber was ist, wenn die Menschen diese Alchemie nicht mehr mittragen und das Vertrauen in den Euro schwindet? Geldpolitik ist schwieriger geworden durch die Wirtschaftskrisen in der vergangenen Dekade. Bis zum Jahr 2007 drehte die Notenbank in ihrer Geldpolitik einzig an der Zinsschraube, und fertig. Die Bevölkerung nahm diese Entscheidungen einer Anhebung oder Senkung der Leitzinsen meist ohne Erregung zur Kenntnis.

Doch dann kamen die Finanzkrise, der drohende Kollaps der Euro-Zone und das Coronavirus. Die EZB musste mehr tun als früher. Doch der unaufhörliche Ankauf von Anleihen sowie die Null- und Negativzinspolitik werfen Fragen nach der demokratischen Legitimation auf. Die Währungshüter sind nicht von der Bevölkerung gewählt, gleichzeitig führt ihre lockere Geldpolitik dazu, dass die Reichen in der Gesellschaft stark profitieren. Vor allem diese Gruppe kann sich Immobilien und Aktien leisten, deren Preise durch die niedrigen Zinsen stark gestiegen sind. Es gibt also Redebedarf.

Lagarde möchte die Notenbank mit den Kritikern versöhnen. Die Klagen aus Deutschland gegen die lockere Geldpolitik, verhandelt vor den obersten Gerichten, gespeist mit dem latenten Vorwurf, die EZB betreibe illegale Staatsfinanzierung, nagen an der Reputation der Notenbank. Dazu gesellt sich die Tatsache, dass die Währungshüter ihr selbstgestecktes Inflationsziel von zwei Prozent seit Jahren nicht erreichen. Die Retterin der Euro-Zone wirkt plötzlich so machtlos.

Die großen Stammtische erreicht die EZB also nicht

Der Dialog mit der Zivilgesellschaft ist deshalb richtig, auch wenn der ersten großen virtuellen Veranstaltung am Mittwoch auf Youtube nur rund 600 Zuschauer beiwohnten. Die großen Stammtische erreicht die EZB also nicht. Aber deshalb gibt es ja Interessengruppen, die Druck machen. Der zu erwartende Schwenk der EZB hin zu einer "grünen" Geldpolitik zeigt, dass die Institution zuhören kann.

Doch an zwei andere Themen, die viele Menschen beschäftigen, traut sich Europas Zentralbank nicht ran. Da ist die Idee vom "Helikoptergeld". Sie besagt: Die EZB sollte im Kampf gegen die Rezession den Bürgern Geld geben statt den Banken. In der akademischen Welt wird das heiß diskutiert. Doch die EZB schweigt. Auch die Frage, wie man in der Euro-Zone langfristig mit den rapide steigenden Staatsschulden umgehen soll, geht völlig unter. Die Schulden sind so hoch wie nie zuvor, weil man Geld braucht im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Und die EZB ist der größte Gläubiger. Es mag sein, dass sich die Euro-Zone hoch verschulden kann, ohne Schaden zu nehmen, und die Haushaltsführung der "schwäbischen Hausfrau" tatsächlich ausgedient hat. Aber die öffentliche Debatte darüber, warum das so ist, muss geführt werden - auch von der EZB.

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