Ernährung:Tierschutz am Kühlregal

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Kühe im Inntal: Die Chancen, mehr für das Wohl von Nutztieren zu tun, waren selten so groß wie jetzt. (Foto: Florian Peljak)

Deutschlands Discounter führen ein Vier-Stufen-Modell für Frischfleisch ein. Damit gehen sie weiter, als es die Politik verlangt - und erhöhen den Druck auf die verarbeitende Industrie.

Von Michael Kläsgen, München

Von Anfang August an weist Aldi in einem sogenannten Haltungskompass aus, wie Frischfleisch produziert wird. Das Discountergespann von Aldi Nord und Aldi Süd orientiert sich dabei am Modell des Wettbewerbers Lidl, der einen solchen Kompass im April eingeführt hatte und dem inzwischen in Grundzügen Kaufland, Netto, Penny gefolgt sind. Auch auf den Verpackungen frischer Produkte aus Schwein, Rind, Geflügel von Aldi soll der Kunde anhand eines Vier-Stufen-Modells erkennen, wie das Tier gehalten wurde. Zunächst erfolgt die Kennzeichnung wie bei anderen Discountern auf Produkten der Eigenmarken. Aldi verfolgt damit nach eigenen Angaben das Ziel, "langfristig für mehr Tierwohl zu sorgen" und "auf die Wünsche der Kunden einzugehen".

Stufe eins entspricht demnach nur den gesetzlichen Mindestanforderungen bezüglich des Platzes, das ein Tier zur Verfügung hat. Bei Stufe zwei bekommen die Tiere etwas mehr Platz, als gesetzlich vorgeschrieben ist, und zusätzliches Beschäftigungsmaterial. Bei Stufe drei haben die Tiere zudem "Zugang zu Außenklimabereichen" und Stufe vier entspricht den gesetzlichen Bestimmungen für Biofleisch. Bis 2019 soll ungefähr die Hälfte der Frischfleischprodukte der Eigenmarken mindestens auf die Stufe zwei umgestellt werden.

Ein staatliches Label wird voraussichtlich frühestens 2020 eingeführt

Aldi schließt mit dem Schritt die Reihen der Discounter in Deutschland. Bemerkenswert ist nicht nur, dass die Konkurrenten ein fast identisches Konzept verfolgen, sondern auch, dass sie mit ihrer Initiative über das hinausgehen, was der Gesetzgeber im Moment noch verlangt.

An einem staatlichen Tierwohl-Label arbeiten unter der Federführung des Bundeslandwirtschaftsministeriums verschiedene Akteure seit mindestens fünf Jahren. Eine Umsetzung ist mehrmals aufgeschoben worden. Zuletzt schätzte Ministerin Julia Klöckner (CDU), ein staatlich geprüftes Siegel könne frühestens 2020 eingeführt werden. Sie warnte sogar davor, aufgrund zu vieler Forderungen könnte es ein solches Siegel am Ende gar nicht geben.

Bisher scheiterte die Umsetzung im Wesentlichen an den widerstrebenden Ansätzen einzelner Interessensgruppen. Der Bauernverband besteht weiter darauf, dass das Siegel keine bindende Wirkung haben soll, sondern jeder freiwillig daran teilnehmen kann, wenn er will. Die Warnung, die Fleischindustrie könne ins Ausland abwandern, wird in dem Zusammenhang oft angeführt. Einzelne Tierschutzverbände wollen hingegen den höchsten Standard zur Norm erklären.

Die Haltungskompasse der Händler informieren den Verbraucher zunächst nur darüber, wie das Tier gehalten worden ist, bevor es geschlachtet wurde. Laut Umfragen ist die große Mehrheit der Konsumenten bereit, mehr Geld für Frischfleisch aus besserer Haltung auszugeben. Ob dies tatsächlich so ist, wird sich zeigen, wenn die ersten Resultate aus den Abverkäufen bei den Discountern vorliegen. Manche Praktiker, darunter Filialleiter von Lidl, bezweifeln, dass das Vier-Stufen-Modell am Einkaufsverhalten etwas ändern werde.

Mit ihrem gemeinsamen Vorgehen üben die Discounter einen erheblichen Druck auf große fleischverarbeitende Unternehmen wie Tönnies, Vion und Westfleisch aus. Die sind nun dazu aufgefordert, die Tierhaltung zu verbessern und die Verarbeitungsprozesse anzupassen. Tönnies ist der größte Fleischverarbeiter in Deutschland und macht einen Umsatz von mehr als sechs Milliarden Euro. Das ist mehr als doppelt so viel wie jeweils bei den Konkurrenten Vion und Westfleisch.

Tönnies teilte nun mit, die Initiative des Handels zu unterstützen. "Wir arbeiten stetig daran, die Prozesse unserer Produktion, genauso wie die Herkunft unserer Produkte transparent und nachvollziehbar für den Verbraucher zu machen", sagte ein Sprecher. Seit diesem Frühjahr integriere Tönnies die Tierwohlkennzeichnung in die Produktion und verbinde die privaten Initiativen mit der des Bundesministeriums. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Änderungen für die deutsche Landwirtschaft umsetzbar sind und die Produkte etwa der Stufe zwei auch vom Verbraucher nachgefragt werden.

Die Handelskonzerne werden voraussichtlich aber auch ihre eigenen Produktionsprozesse anpassen müssen. Sie betreiben selbst große Fleischwerke. Die zehn größten kommen zusammen auf mehr als vier Milliarden Euro Umsatz. Die meisten davon gehören zur Edeka-Gruppe, dem größten Lebensmittelkonzern in Deutschland.

Bei der Einführung des Kompasses von Lidl sagte Jan Bock, Geschäftsleiter Einkauf bei Lidl Deutschland: "Unser Ziel ist es, dass sich langfristig das Haltungs- und Tierwohlniveau in der gesamten Branche hebt." Die Chancen, mehr für das Wohl von Nutztieren zu tun, waren selten so groß wie im Moment. Ein zusätzliches staatliches Siegel halten sogar manche Politiker inzwischen für kontraproduktiv.

© SZ vom 26.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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