Energiesparen:Wohnen im Einweckglas

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Die Haggemüllers aus Neu-Ulm haben ihr Haus aus den sechziger Jahren zur Energiespar-Immobilie umgebaut. Über den hohen Ölpreis schmunzeln sie nur noch.

Marco Völklein

Der "Blower-Door-Test" im vergangenen Herbst - das war "der Tag der Wahrheit", wie Andrea Haggemüller sagt. Fast zwei Jahre Arbeit hatten sie und ihr Mann Peter in das Haus im Neu-Ulmer Stadtteil Ludwigsfeld gesteckt, außerdem etwa 54.000 Euro Investitionen.

Die Haggemüllers vor ihrem Haus in Neu-Ulm (Foto: Foto: mvö)

Und dann kamen die Spezialisten. Die Haggemüllers mussten alle Fenster schließen, die Türen sowieso. In der Eingangstür installierten die Techniker einen großen Ventilator, passgenau, die Fugen zum Türrahmen dicht verschlossen.

Dann begann der Ventilator Luft aus dem Haus zu pumpen, ein kleiner Unterdruck entstand. "Mit so einer Art Räucherstäbchen", so berichtet Andrea Haggemüller, gingen die Spezialisten durch das Haus. Sie prüften, ob irgendwo, vielleicht an einem Fenster, vielleicht an einer Mauerritze oder direkt unterm Dach, ein Lufthauch vermag, ins Haus zu gelangen. Aber sie fanden nichts. "Unser Haus war dicht", sagt Andrea Haggemüller. Es war geschafft. Endlich.

Der Ölpreis steigt und steigt. Und nicht nur Autofahrer ärgern sich über die immer höheren Preise an den Zapfsäulen. Auch viele Eigenheimbesitzer stöhnen über die ständig steigenden Kosten für Öl und Gas. Die Vater Peter Haggemüller (39) pendelt täglich 24 Kilometer zu Airbus ins schwäbische Laupheim, Mutter Andrea (37) arbeitet Teilzeit und versorgt die beiden Söhne Kai (9) und Jan (7); auch die Haggemüllers ärgerten sich über die Kosten für Heizung und Warmwasser. Sie aber ließen es nicht beim Ärger. Sie handelten.

Wärmepumpe genügt

Seit 2003 bewohnt die Familie die Doppelhaushälfte, Baujahr 1965. Zuvor hatte Peters Mutter in dem Haus gelebt. Von Anfang an war klar, dass man die Sechziger-Jahre-Immobilie mit den vielen kleinen, verwinkelten Zimmern, mit der alten Küche und dem Vorbau, der wie drangepappt wirkte, dass man dieses Haus würde von Grund auf renovieren müssen. Die Zwischenwände im Erdgeschoss sollten raus, um ein großes Wohnzimmer zu schaffen.

Ein zusätzliches Kinderzimmer im Dach musste her. Ein größeres und modernes Bad sollte es sein. Und vor allem: Die alte Ölheizung im Keller musste ersetzt werden. Denn die verfeuerte Jahr für Jahr etwa 2800 Liter Heizöl, um die 121 Quadratmeter Wohnfläche warm zu halten. "Uns war klar, dass das ein Riesenposten bei den Kosten ist", erzählt Peter Haggemüller. "Und dass die Kosten immer weiter steigen werden, wenn das mit dem Ölpreis immer so weitergeht."

2005 holten sich die Haggemüllers den Ulmer Architekten und Energieberater Jürgen Stölzle ins Haus. Der entwarf Skizzen zur Neugestaltung des Erdgeschosses. Er zeigte auf, wie sich der alte Vorbau durch einen neuen in Holzständerbauweise ersetzen und so die Fläche des Bads im Obergeschoss auf das etwa Dreifache erweitern ließe.

Und er machte Vorschläge, wie man den Energiebedarf des Hauses massiv senken könnte. "Heute", sagt Familienvater Haggemüller, "haben wir eine Heizungsanlage, die umgerechnet nur noch 280 Liter Öl im Jahr verbraucht." Und das bei einer Gesamtwohnfläche von 156 Quadratmetern. Haggemüllers beheizen somit fast 30 Prozent mehr Fläche mit nur noch einem Zehntel der Energie. Wie machen die das? "Mit Heizöl jedenfalls nicht mehr", sagt Peter Haggemüller und grinst ein bisschen.

