EuGH-Entscheidung:Was das Diesel-Urteil für Autobesitzer und Hersteller bedeutet

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Die Schadstoffbelastung in Innenstädten - im Bild Köln - ist den Anwohnern schon lange ein Graus. Politik und Autobranche reagierten spät. (Foto: Leon Seibert/Unsplash)

Abschalteinrichtungen bei Diesel-Autos sind weitgehend unzulässig, stellt der EuGH fest. Nun könnten die Behörden weitere Motorentypen beanstanden.

Von Markus Balser, Berlin, Max Hägler und Leo Klimm, Paris, Berlin, München, Paris

Es gibt einen Ausdruck im Deutschen, der einen wichtigen Aspekt im Dieselskandal sehr schön beschreibt: die Versottung. Ein zunehmendes Problem im Abgassystem, das unbeweglich macht. Im Falle von Dieselmotoren vor allem in Brennkammern, Ventilen und Rohren. Die Ingenieure bei den Autofirmen haben große Sorge davor: Ein Motor, dessen Lebensadern verstopfen, könnte irgendwann ausgehen. Eine Situation, die eintreten kann, wenn hohe Drehzahlen gefahren werden, und besonders, wenn es kalt wird: Dann sind besonders viele Partikel im Abgasstrom, der eigentlich nochmals in die Brennräume geführt wird, damit möglichst wenige Abgase aus dem Auspuff kommen. Damit wenig versottet, schalteten die Autobauer lange Zeit die Abgasrückführung großzügig herunter, mit der Folge, dass die Autos mehr vom Reizgas Stickoxid ausstießen - mehr als sie eigentlich durften.

Der Kampf dagegen war schwierig. Denn wo beginnt die kritische Temperatur, ab der die Abgasreinigung abgeschaltet werden darf? Welche Ausnahmen sind zulässig? Seit Bekanntwerden des Dieselskandals streiten darum Behörden, Juristen, Hersteller. Und jetzt endlich, nach fünf Jahren, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) dazu geurteilt und der Spruch hegt die weite Auslegung der Autohersteller der entsprechenden EU-Verordnung Nummer 715/2007 ein. Grundsätzlich seien solche Abschalteinrichtungen illegal, zumal wenn sie auf den Prüfstand hin programmiert wurden. Ihr Einsatz sei nur dann erlaubt, wenn es darum gehe den Motor vor "plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden" zu schützen. Nicht ausreichend sei die Begründung, dass Verschleiß oder Verschmutzung des Motors verhindert werde. Das bringt die Konzerne in Erklärungsnot und auch die Zulassungsbehörden, die das abgenickt haben.

Mit der EuGH-Entscheidung ist nun der Weg frei für strafrechtliche Anklagen in Frankreich

Der EuGH war von Pariser Untersuchungsrichtern angerufen worden, die zum Diesel-Betrug von Volkswagen in Frankreich ermitteln. Vor einer möglichen Anklage wollten die Ermittler klären lassen, ob die Praxis der sogenannten "Thermofenster" bei den Zulassungstests legal ist. Mit der EuGH-Entscheidung ist nun der Weg frei für strafrechtliche Anklagen in Frankreich - sowohl gegen VW als auch gegen die Konkurrenten Renault, den PSA-Konzern mit Marken wie Peugeot und Citroën sowie gegen Fiat. Alle vier Hersteller sind seit Jahren im Visier der Ermittler. Tests hatten den Einsatz von Abschalteinrichtungen belegt.

"Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eröffnet allen Autokunden in Europa, die betrogen wurden, den Zugang zu einer Entschädigung", kommentiert Rechtsanwalt Charles Constantin-Vallet. Er vertritt in Frankreich 250 VW-Kunden und vor allem die Verbrauchervereinigung CLCV. Sie hat im Herbst eine zivilrechtliche Sammelklage gegen Volkswagen eingereicht, um die Erstattung des vollen Kaufpreises von etwa 950 000 Diesel-Fahrzeugen zu erreichen. Nach dem EuGH-Urteil planen Constantin-Vallet und CLCV auch eine Sammelklage gegen Renault, PSA und Fiat, die übrigens jeden Betrug bestreiten. Auch deutsche Klagejuristen sprechen davon, dass die "Chancen nie besser" standen, erfolgreich Schadensersatzansprüche durchzusetzen.

