Estland: Hoffnung auf den Euro:"Die Kirsche auf dem Kuchen"

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2011 will Estland den Euro einführen. Die Kriterien erfüllt der Staat bereits. Doch nun fürchtet das Land, das Vorhaben könnte wegen der Griechenland-Misere scheitern.

Matthias Kolb

Ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein gehört offiziell nicht zu den Kriterien des Maastricht-Vertrags, die ein Euro-Kandidat erfüllen muss. In Estland ist man jedoch sicher, dass überzeugtes Auftreten nicht schaden kann. "Wir werden unseren erfolgreichen Weg mit der Euro-Einführung 2011 krönen", verkündet Ministerpräsident Andrus Ansip. Und auch Finanzminister Jürgen Ligi ist sicher, dass Estland im Januar 2011 als 17. Mitglied der Eurozone beitritt. Unternehmer Jaan Puusaag vom Baustoff-Hersteller Krimelte sprach jüngst einen anderen Punkt an: "Estland ist ein nördliches Land. Wir mögen Regeln und tricksen nicht."

Überschaubares Haushaltsdefizit

Manager und Politiker fürchten: Wegen der Sorge um den Krisenstaat Griechenland könnte Estlands Euro-Wunsch noch scheitern. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte zum Abschluss des EU-Gipfel, diese Ängste zu zerstreuen. "Wir werden keine zusätzlichen Bedingungen stellen, nur weil wir ein Problem mit einem langjährigen Euro-Mitgliedsstaat haben," sagte sie in Brüssel. Estland werde so fair behandelt wie jeder der anderen Beitrittskandidaten.

Erst Ende vergangener Woche teilte das Statistikamt in Tallinn mit, dass das Haushaltsdefizit 2009 bei 1,7 Prozent lag und damit deutlich unter der Maastricht-Grenze von drei Prozent. Für das laufende Jahr erwartet die Regierung einen Fehlbetrag von 2,2 Prozent, bis 2013 sollen sogar wieder Überschüsse erzielt werden. "Ich denke, wir haben gute Chancen, die Kriterien zu erreichen, aber letztlich hängt alles von der EU-Kommission und der EZB ab", sagte ein Vertreter der estnischen Notenbank.

Tanel Ross, Vize-Staatssekretär im Finanzministerium, gibt sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung diplomatisch: "Wir verstehen, dass die Europäische Zentralbank, EU-Kommission und die Euroländer sehr genau prüfen." Die Zahlen, so Ross, sprechen für Estland: Mit knapp zehn Prozent habe man europaweit die niedrigsten Staatsschulden und sei Lichtjahre von Griechenland mit 112 Prozent entfernt. Seit 2004 sei die estnische Krone fest an den Euro gebunden. Natürlich sei Estland mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von 13 Milliarden Euro ein kleiner Fisch, aber der 44-jährige Ross ist selbstbewusst: "Wir möchten nicht nur vom Image des Euros profitieren, sondern zu seiner Stabilität beitragen."

Brutaler Sparkurs

Der Zeitplan ist eindeutig: Ende vergangener Woche schickte Tallinn die Daten nach Brüssel, zwei Monate später sollen Kommission und die EZB Empfehlungen abgeben, im Juni werden die 16 Euro-Länder entscheiden. Ihnen bleibt eine Hintertür offen: Das Zinskriterium ist auf Estland nicht anwendbar, da wegen der geringen Staatsverschuldung kein Markt für estnische Staatsanleihen existiert. Zuletzt mahnte die Experten von Deutsche Bank Research: "Estland hat eine faire Bewertung verdient." Laut den Analysten geht es "weniger um ein Ja oder Nein als um ein Wann".

Verärgert registriert man in Tallinn, dass in Skandinavien und Westeuropa die baltischen Länder noch immer als Einheit gesehen werden - dabei müssten es die Schweden besser wissen, deren Banken den baltischen Boom mit billigen Krediten angeheizt hatten. Die Unterschiede sind groß: Während Lettland nur mit einem Milliardenkredit des IWF und der EU der Pleite entging, blieb Estland dank eines brutalen Sparkurses handlungsfähig - obwohl die Wirtschaft 2009 um etwa 14 Prozent schrumpfte, so stark wie in kaum einem anderen EU-Land.

In Tallinn weist man darauf hin, dass man dem lettischen Nachbarn mit Krediten geholfen habe. Nicht nur wegen der sprachlichen Verwandtschaft fühlen sich die Esten den Finnen stärker verbunden als Letten und Litauern. "Die Nähe zu Finnland hat uns von 1991 an geholfen", sagt Vize-Staatssekretär Ross. Neben den Investitionen aus dem Norden habe man sich stark an der offenen, wettbewerbsfähigen Wirtschaft orientiert. Vielleicht hilft es den Esten, dass mit Olli Rehn ein Finne in der EU-Kommission für Währungsfragen zuständig ist.

"Die Kirsche auf dem Kuchen"

Noch heute profitiert Estland von der mutigen Modernisierung: Während Lettland den Staatsapparat aufblähte, verschlankte man in Tallinn die Strukturen. Steuererklärungen werden nur übers Internet erledigt und seit 2005 können Bürger online wählen. Zudem trug der Erfolg des Onlinedienstes Skype, das an der Ostsee entwickelt wurde, zum Image bei.

Die in der Region aktiven deutschen Firmen wünschen sich den Euro im Baltikum, wie auch viele estnische Unternehmen. "Für uns würde sich wenig ändern, aber es wäre psychologisch wichtig", sagt Anu Hallik-Jürgenstein von der BLRT Grupp. Der Konzern ist in sieben Ländern im Schiffbau und im Gasgeschäft aktiv und rechnet bereits in Euro. Sie hofft, dass sich die Politiker nicht zu weit aus dem Fenster lehnen: "Es wäre schlimm, wenn Brüssel ablehnt. Das würde unserem Image schaden." Ähnlich urteilt Annika Linberg von der Nordea-Bank: "Sollte Estland den Euro nicht bekommen, könnte dies den einsetzenden Aufschwung beschädigen."

Die Politiker werden die Warnungen nicht stören: Estland wählt im März 2011 ein neues Parlament und Premier Ansip will sich als erfolgreicher Macher präsentieren. Verständlicherweise spricht der Konservative lieber über das Design der Euro-Münzen als über die wachsende Arbeitslosigkeit. Die beste Beschreibung der estnischen Position stammt vom Vizechef der Zentralbank, Märten Ross. Im Vergleich zum Beitritt zu EU und Nato wäre die Gemeinschaftswährung wie eine Belohnung: "Die Einführung des Euro wäre die Kirsche auf dem Kuchen, aber nicht der Kuchen selbst."

© SZ vom 29.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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