Die Nachfrage nach Energiespar-Immobilien ist riesig. So fördert die bundeseigene KfW-Förderbank den Neubau von Niedrigenergiehäusern sowie die energetische Sanierung von Bestandshäusern mit zahlreichen Programmen. Allein in diesem Jahr hatte der Bund dafür 900 Millionen Euro bereit gestellt. Das Geld war bereits Ende Juli aufgebraucht. Bauminister Wolfgang Tiefensee stockte das Programm deshalb am vergangenen Freitag um weitere 500 Millionen Euro auf. Von 2005 bis 2007 wurden aus Bundesmitteln 290000 Wohnhäuser saniert oder neu gebaut, die jetzt energiesparend sind.

Peter Haggemüller führt den Besucher hinunter, in den Keller. Zum Kernstück seiner Haussanierung, zum Herzstück seiner Energiesparmaßnahmen. Dort steht ein grauer Kasten, etwas größer als ein Wäschetrockner. "Unsere Wärmepumpe", sagt der Hausherr stolz. Damit beheizt er das gesamte Haus und bereitet das Warmwasser.

Eine Wärmepumpe funktioniert wie ein Kühlschrank - nur umgekehrt. Haggemüllers nutzen dabei das Grundwasser, das unter ihrem Grundstück parallel zur Iller fließt, von Süden nach Norden, von den Allgäuer Alpen zur Donau. Hinten im Garten hat Haggemüller einen neun Meter tiefen Schacht buddeln lassen. Von dort pumpt der graue Wäschetrockner-Kasten das zehn Grad Celsius warme Grundwasser nach oben. Dem Wasser entzieht die Pumpe zwei Grad Celsius, gibt die Wärme an ein Kältemittel ab und verdichtet es in einem Kompressor.

Wie bei einer Fahrradpumpe

"Das ist ähnlich wie bei einer Fahrradluftpumpe", erklärt Wolfgang Rogatty vom Wärmepumpen-Hersteller Viessmann . Hält man dort den Finger auf die Düse und pumpt kräftig, entsteht auch Wärme. Bei Haggemüllers Wärmepumpe findet das nur in einem viel größeren Maßstab statt. "Man glaubt es kaum, aber das genügt, um das Haus zu heizen", sagt Haggemüller, selbst immer wieder erstaunt. Das leicht abgekühlte Grundwasser fließt über einen zweiten Brunnen im Vorgarten wieder nach unten ins Erdreich ab.

Das allerdings läuft natürlich nicht ganz ohne Energie. Um Pumpe und Kompressor am Laufen zu halten, benötigen Haggemüllers Strom, den sie von den Stadtwerken Ulm/Neu-Ulm beziehen - zu einem günstigen Sondertarif, der es den Stadtwerken aber auch erlaubt, den Strom für die Wärmepumpe mehrmals am Tag für einige Stunden abzudrehen, wenn andere Verbraucher in der Stadt mehr Strom benötigen. Doch auch für diesen Fall ist vorgesorgt: Ein großer Pufferspeicher im Keller sammelt soviel Wärme, dass die Familie auch mal einige Stunden ohne Strom für die Heizung überbrücken kann.

Wer mit Peter Haggemüller durch das Haus läuft, erwischt sich dabei, wie er immer wieder gegen die Wände klopft. "Holzständerbauweise, und dazwischen 30Zentimer dick Dämmwolle", sagt Haggemüller zum Beispiel im Bad und deutet auf die Wand.

Klar, dass es hohl klingt, wenn der Besucher dagegen klopft. Acht Zentimeter Styropordämmung an der Kellerdecke, 25 Zentimeter an den Außenwänden - ihr gesamtes Haus haben die Haggemüllers dicht verschlossen. Wie bei einem Einweckglas, das auch keine Luft an die Früchte heranlassen darf. "Unsere Garage war über und über voll mit Styroporplatten", erzählt Andrea Haggemüller. "Irgendwann konnte ich das Zeug nicht mehr sehen."

