Energie:Umsteuern ohne Blackout

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Die EU-Kommission will den Energiemarkt grundlegend verändern.

Von Thomas Kirchner, Alexander Mühlauer, Brüssel

Wenn es ein Thema gibt, auf das sich zurzeit alle EU-Staaten einigen können, dann ist es dieses: mehr Sicherheit. Das gilt naturgemäß für die Außen- und Verteidigungspolitik; es gilt aber auch für Fragen, die Europas Infrastruktur im Kern betreffen. Fragen der Energie- und Versorgungssicherheit. Am Mittwoch hat die EU-Kommission ein dickes Paket von Gesetzesvorhaben und anderen Vorschlägen vorgestellt. Es soll helfen, die Klimaziele der EU bis 2030 zu erreichen und gleichzeitig Staaten, Unternehmen und Verbrauchern mehr Rechts- und Planungssicherheit geben. Man müsse das mehr als 1000 Seiten umfassende Konzept als Ganzes betrachten, appellierte Energiekommissar Maroš Šefčovič, und dürfe Einzelnes nicht herausgreifen. "Wir legen die größte Veränderung des Energiemarkts in Europa auf den Tisch, seit in Europa die zentrale Stromversorgung aus fossilen Energien eingeführt wurde."

Die Kritik am "Winterpaket" fiel erwartungsgemäß heftig aus: Einzelne Staaten sehen sich benachteiligt, während vor allem Umweltschützer die Pläne für nicht ehrgeizig genug halten. Die Grünen im EU-Parlament monieren, die Kommission sei gegenüber fossilen Brennstoffen zu zahm, während erneuerbare Energien zu hart reguliert würden. Die Bundesregierung sprach von einem "wichtigen Schritt", es sei aber "noch kein ganz großer Wurf". Die Kommissionspläne müssen nun noch mit dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten abgestimmt werden.

Das Klima schützen Die gesamte Umwelt- und Energiepolitik der EU dient einem vorrangigen Ziel: Bis 2030 will die EU 40 Prozent weniger Treibhausgase verursachen als 1990. Dabei bleibt es, und um es zu erreichen, schraubt die Kommission die Unterziele - etwa bei der Energieeffizienz - leicht nach oben und erklärt, wie sie im Einzelnen erreicht werden können.

Mehr Energie sparen Am besten lässt sich die Energieversorgung sichern, wenn weniger Energie verbraucht wird. Entsprechend stellt die Kommission das Thema Energieeffizienz an die erste Stelle ihres Pakets. Das Einsparen von Energie stellt im Vergleich auch die billigste Klimaschutz-Maßnahme dar - und deshalb will die EU nun bis zum Jahr 2030 den Energieverbrauch nicht bloß, wie bisher geplant, um 27 Prozent senken, sondern um 30 Prozent. Dadurch soll die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten sinken, zugleich erhofft sich die Kommission 400 000 zusätzliche Jobs. Für die Energieversorger und Verteiler bedeutet dies: Sie müssen jährlich 1,5 Prozent Energie einsparen. Damit Gebäude effizienter geheizt und gekühlt werden, will die EU die Sanierung bestehender Gebäude deutlich beschleunigen Die bisherige Quote von einem Prozent pro Jahr ist ihr zu niedrig. Spätestens im Jahr 2050 sollen in Gebäuden möglichst keine fossilen Brennstoffe mehr genutzt werden. Zudem sollen an öffentlichen Gebäuden Ladepunkte für Elektroautos geschaffen werden. Der effiziente Wasserkocher Die Botschaft der Kommission: Es geht weiter mit dem ökologischen Design von elektrischen Geräten. Die entsprechende Richtlinie schreibt Herstellern seit mehr als zehn Jahren vor, wie sie besonders energieintensive Produkte umweltgerecht gestalten müssen. Bekanntes Beispiel ist die herkömmliche Glühbirne: Sie wurde aus dem Verkehr gezogen. Im neuen Arbeitsplan der Kommission für die Zeit bis zum Jahr 2020 stehen sieben Produkte, die effizienter werden sollen: Wasserkocher, Handtrockner, Hochdruckreiniger, Solaranlagen, Aufzüge, Kühlcontainer und Produkte der Gebäudetechnik. Duschköpfe oder Toaster sollen, anders als ursprünglich vorgesehen, nicht einbezogen werden. Beschränke man den Wasserdurchlass der Duschköpfe, senke dies nach Meinung der Kommission den Komfort für Verbraucher. Das will man vermeiden. Mehr Strom aus Sonne, Wind, Biogas Erklärtes Ziel der EU ist es, weltweit führend zu sein, was den Anteil der erneuerbaren Energieträger wie Wind, Sonne oder Biomasse am gesamten Energiemix betrifft. Die EU-Kommission hofft dabei, dass sie ihr eigenes Ziel übertreffen wird. Dieses sieht vor, dass der Anteil der erneuerbaren Energieträger bis zum Jahr 2030 auf 27 Prozent steigen soll - tatsächlich aber, schätzt man in Brüssel, könnte der Anteil dann bereits 50 Prozent betragen, nicht zuletzt auch beim Strom. In ihrem "Winterpaket" erklärt die EU-Kommission, wie das gehen soll: Sie setzt darauf, dass sich Wind- und Sonnenenergie schon allein deshalb am Markt behaupten können, weil die Produktionskosten inzwischen niedrigerer sind. Umweltverbände befürchten dagegen, dass die erneuerbaren Energien ins Hintertreffen geraten könnten, weil die Politik zum Beispiel den sogenannten Einspeisevorrang teils gestrichen hat; dieser sorgte bisher dafür, dass im Normalfall erneuerbare Energien das Vorrecht beim Zugang ins Stromnetz haben. Der Einspeisevorrang soll künftig nur noch für neue Anlagen gelten (kleine Anlagen sind davon nicht betroffen). Sind die Netze überlastet, soll Strom aus erneuerbaren Energien als letztes außen vor bleiben.

Bio im Tank Der erhöhte Verbrauch von Biokraftstoffen auf Getreidebasis hat zu Kritik von Hilfsorganisationen geführt: Die Pflanzen fehlten dann als Nahrungsmittel in ärmeren Ländern. Deshalb soll der Anteil der sogenannten ersten Generation von Biokraftstoffen bis 2030 auf 3,8 Prozent begrenzt werden. Der Anteil der zweiten und dritten Generation von Biokraftstoffen hingegen, die aus Holz oder Abfall stammen, sowie der Beitrag aus der Elektromobilität sollen 6,8 Prozent erreichen.

Strom ohne Grenzen Die Netzbetreiber in verschiedenen Mitgliedsländern sollen durch sogenannte Regionale Operationszentren enger kooperieren. Dadurch sollen beispielsweise lokale Engpässe besser behoben und die Transparenz erhöht werden. Die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden soll dafür auch das Recht erhalten, bei Engpässen in nationale Kompetenzen einzugreifen.

Hilfen für Kraftwerke Bei der langfristigen Absicherung der Stromversorgung will die EU-Kommission strengere Regeln einführen, bevor sie staatliche Hilfen genehmigt. So sollen neue Kraftwerke, die für die Stromreserve genutzt werden, maximal 550 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde ausstoßen dürfen. Es kann also weiter sogenannte Kapazitätsmechanismen geben; sprich staatliche Beihilfen für die pure Existenz konventioneller Kraftwerke.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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