Europäische Union:Geldsegen aufgeschoben

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Die EU-Länder haben sich im Juli auf ein 750-Milliarden-Euro-Paket geeinigt, um die Pandemie-Folgen abzumildern, doch Deutschland hat es nicht eilig. Der Starttermin Januar ist nicht mehr zu halten.

Von Björn Finke und Cerstin Gammelin, Berlin/Brüssel

Die Bundesregierung zeigt keine Eile, die Auflagen zu erfüllen, die nötig sind, um Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu bekommen. Der dazu nötige Reform- und Investitionsplan solle "spätestens zum 30. April 2021 an die EU-Kommission" geschickt werden, teilte Finanzstaatssekretärin Bettina Hagedorn auf eine Anfrage der Grünen-Europaexpertin im Bundestag, Franziska Brantner, mit. Das ist der allerletzte Tag, an dem die Behörde die Pläne akzeptiert. Die Anfrage liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Hagedorn schreibt, dass auch der vereinbarte "breit angelegte politische Dialog, in den die Sozialpartner und alle anderen einschlägigen Interessenträger einbezogen werden", erst "analog" zur Erstellung des Reformplans stattfinden solle.

Zudem stellte sich am Donnerstag heraus, dass der Hilfstopf nicht wie geplant im Januar bereit stehen wird. Das sagte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß. Der Wiederaufbaufonds ist mit dem EU-Haushalt für die sieben Jahre bis 2027 verknüpft. Beidem muss das Europaparlament zustimmen, bevor sie wirksam werden können. Die Abgeordneten fordern aber einen höheren Etat und einen strengen Mechanismus, der Auszahlungen stoppen würde, wenn im Empfängerland der Rechtsstaat nicht funktioniert.

Weil Deutschland im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, verhandelt Clauß für die 27 EU-Regierungen mit den Parlamentariern. Diese Gespräche ziehen sich hin. Und nach dem Placet des EU-Parlaments müssen auch noch die meisten nationalen Parlamente der Neuerung zustimmen, dass die Kommission für den Corona-Topf im großen Stil Schulden aufnehmen darf. Trauriges Ergebnis: "Es ist schon jetzt nicht mehr möglich, dass der Wiederaufbaufonds im Januar pünktlich startet, weil die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente mindestens zweieinhalb Monate dauern wird", sagte Clauß.

Die 27 Staats- und Regierungschefs hatten sich im Juli auf den 750 Milliarden Euro umfassenden Wiederaufbaufonds geeinigt: 360 Milliarden Euro sollen als Darlehen fließen, 390 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuschüsse. Die Beträge sind in Preisen von 2018 ausgedrückt, berücksichtigen also nicht die Inflation. In heutigen Preisen ist der Topf sogar 807 Milliarden Euro wert. Knapp 313 der 390 Milliarden Euro an Zuschüssen wird die Kommission über ein neues EU-Programm verteilen, das staatliche Investitionen und Reformen unterstützen soll. Dafür müssen die Regierungen Reformpläne mit förderwürdigen Projekten einreichen. Die Kommission erlaubte, diese Pläne schon ab Mitte Oktober vorzulegen, um den Prozess zu beschleunigen. Portugal hat diese Möglichkeit bereits genutzt. Deadline ist der 30. April 2021.

Die Bundesregierung will lediglich auf Projekte aus dem nationalen Konjunkturpaket verweisen

Berlin scheint der ganzen Sache keine Priorität beizumessen. So schreibt Staatssekretärin Hagedorn in ihrer Antwort, die Bundesregierung wolle lediglich auf Projekte aus dem nationalen Konjunkturpaket verweisen anstatt sich neue speziell für den EU-Fonds auszudenken. Grünen-Abgeordnete Brantner äußerte am Donnerstag heftige Kritik: "Wir müssen den Wiederaufbaufonds in Deutschland ernsthaft umsetzen wollen", sagte sie der SZ. Dazu gehöre es, konkrete Projekte zu benennen. "Wir müssen auch in den Parlamenten darüber reden, damit die Bürger wissen, wo europäisches Geld in Deutschland hinfließt", sagte sie. "Wir brauchen eine öffentliche Debatte". Auf Deutschland entfallen immerhin 23 der 313 Milliarden Euro an Zuschüssen, schätzt die Kommission.

Zu den Knackpunkten in den Verhandlungen von Botschafter Clauß mit dem Europaparlament gehört die Forderung der Abgeordneten, das Gesamtvolumen des Sieben-Jahres-Etats aufzustocken, um damit wichtige EU-Programme wie Horizon zur Forschungsförderung besser auszustatten. Die Mitgliedstaaten sind bereit, bei Programmen Geld draufzulegen, wollen aber das Gesamtvolumen, auf das sich die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel im Juli geeinigt haben, nicht erhöhen. Stattdessen sollen Mittel umgeschichtet werden. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Strafzahlungen an die EU, etwa von Firmen in Kartellverfahren, in solche Programme fließen könnten anstatt an die Mitgliedstaaten verteilt zu werden. Regierungen könnten auch darauf verzichten, nicht verwendete Mittel aus dem EU-Haushalt zurückzuerhalten, und damit stattdessen wichtige Programme aufstocken. Doch bislang reichen diese Zugeständnisse den Parlamentariern nicht aus.

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