Außerdem hat Haggemüller sämtliche Rahmen der ohnehin dreifach-verglasten Fenster im Haus in die Dämmung der Außenwände mit eingebaut. "Viele sagen zwar, dass das auf sie so wirkt, als hätten wir Schießscharten in unserem Haus", sagt Haggemüller. Aber so entweicht auch über diese Schwachstelle, die viele alte Häuser haben, kaum Wärme mehr nach draußen. Und es dringt auch kaum Kälte ins Innere des Hauses. Der Blower-Door-Test hat es ja gezeigt.

Wärme soll im Haus bleiben

Die mühsam und teuer erzeugte Wärme soll im Haus bleiben - das ist das Ziel des ganzen Unterfangens. Nur: Wie kommt Frischluft in ein Haus, dessen Fenster man im Winter nur stoßweise öffnen sollte? Auch dafür gibt es eine technische Lösung. Im Keller, direkt neben der Wäschetrockner-Wärmepumpe hängt ein weiterer Kasten an der Wand, ein weißer, etwas kleinerer.

Die Lüftungsanlage versorgt das ganze Haus mit Frischluft und transportiert feuchte Luft nach draußen. "Ohne die Lüftungsanlage hätte ich das alles nicht gemacht", sagt Andrea Haggemüller. "Denn kein Mensch schafft es, ein komplett abgedichtetes Haus so zu lüften, dass kein Schimmel entsteht." Mit der Lüftungsanlage muss sie sich darum keine Sorgen machen.

Dicke Rohre führen vom weißen Kasten im Keller in die einzelnen Räume des Hauses. Aus Feuchträumen wie etwa in der Küche, im Bad und in den Toiletten saugen Abzugslöcher in der Wand die feuchte Luft ab, frische Luft von außen schaufelt das System über Zuluftlöcher in den Wohnräumen ins Haus hinein. Der Clou dabei: Mittels Wärmerückgewinnung wird die von außen angesaugte Luft an der verbrauchten Luft aus dem Inneren vorbeigeführt - so wird die Wärme an die Frischluft abgegeben. Nur ein Bruchteil dringt nach draußen.

Wärme gewinnen direkt aus der Erde, die Wärme dann durch Rund-um-Dämmung des Hauses im Inneren lassen und über eine Lüftungsanlage die Frischluft von Außen erwärmen - das sind die drei Hauptmaßnahmen der Haggemüllerschen Sanierungsarbeiten. Gekostet hat das ganze 54000 Euro.

Bezahlen wird die Familie davon aber nur rund 46000 Euro. Denn Energiesparer wie die Haggemüllers fördert der Staat mit einer Fülle von Maßnahmen. Neben den zahlreichen KfW-Programmen läuft bei der Deutsche Energie-Agentur (Dena) in Berlin noch bis Ende September das Sonderprojekt "Niedrigenergiehaus im Bestand".

Mit dem wollen die Energie-Fachleute zeigen, dass sich auch bei alten Häusern den Verbrauch massiv senken lässt - auf mehr als 50 Prozent unter das Niveau eines neu gebauten Einfamilienhauses. Von diesem Programm profitierten auch die Haggemüllers, sie sicherten sich einen 15-prozentigen Tilgungszuschuss der Dena in Höhe von 8100 Euro. Mittlerweile beläuft sich der Zuschuss auf bis zu 20 Prozent der Darlehenssumme.

Über den Daumen gepeilt, so rechnet es Hanno Lang-Berens, Energieberater der Verbraucherzentrale Bayern vor, amortisieren sich Energiespar-Investitionen nach 15 bis 20 Jahren - vorausgesetzt, die Energiekosten legen ähnlich stark zu wie in den vergangenen Jahren. Berücksichtigen müsse man aber noch die "Sowieso-Kosten" - also Ausgaben, die ohnehin anfallen würden, weil die Fenster erneuert oder die Fassade generalüberholt werden muss. "Rechnet man diese Kosten raus, macht sich das Geld für die Sanierung bereits nach zehn bis 15 Jahren bezahlt", sagt der Berater.

Für Peter und Andrea Haggemüller war der Entschluss zum großen Energie-Umbau ihres Hauses "eine rein ökonomische Entscheidung", wie sie sagen. "Wir freuen uns jeden Tag, wenn wir in der Zeitung wieder von steigenden Ölpreisen lesen", erzählt Andrea Haggemüller in ihrem bayerisch-schwäbischen Dialekt: "Es ist doch so: Die Energie, die man nicht verbraucht - des isch die beschte."

© SZ vom 09.08.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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