Es ist bitter, im Stich gelassen zu werden. Wenn aber derjenige, der einen im Stich lässt, auch noch beteuert, er habe sein Bestes gegeben, dann ist das zynisch. So geht es sechs Millionen Europäern in diesen Tagen, jungen Menschen, keine 25 Jahre alt.
Sie waren fleißig, in der Schule, im Studium. Sie haben Auslandserfahrung. Das gehört in den Lebenslauf, auch wenn es nicht immer ins Leben passt. Das Praktikum wichtiger als ein paar Freunde in der Heimat. Die Jungen glaubten an das Versprechen, das ihnen Eltern, Lehrer und Politiker gaben: Irgendwann gibt es den Lohn für die Mühen - einen guten Job, ein Haus und zweimal im Jahr Urlaub mit der Familie.
Und jetzt?
Jetzt ist jeder vierte von ihnen arbeitslos, zumindest wenn er in Frankreich wohnt. In Italien und Portugal ist es jeder dritte, in Griechenland und Spanien jeder zweite. Es ist eine verlorene Generation. Vergessen von Politikern, Unternehmern, Gewerkschaftern, die zu sehr mit der Euro-Rettung beschäftigt sind. Vor allem aber ist es: eine betrogene Generation.
An entscheidenden Stellen die Zukunft mitgestalten
Nun geben die Politiker wieder ein Versprechen: 60 Milliarden Euro sollen bis 2020 bereitgestellt werden, um den Mittelstand zu fördern und jungen Menschen bei der Berufsausbildung sowie bei der Jobsuche auch außerhalb der Heimat zu helfen. Die Rettung maroder Banken ist Europa ein Vielfaches wert. Der vollmundig verkündete New Deal ist keine Geste der Großzügigkeit. Er ist ein zauderliches Klein-Klein ohne Vision.
Die Jugendlichen suchen nach einem Weg aus einer Misere, an der sie nur selten selbst schuld sind. Die Politiker aber verschieben ein paar Milliarden im Haushalt - und tun so, als seien Jobs einfach so zu haben. Als bräuchte es keine schmerzhaften Reformen der vielerorts verkrusteten Arbeitsmärkte, als bräuchte es keine klugen Ideen und keinen Mut, um neue Geschäftsfelder zu erobern.
Es geht den Jugendlichen ja nicht nur um irgendeinen Job. Sie wollen an den entscheidenden Stellen die Zukunft mitgestalten. Soll Europas Wohlstand wirklich nur darauf beruhen, all das, was hier niemand mehr haben will, nun eben ins so viel größere und so viel gierigere China zu exportieren? Kann sich Europa bei der Erschließung erneuerbarer Energien wirklich noch so viel Zeit lassen? Und warum wird Arbeit eigentlich immer noch so verteilt, dass die einen kurz vor der Erschöpfung stehen und die anderen auf der Straße?
Diese Fragen bewegen vor allem junge Menschen, weil ihre Zukunft daran hängt. Das von den Alten vorgegebene "Nur weiter so" reicht ihnen nicht mehr. Längst tragen sie ihre Wut auf die Straßen von Athen, Madrid und Rom. Es sind eindrucksvolle Bilder. Aber bis in die politischen Zirkel von Brüssel, bis in Vorstandsetagen und Wirtschaftsverbände dringen die jungen Menschen mit ihren Ideen offenbar nicht vor.
Auch in Deutschland: Gehangel von einem befristeten Job zum nächsten
Gerade deutsche Unternehmen rühmen sich gern damit, in der Krise auch ein paar arbeitslose Südeuropäer anzuheuern - und verschweigen dabei, dass sie es selbst lange genug versäumt haben, sich um den nun so dringend benötigten Nachwuchs zu kümmern. Der eine oder andere Spanier mag sein Glück irgendwo im Schwäbischen finden. Aber eine Perspektive für eine ganze Generation ist das nicht. Denn diese neuen Einwanderer lassen ihre Heimat zurück: Freunde, Familie - und auf lange Sicht eine funktionierende Gesellschaft.
In Frankreich zieht es heute bereits jeden dritten Hochschulabsolventen ins Ausland. Das ist eine alarmierende Zahl. Denn das Land verliert damit seine intellektuelle Elite. Wohin es führen kann, wenn man jungen Menschen bei der Jobsuche nur rät, die Koffer zu packen und eben dahin zu ziehen, wo Arbeit ist, der kann seinen Blick in den Osten Deutschlands richten. Dorthin, wo Landärzten und Feuerwehren der Nachwuchs fehlt - und das kulturelle Leben auf die Eröffnung eines Discounters zusammengeschnurrt ist.
Gewiss, statistisch gesehen steht Deutschland bei der Jugendarbeitslosigkeit gut da. Doch auch hier hangeln sich Leute um die 30 von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag. Auch hier bekommen sie vom Chef zu hören, dass sie sich eben noch beweisen müssen - und ahnen doch: Einen so guten Job wie diejenigen, die die Macht nicht aus der Hand geben wollen, werden sie nie haben. Auch das nächste Aktionsprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit ist nur eines auf Pump. Wie das Experiment ausgeht, ist ungewiss. Fest steht nur: Die Schulden lasten vor allem auf den Schultern derer, die heute noch keine 25 sind. Sie beim Entwurf von Europas Zukunft ernst zu nehmen und einzubinden - das sind die Alten den Jungen schuldig.