Europa:Champions gesucht

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Hat der alte Kontinent eine Chance gegen die Firmen aus dem Silicon Valley? Kopieren sei keine Lösung, sagt Axa-Chef Thomas Buberl. Die Europäer haben ihre eigenen Stärken.

Von Caspar Busse, Berlin

"Wir haben den Kampf um das Smartphone verloren", stellt Charles-Édouard Bouée, der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, gleich am Anfang fest. Das ist an sich keine Neuigkeit. Aber er fügt dann hinzu: Europa habe noch sehr viele andere Chancen. Die Champions der Online-Welt, die derzeit die Wirtschaft beherrschen, seien auch erst zehn Jahre alt. Es gebe also Hoffnung.

Aber wo liegen diese Chancen? Wie können in Europa die berühmten Champions geschaffen werden, Unternehmen also, die auch in der digitalen Welt gut dastehen? Nur die Geschäftsideen aus den USA zu kopieren sei jedenfalls keine Option, sagt Thomas Buberl, der Chef des französischen Versicherungskonzerns Axa - neue Amazons oder Facebooks werde es nicht geben. Kopieren müsse zum Beispiel vor allem schnell gehen, Geschwindigkeit sei aber nicht gerade Europas beste Eigenschaft. Trotzdem könnten Firmen erfolgreich sein, aber es brauche eben Zeit. Die Chancen sieht Buberl vor allem in der Industrie, da sei Europa gegenüber den USA klar im Vorteil. Aber: "Wir erfinden schon Regulierungen, bevor die Geschäftschancen überhaupt da sind."

Diskutieren über digitale Champions aus Europa: die Chefin von Booking.com, Gillian Tans, der Chef des Versicherers Axa, Thomas Buberl, Charles-Edourd Bouée von Roland Berger und Telefónica-Deutschland-Chef Markus Haas (von links). (Foto: Stephan Rumpf)

Buberl führt seit 2016 den französischen Versicherer Axa, neben Allianz und Generali einer der ganz Großen in der Branche. Und er ist der erste Deutsche auf dem Chefposten in Paris. Der 45-Jährige machte einst eine Banklehre bei der Deutschen Bank, studierte dann Betriebswirtschaft und fing bei einer Unternehmensberatung an. 2012 wurde er Chef der deutschen Axa-Versicherung und wechselte dann in die Zentrale in Paris. Auch seine Branche ist bedroht, auch hier tauchen neue Online-Anbieter auf, die etablierten Konzerne, die meist ein teures und schwerfälliges Netz von Versicherungsvertretern unterhalten, müssen reagieren.

Booking.com-Chefin Gillian Tans redet über Champions. Sie weiß, wie man einen baut. (Foto: Stephan Rumpf)

"Größe ist nicht immer schlecht", sagt Gillian Tans, die Chefin von Booking.com. Gerade in Europa werde immer viel Augenmerk auf kleinere und mittlere Unternehmen gelegt, aber heute befinde man sich in einer "Superstar-Wirtschaft". Solche großen, erfolgreichen Firmen seien auch in Europa möglich, so Tans.

Viele europäische digitale Schwergewichte gibt es nicht: Booking gehört aber dazu

Booking.com ist so ein Beispiel. Die Hotelbuchungsplattform mit Sitz in Amsterdam ist der mit Abstand größte Anbieter der Welt, mit rund einer Million Buchungen am Tag und etwa 1,7 Millionen Übernachtungsmöglichkeiten im Angebot. Beschäftigt werden mittlerweile rund 17 000 Mitarbeiter. Das Geschäft ist durchaus einträglich, denn für Vermittlung auf der Booking-Plattform wird eine Provision von geschätzt 15 Prozent fällig, viele Hoteliers stört das. Die großen Hotelkonzerne versuchen inzwischen, selbst Online-Plattformen aufzubauen, bislang nicht mit durchschlagendem Erfolg. Viele Kunden wollen nämlich die große Auswahl, die Booking bietet.