Unabhängige Beobachter sind da zurückhaltender. "Die EuGH-Entscheidung hat für Volkswagen jedenfalls keine Relevanz in Deutschland, soweit es um den Motor EA 189 geht", sagt Michael Heese, Rechtsprofessor an der Universität Regensburg. Denn der Bundesgerichtshof hatte die Illegalität der in diesem Motor verbauten Abschaltvorrichtung schon selbst ausgesprochen und VW daraufhin wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verurteilt. Zuvor hatten Zulassungsbehörden bei verschiedenen Herstellern Nachbesserungen angeordnet: So schaltet sich die Abgasreinigung bei VW-Dieselautos nach einem Software-Update nicht mehr bei 15 Grad Celsius herunter, sondern erst bei zehn Grad. Das sei Ergebnis ingenieurtechnischer Erfahrung und zu Beginn nicht möglich gewesen, heißt es bei VW.

Dass sich der Konzern entspannt gibt, mag auch damit zu tun haben, dass nirgendwo unmittelbar richtig neuer Ärger droht, trotz des Juristengetrommels: So erwartet etwa Jurist Heese, der umfangreich zum Dieselskandal forscht, auch im Ausland keine großen Überraschungen: "Ich hatte bisher den Eindruck, dass Käufer vor ausländischen Zivilgerichten eher noch schlechtere Karten hatten als hierzulande." Zudem würden sich viele Gerichte im Ausland an der deutschen Rechtsprechung orientieren.

Die EuGH-Entscheidung dürfte allerdings zur Folge haben, so Heese, dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) weitere Motorentypen wegen illegaler Abschaltvorrichtungen beanstanden und die Hersteller zu Nachbesserungen verpflichten werde. Doch Diesel-Fahrer werden nach Einschätzung des Juristen davon kaum profitieren: "Die Autohersteller berufen sich bisher erfolgreich darauf, dass die Reichweite der Motorschutzausnahme früher nicht absehbar gewesen sei, zumal das KBA seinerseits diese Technik bisher nie grundlegend beanstandet habe."

Der Richterspruch ist auch eine Zurechtweisung des früheren Verkehrsministers Dobrindt

Dabei macht der EuGH-Entscheid deutlich, dass die Rechtslage im Grunde von Anfang an klar war: Ein Verbot darf nicht so exzessiv unterlaufen werden, bis nichts mehr übrig bleibt davon. Damit ist das Urteil auch eine politische Klatsche für den früheren Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, der bis Oktober 2017 im Amt war. Der CSU-Politiker hatte den ausufernden Einsatz von Thermofenstern kritisiert, sie jedoch nicht als illegal eingestuft. Dobrindt hatte stattdessen eine Verschärfung der EU-Regeln gefordert. Laut EuGH ist das aber eben gar nicht nötig.

Die Folgen dürften dennoch überschaubar bleiben, glaubt Heese. Er habe den Eindruck, "dass die deutsche Justiz den Dieselskandal zum Ende bringen will." Dass sie also nicht noch unzählige weitere Verfahren und Urteile anstrengen möchte. Auch, weil bisweilen die Auswirkungen auf die Autoindustrie mitbedacht würden - und die leiden unter den ewigen Prozessen.

Einen Erfolg von Käuferklagen kann sich der Juraprofessor lediglich dann vorstellen, wenn vor den Gerichten nochmals eine weitere geheime Abschaltvorrichtung aufgedeckt werde. Doch daran glaubt er nicht recht: Das KBA verhalte sich "sehr industriefreundlich".

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