Euro-Zone:"Es muss jetzt etwas geschehen"

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Führende Ökonomen sehen die nächste Krise aufziehen. Sie fordern, den Euro krisenfest zu machen. Am Dienstag wollen Sie ihren Plan zur Wende in der Euro-Politik vorlegen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Dass Wolfgang Schäuble das Bundesfinanzministerium zu einem informellen Kanzleramt ausgebaut hat und von dort aus gesamtpolitische Aufgaben dirigiert, kommt ausweislich seiner Beliebtheitswerte beim Bürger gut an. Das ist umso bemerkenswerter, weil Schäuble ein Thema ausspart, das jeden Bundesbürger und 320 Millionen Europäer betrifft: den Euro. Nach der vorjährigen akuten Rettungsaktion für das hochverschuldete Griechenland schweigt er über die Zukunft der Euro-Zone, obwohl sich an der deren gravierenden Problemen nichts geändert hat.

Zwar legt Schäubles Attitude den Schluss nahe, dass er die Euro-Zone von seinem Amtssitz aus auf unkompliziert informelle Weise gleich mit dirigieren könnte. Andererseits zeigt ein Blick in die Hauptstädte der Euro-Zone, dass überall Agonie statt Reformwille herrscht.

Die Ruhe lässt Experten Alarm schlagen. Europa werde sicher wieder von einer Wirtschaftskrise getroffen, sagt Henrik Enderlein, Professor für politische Ökonomie und Präsident des Jacques-Delors-Instituts Berlin im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Wir wissen nicht, ob das in sechs Wochen oder in sechs Monaten sein wird, aber wir befürchten, dass die Euro-Zone auf diese Krise schlecht vorbereitet ist". Regierungen gingen "eine riskante Wette" ein, wenn sie die nächste Krise wieder durch Notmaßnahmen bewältigen wollten. "Es muss jetzt etwas geschehen".

Enderlein will die Regierungen "aufrütteln". Er hat mit dem früheren italienischen Premier Enrico Letta einen Aktionsplan entwickelt, wie die Währungsunion krisenfest gemacht werden kann. "In kleinen Schritten, ohne große Euro-Konferenzen, ohne Transferunion, ohne Superstaat". An diesem Dienstag werden sie den knapp 50 Seiten umfassenden Plan "Reparieren und Vorbereiten: Der Euro und Wachstum nach dem Brexit" in Berlin vorstellen. Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union und der heftige Streit darüber haben die Reform noch einmal dringlicher gemacht. "Es darf nicht sein, dass der Euro das vergessene Kind der Brexit-Diskussionen wird", warnt Enderlein.

Hat die EU sie ihrer Chancen beraubt? Junge Menschen protestierten vor einigen Jahren gegen die rigide Schuldenpolitik der EU in Spanien. (Foto: Emilio Morenatti/AP)

Der Aktionsplan zur Reform der Euro-Zone umfasst drei Schritte. Die ersten beiden sollen akute Problem lösen, der dritte langfristige. Grundsätzlich läuft der Plan darauf hinaus, die Europäische Zentralbank zu entlasten. Die Notenbank soll sich so weit wie möglich aus der Euro-Rettungspolitik, insbesondere für einzelne Länder, verabschieden. Aus der Not retten sollen künftig die politisch Verantwortlichen, die Regierungen. Mit allen Konsequenzen.

Der Aktionsplan geht in den nächsten Tagen an die Euro-Länder nach Brüssel

Der erste Schritt soll schnelle Eingriffe ermöglichen, etwa wenn unerwartet Finanzmärkte zu kollabieren drohen. Um die Euro-Zone dafür zu rüsten, sollen der bestehende Euro-Rettungsfonds ESM und die Bankenunion gestärkt werden. Dazu wird ein Notfallbudget von 200 Milliarden Euro eingerichtet, aus dem notfalls Staatsanleihen aufgekauft werden können. Nationale Parlamente kontrollieren direkt die Beschlüsse des ESM. Der Präsident der Euro-Gruppe übernimmt auch den Vorsitz des ESM. Die Regierungen sollen sich enger in haushaltspolitischen Planungen abstimmen. Banken sollen die Risiken in ihren Büchern reduzieren, also weniger Staatsanleihen kaufen. Die Fiskalregeln müssen überarbeite werden. Das "Erste-Hilfe-Paket", schreiben die Autoren, sei über zwischenstaatliche Vereinbarungen zu schnüren, es erfordere keine Änderung der EU-Verträge.

Im zweiten Schritt geht es um Reformen und Investitionen. Um dringend nötige und immer wieder verschobene strukturelle Reformen anzugehen, soll eine umfassende Reformagenda mit einer Investitionsoffensive vor allem der öffentlichen Hand gekoppelt werden. Die Währungsunion wird zu einem integrierten Wirtschaftsraum ausgebaut. Die Arbeit daran soll parallel mit dem ersten Schritt beginnen. Sie kann sich aber über einen längeren Zeitraum von rund zehn Jahren erstrecken.

Quelle: Enderlein, Henrik, Enrico Letta u.a. (2016). Repair and Prepare: Der Euro und Wachstum nach dem Brexit. Grafik: SZ. (Foto: N/A)

Um die Währungsunion langfristig zu vollenden, müssen im dritten Schritt die EU-Verträge geändert werden. Entstehen würde eine Währungsunion, "die auf weitgehender Risikoteilung und Souveränitätsteilung basiert", geführt von einer demokratisch legitimierten Wirtschaftsregierung. Der ESM würde zu einem Europäischen Währungsfonds. Ein Euro-Finanzminister unter parlamentarischer Kontrolle würde die politische Verantwortung über Hilfsprogramme übernehmen. Es gebe einen Euro-Haushalt und eine gemeinsame Einlagensicherung. Die Autoren weisen darauf hin, dass der dritte Schritt "nicht als notwendiger Zielpunkt fehlgedeutet" werden sollte. Er sei vor allem "als Vision für eine vollendete Währungsunion" zu verstehen.

Der Aktionsplan wird in den kommenden Tagen an die Euro-Länder und nach Brüssel geschickt. Im besten Fall wird er dort als echter europäischer Bericht gelesen. Neben Enderlein und Letta haben Experten wie Pascal Lamy, einst Chef der Welthandelsorganisation oder Jörg Asmussen, einst Direktor der Europäischen Zentralbank mitgeschrieben. Letzterer will den Aktionsplan verstanden wissen als "Vorschlag, wie wir die Diskussion um die Euro-Zone weiterführen". Bleibt abzuwarten, ob Asmussens früherer Chef Schäuble das auch so sieht.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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