EZB:Auch das noch

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Ein Ende der Nullzinsphase ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Experten erwarten eine Verschärfung der billigen Geldpolitik. Das befördert eine gefährliche Entwicklung. An den Immobilienmärkten drohen Preisblasen.

Von Markus Zydra

Bald ist Christine Lagarde Chefin im Frankfurter EZB–Turm (li.) und behält die Inflation im Blick. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Der Vertrag von Mario Draghi läuft Ende Oktober aus, bis dahin wird der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) noch dicke Pflöcke einschlagen. Der Italiener möchte wegen des Konjunkturabschwungs die Geldpolitik erneut lockern. Damit nähme er Druck von seiner Nachfolgerin Christine Lagarde, die ansonsten gleich zu Amtsantritt umstrittene Maßnahmen durchsetzen müsste.

Auf der nächsten EZB-Ratssitzung im September dürfte die Notenbank daher eine Erhöhung des Strafzinses beschließen. Derzeit liegt der Satz bei minus 0,4 Prozent - eine Anhebung um bis zu 0,3 Prozentpunkte ist im Gespräch. Die Maßnahme ist umstritten, denn der Strafzins belastet die Banken in Europa. Sie müssen auf Überschüsse, die sie auf ihren EZB-Konten haben, diesen Zins bezahlen. Im Jahr 2018 fielen dafür bei allen Banken in Europa rund 7,5 Milliarden Euro an; deutsche Kreditinstitute mussten davon rund 2,5 Milliarden Euro bezahlen. Gut möglich, dass die EZB Freibeträge einführt, aber insgesamt würden die Kosten für die Institute sehr wahrscheinlich zunehmen, wenn die EZB tatsächlich den Strafzins erhöht. Das wiederum könnte die Banken dazu veranlassen, den Strafzins über eine entsprechende Belastung der Girokonten an die Kunden weiterzugeben.

Das sorgt vor allem in Deutschland für Ärger. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte in dieser Woche ein Gesetz, das verhindert, dass "Negativzinsen umgelegt werden auf Kleinsparer". Strafzinsen entsprächen nicht der deutschen Finanzkultur. Einlagen bis 100 000 Euro sollten daher per Gesetz von solchen Strafzinsen ausgenommen werden.

Bislang haben deutsche Banken die Kleinsparer weitestgehend verschont, doch mitunter müssen sehr vermögende Menschen und Unternehmen auf ihre hohen Einlagen einen Strafzins entrichten. Doch auch Kleinsparer sind genervt. Schon seit Jahren liegt die Verzinsung auf ihren Girokonten und kurzfristigen Sparanlagen nahe null Prozent. Aufgrund der Inflation, die in Deutschland deutlich über ein Prozent liegt, kommt es insgesamt zu einer schleichenden Entwertung der Sparvermögen. Dennoch horten die Deutschen mit 2,5 Billionen Euro rund 40 Prozent ihres Gesamtvermögens in Bargeld und kurzfristigen Einlagen.

Geld auf die Bank bringen und dafür bestraft werden, das widerspricht der Logik

Die EZB startete im Jahr 2015 die lockerste Geldpolitik ihrer Geschichte. Draghi wollte eine Deflation in Europa vermeiden. Dauerhaft fallende Preise gelten unter Währungshütern als große Gefahr für die Gesamtwirtschaft. Deshalb hält die EZB den Leitzins seit Jahren bei null Prozent. Gleichzeitig hat sie rund 2,7 Billionen Euro vor allem in den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen investiert. Mit dieser lockeren Geldpolitik fixiert die Notenbank auch den langfristigen Zinssatz in der Euro-Zone auf einem sehr niedrigen Niveau. Dadurch soll die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und Haushalte gestärkt werden. Tatsächlich ist die Wirtschaft in der Euro-Zone in den letzten Jahren gewachsen. Immobilienkäufer profitierten von sehr günstigen Hypothekenkrediten. Die Nullzinspolitik führte insgesamt - bei temporär starken Preisschwankungen - auch zu steigenden Kursen an den Aktienmärkten. Doch noch immer stehen viele Deutsche dieser Anlageform kritisch gegenüber, gleichzeitig wundern sie sich zu Recht darüber, dass es plötzlich keine Zinsen mehr auf Erspartes gibt.

Der Nullzins und der Strafzins widersprechen der marktwirtschaftlichen Logik: Wer Geld aufspart für später, der bringt es zur Bank, die ihn dafür mit einem Zins entschädigt. So haben es viele Generationen von Sparern gelernt.

Doch die Welt hat sich verändert. Einige Experten sagen, dass die Negativzinsen Ausdruck von zu viel Sparen sind. Aufgrund einer gestiegenen Lebenserwartung würde die alternde Bevölkerung mehr Geld zurücklegen. "Global sinkt das Zinsniveau, sowohl nominal als auch inflationsbereinigt, seit über 20 Jahren", sagt der Präsident der Schweizer Nationalbank, Thomas Jordan. Ein Grund dafür seien strukturelle Faktoren wie zum Beispiel demografische Entwicklungen, die weltweit zu einem höheren Angebot an Ersparnissen geführt hätten, während die Investitionsnachfrage zurückgegangen sei.

Es ist also gut möglich, dass die Nullzinsphase noch deutlich länger anhält, als man es ursprünglich gedacht hat. Das hat Folgen für private Rentenversicherungen. Pensionskassen und Versorgungswerke investieren einen Großteil der Beitragszahlungen in sichere Staatsanleihen. Doch die werfen nichts mehr ab, auch aufgrund der starken Nachfrage durch die EZB. Alle deutschen Staatsanleihen werden inzwischen mit "Renditen" von unter null Prozent gehandelt. Anleger machen also Verluste, wenn sie den Schuldschein bis zur Fälligkeit halten. Dennoch kaufen sie weiter. Nur über die Kursgewinne der Wertpapiere lässt sich noch Geld verdienen. Doch Kursgewinne fallen nur an, wenn die Renditen noch stärker unter null Prozent fallen, was wiederum den Druck auf die Spareinlagen erhöht. Es ist ein Teufelskreis.

Die lockere Geldpolitik befördert eine gefährliche Entwicklung, denn auch riskante Unternehmensanleihen bieten inzwischen kaum noch Zinsen, die in einem gesunden Verhältnis zum Ausfallrisiko stehen. Weil sich die Konjunktur eintrübt, dürften sich demnächst die Kreditausfälle häufen. An den Anleihemärkten könnte das zu Turbulenzen führen. Auch an den Immobilienmärkten drohen Preisblasen, ebenso an den Aktienmärkten. Das Gesamtvermögen der Deutschen ist auf über sechs Billionen Euro gestiegen, trotz der Nullzinsphase. Das liegt auch daran, dass die Menschen immer mehr ihres Einkommens zurücklegen. Es mag kein Trost sein, aber es gab auch zu D-Mark-Zeiten längere Phasen, in denen Sparer negative Renditen auf ihr Geld erzielten. Damals lagen die Zinsen zwar deutlich im positiven Bereich, doch die viel höheren Inflationsraten raubten den realen Ertrag.

© SZ vom 24.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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