Ernährung:Erstmals wird mehr gezüchteter Fisch gegessen als wilder

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Fischfarmen sind anfällig für Schädlinge, hier in Südkorea. (Foto: Yonhap/dpa)
  • Im Jahr 2030 werden bereits zwei Drittel des Fisches, den wir essen, künstlich gezüchtet sein.
  • Probleme gibt es, wenn die Zuchtfische aus Farmen ausbrechen.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Manche Norweger behaupten ja, sie könnten den Unterschied schmecken. Wilder Lachs sei weniger fettig, habe eine kräftigere Farbe, schmecke einfach besser als gezüchteter Lachs. Das mag vielleicht so sein. Doch wilden Lachs bekommt man auch in norwegischen Supermärkten nur noch selten, sagt Bjørn Hersoug, Professor und Aquakultur-Experte an Norwegens Arktis-Uni in Tromsø. Dort, im Norden Norwegens, boomen die Fischfarmen. Wilder Lachs dagegen ist knapp und teuer. Am besten sollte man den Fischer persönlich kennen, um seine Portion abzubekommen, so Hersoug. 99 Prozent des Lachses, den Norweger verspeisen, seien gezüchtet.

Wenn sich selbst ein Fischervolk wie Norwegen an gezüchteten Fisch gewöhnen kann, kann es der Rest der Welt erst recht. Er muss es sogar, denn die überfischten Meere geben längst nicht mehr genug her für steigende Nachfrage. Erstmals aßen die Menschen weltweit deswegen vergangenes Jahr mehr Fisch aus Zuchtfarmen als aus Fischfang in offenen Gewässern, so die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Ihre Prognose: Im Jahr 2030 werden bereits zwei Drittel des Fisches, den wir essen, künstlich gezüchtet sein. Insgesamt steigt die weltweite Nachfrage bis dahin auf mehr als 150 Millionen Tonnen Speisefisch.

Das sind gute Nachrichten für die Norweger, denn Fisch ist ihr zweitwichtigstes Exportgut nach Erdöl und Gas. Makrelen, Kabeljau und Seelachs schwimmen wild in norwegischen Gewässern herum, doch der Lachs dreht seine Kreise meist in den runden Becken der Farmen. Die sind mit Netzen in den norwegischen Fjorden abgespannt, von oben sieht man nur große Ringe aus dem Wasser ragen. 95 Prozent der norwegischen Fischzucht bestehen aus Atlantischem Lachs, der Rest sind Forellen.

In den Becken der Farmen verbreiten sich Läuse sehr viel schneller

Als Russland beschloss, den skandinavischen Fisch als Reaktion auf die EU-Sanktionen zu boykottieren, hatten die Norweger kurz Angst. Doch schnell haben andere Abnehmer die Lücke gefüllt. Jetzt kaufen Polen, Franzosen, Briten den Norwegern ihren Fisch ab. Tatsächlich sind die Zahlen so gut wie nie: Norwegen hat 2015 allein in den ersten sechs Monaten Fisch für 3,7 Milliarden Euro ins Ausland verkauft, ein neuer Rekord. Den größten Teil davon brachte der Lachs aus den Farmen.

Norwegen möchte mit seinen Quoten als Vorbild für verantwortungsvollen Fischfang gelten. Könnte es auch zum Vorbild in der Fischzucht werden? Etwa 1000 Farmen gibt es im Land, die Nachfrage würde mehr rechtfertigen. Doch bevor die Regierung neue Lizenzen vergibt, müssen die Lachszüchter ein großes Problem in den Griff bekommen: Ihre Tiere haben zuweilen Läuse, Lachsläuse. Das sind winzige Krebstiere, die sich auf den Fischen festsetzen und sich in ihr Fleisch fressen. In den Becken der Farmen verbreiten sie sich viel schneller als in freier Wildbahn, schwächen den Lachs und können ihn gar töten. Lange Zeit gab es Medizin dagegen, die die Züchter ins Futter mischten, doch irgendwie wurden die Parasiten immun. Nun sucht man nach anderen Lösungen.

Das zweite Problem tritt auf, wenn die Fische aus den Farmen ausbrechen. Wenn eines der Netze reißt, sind Tausende Zuchtlachse unterwegs. Sie könnten sich mit wildem Lachs vermischen, ihn mit Krankheiten anstecken oder den Bestand verfälschen. Die Fischer haben immer noch eine starke Lobby in Norwegen und machen sich Sorgen um ihren wilden Lachs. "Das ist eine große Diskussion in Norwegen, wie weit wir der Zuchtindustrie erlauben sollten, zu expandieren", sagt Experte Hersoug, der gerade in Afrika auf Forschungsreise ist und sogar dort schon norwegischen Lachs gegessen hat. Aus der Zucht natürlich.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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