Tans führt die Firma seit 2016, sie war die siebte Mitarbeiterin. Gegründet wurde Booking in Amsterdam, 2005 stieg die US-Firma Priceline bei Booking ein, inzwischen hat sich das amerikanische Unternehmen auch in Booking umbenannt und ist an der Börse mehr als 80 Milliarden Euro wert. Tans spricht sich dabei strikt gegen eine Digitalsteuer aus. "Das macht alles nur noch komplizierter", sagt sie. Denn europäische Digitalunternehmen würden dadurch nur weiter benachteiligt. Wenn, dann solle es doch eine globale Lösung geben, meint die Managerin. Und: "Wir brauchen weniger anstelle von mehr Regeln."

In Europa und besonders in Deutschland gibt es nicht viele Schwergewichte dieser Art im Internetbereich: der Musikanbieter Spotify, SAP oder der Zahlungsdienstleister Wirecard. Rocket Internet, die Beteiligungsfirma von Oliver Samwer, bringt es derzeit auf einen Börsenwert von nur knapp vier Milliarden Euro. Hervorgegangen daraus sind aber unter anderem die weltweit tätige Lieferfirma Delivery Hero, zu der etwa Foodora und Lieferheld gehören, oder Hellofresh, ein Anbieter von Kochboxen. Und dann ist da noch die Vorzeigefirma Zalando, das Berliner Modekaufhaus im Internet entstand auch unter Mithilfe von Oliver Samwer und ist fast acht Milliarden Euro wert.

Mehr als Symbolik: Tesla ist inzwischen mehr wert als der Konkurrent BMW

Die Kräfte verschieben sich gerade grundlegend, nicht zuletzt auch in der Autoindustrie. Die Aktie des Elektroauto-Herstellers Tesla hat nur kurzzeitig geschwächelt, nachdem Unternehmensgründer Elon Musk angekündigt hatte, die Firma von der Börse zu nehmen und daraufhin Ärger nicht nur mit den Aufsichtsbehörden bekam. Nun legte das Papier wieder um fast 50 Prozent zu. BMW hingegen verkündete in der vergangenen Woche enttäuschende Quartalszahlen, der Umsatz legte zwar zu, der Gewinn ging aber um ein Viertel zurück. Die BMW-Aktie rutschte deutlich ab. Und so ist Tesla, der Newcomer aus Kalifornien, nun an der Börse mehr wert als BMW. Das ist mehr als nur Symbolik. Tesla, nach Zahl der ausgelieferten Fahrzeuge deutlich kleiner als die Münchner, ist hip und verkauft ein Erlebnis, die Anleger trauen der Firma Großes zu. BMW dagegen schlägt sich - wie auch die anderen deutschen Autobauer - mit vielen Problemen herum: neue Abgasvorschriften, internationale Handelsstreitigkeiten mit neuen Zöllen, Rückrufe, Preiskämpfe. Das Beispiel ist exemplarisch: Große US-Unternehmen, allen voran Google, Facebook, Apple oder Amazon, eilen von Hoch zu Hoch, während die traditionellen Konzerne vor allem aus Europa schwächeln - und ein Aus des weltweiten wirtschaftlichen Aufschwungs fürchten.

"Wir müssen auch angreifen", sagt Markus Haas, Vorstandsvorsitzender von Telefónica Deutschland. Zu sehr seien Wirtschaft und Politik mit "verteidigen" beschäftigt. Man müsse aber auch die guten Dinge sehen, nach vorne gehen. Die Datennutzung nehme derzeit deutlich zu, die Infrastruktur dafür müsse ausgebaut werden. Aber: "Gute Infrastruktur kostet Geld, die gibt es nicht umsonst."

Noch hat das Mobilfunk- und Datennetz gerade in Deutschland große Lücken. Nun soll das superschnelle neue Netz 5G kommen. Demnächst will die Bundesnetzagentur die Regularien für Frequenzauktion festlegen, die dann im kommenden Jahr stattfinden soll. Haas pocht darauf, dass die Mobilfunk-Konzerne möglichst wenig zahlen sollen, damit sie mehr investieren können - zum Wohl des deutschen Standorts und damit der Wirtschaft.

Trotzdem: Disruption heißt das Motto. Traditionelle Geschäftsmodelle geraten durch die Digitalisierung und die neuen technischen Möglichkeiten ins Wanken. Und das betrifft nicht nur die Autoindustrie, sondern fast alle Industriezweige. Berater Bouée empfiehlt dabei, die "Disrupter zu disruptieren".

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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