Europäische Zentralbank:Draghis nächster Dreh

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Mit einem Bündel von Maßnahmen kämpft die Notenbank gegen die Deflation- und will nun sogar Anleihen der Bundesländer und Kommunen aufkaufen. Denn Staatspapiere werden knapp.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Europäische Zentralbank weitet ihr Anleihekaufprogramm deutlich aus. Künftig will sie nicht nur Kreditpapiere von Staaten aufkaufen, sondern auch von lokalen und regionalen Regierungen. Sie könnte also auch Anleihen von deutschen Bundesländern und Kommunen kaufen. Die EZB erwirbt solche Papiere nicht direkt von den staatlichen Stellen, das wäre illegale Staatsfinanzierung, sondern auf dem Zweitmarkt von Finanzhändlern, die die Anleihen am Markt kaufen und verkaufen. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Was hat die EZB konkret beschlossen?

Zum einen hat die EZB den Strafzins auf Einlagen der Geschäftsbanken erhöht: Statt 0,2 Prozent müssen die Institute nun 0,3 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Zum anderen hat sie die Laufzeit des bestehenden Ankaufprogramms um sechs Monate verlängert - bis zum März 2017. So fließen zusätzlich mindestens 360 Milliarden Euro in den Finanzsektor.

Draghi sagte, die Laufzeit könne im Ernstfall noch weiter verlängert werden. Warum kauft die EZB andere Anleihen? Staatsanleihen werden knapp. Es besteht die Gefahr, dass es irgendwann nicht mehr genug andere Schuldscheine gibt. Seit Monaten diskutiert man an der Börse, ob Bundesanleihen bald ausverkauft sein könnten. Die EZB hatte die Kaufliste bereits einmal verlängert. Nun kommen Schuldverschreibungen der Länder und Kommunen dazu.

Wie reagieren die Finanzmärkte?

Der Dax, der seit Mitte Oktober von 9900 auf über 11 000 Punkte gestiegen war, verlor nach Bekanntgabe der Entscheidung bis zu 3,7 Prozent auf 10 700. Der Euro, dessen Außenwert zum Dollar seit Mitte Oktober um acht Prozent auf 1,05 Dollar gesunken war, legte auf 1,08 Dollar zu. Die Finanzmärkte hatten mit deutlich mehr EZB-Milliarden gerechnet. Der Euro hat damit seit Dezember 2014 etwa 15 Prozent verloren. Die Abwertung ist erwünscht, weil dann die Exportwirtschaft Europas konkurrenzfähiger wird. Gleichzeitig wird Inflation importiert, wenn man nun teurere Waren aus dem Dollar-Raum importiert.

360 Milliarden Euro zusätzlich für den Finanzsektor: EZB-Chef Draghi ist mal wieder spendabel. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Was bedeutet die EZB-Politik für Bürger?

"Jeder, der sich verschuldet, profitiert von den Maßnahmen", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank. Die Zinsen für Hauskredite könnten weiter fallen. In Dänemark wurden schon Darlehen ausgereicht, bei denen der Kreditnehmer 10 000 Euro leiht und etwas weniger zurückzahlen muss. Auslandsreisen in die USA werden teurer, da der Euro an Wert verliert.

Die EZB kauft doch schon Staatsanleihen?

Richtig. Erst im März hatte die Notenbank begonnen, bis September 2016 mindestens 1,1 Billionen Euro in den Ankauf von Staatsanleihen und Kreditverbriefungen zu stecken. Das Programm sah monatliche Volumina von durchschnittlich 60 Milliarden Euro vor. Die Ankäufe sollen das langfristige Zinsniveau senken. 450 Milliarden sind bereits geflossen.

Warum wollte Draghi mehr tun?

Die EZB ist verzweifelt, weil die Inflation nach ihrer Ansicht seit Monaten viel zu niedrig ist. Dabei hat die Notenbank viele Möglichkeiten ausgeschöpft. Der Leitzins liegt seit gut einem Jahr bei 0,05 Prozent. Diese Maßnahme allein sollte in normalen Zeiten für Wachstum und Inflation sorgen. Doch es reichte nicht. Deshalb hat die EZB durch Kredit- und Ankaufprogramme zusätzlich Hunderte Milliarden Euro in das Finanzsystem gepumpt. Doch das frische Geld fließt vor allem an die Börsen, wo eine Preisblase droht. Die Notenbank strebt mittelfristig eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent an. Im November lag die Teuerung bei 0,1 Prozent.

Warum sind fallende Preise gefährlich?

Draghi möchte verhindern, dass Europas Wirtschaft in eine Deflation rutscht. Dauerhaft sinkende Preise könnten dazu führen, dass Verbraucher ihre Einkäufe aufschieben, weil sie hoffen, das Produkt später noch günstiger zu ergattern. Gleichzeitig fallen die Gewinne der Unternehmen: Weil die Löhne unverändert bleiben, sinken bei niedrigeren Verkaufspreisen die Profitmargen. In Japan führte die Deflation zu einer jahrzehntelangen Wirtschaftskrise.

Wer profitiert von steigender Inflation?

Die Euro-Staaten können ihre Schulden besser managen. Mit der Inflation steigt das nominale Bruttoinlandsprodukt. Damit sinkt die Schuldenquote, die man zur Wirtschaftskraft ins Verhältnis setzt.

Was bedeutet der Strafzins?

Auch Banken haben ein Girokonto. Das liegt bei der EZB. Dorthin überweisen sie all das Geld, das sie nicht verliehen oder investiert haben. Auf diese Einlagen müssen die Banken nun einen Strafzins von 0,3 Prozent bezahlen. Die EZB möchte erreichen, dass die Institute keine Überschüsse ansammeln, sondern all ihr Geld verleihen. Durch die Kreditvergabe soll die Wirtschaft angekurbelt werden.

Gibt es Erfahrungen mit dem Strafzins?

In Dänemark, der Schweiz und Schweden ist dieser Einlagenzins ebenfalls negativ. Es gibt Indizien, dass Banken vereinzelt den Strafzins auf ihr Kreditgeschäft umgelegt haben. Das bedeutet: Kredite an Verbraucher und Unternehmen könnten teurer werden als vorher, was die Maßnahme konterkarieren würde. Eine abschließende Beurteilung der Wirkung von Strafzinsen ist noch nicht möglich.

Sind Privatsparer betroffen?

Banken wälzen ihre Kosten gerne auf die Kunden um. Noch schrecken die hiesigen Banken davor zurück, private Spareinlagen mit einem Strafzins zu belegen. Doch haben viele Institute ihre Gebühren für Dienstleistungen erhöht. Die Kunden bezahlen also mit.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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