Energie:Strahlendes Milliardenspiel

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Im englischen Kernkraftwerk Hinkley Point B wird ein Mitarbeiter auf Verstrahlung getestet. Der Meiler geht 2023 vom Netz. Wenige Jahre später soll direkt daneben Hinkley Point C den Betrieb aufnehmen, ein Reaktor, den Franzosen und Chinesen betreiben. Er ist einer von mehreren geplanten Neubauten. (Foto: Suzanne Plunkett/Reuters)

Die britische Regierung will sechs Kernkraftwerke errichten lassen. Doch von wem? Wegen der hohen Kosten zögern Energieversorger. Nur ein umstrittener Staatskonzern ist sehr erpicht auf die Projekte.

Von Björn Finke, London

Mehr als 3200 Arbeiter werkeln auf der Baustelle. Schon 200 000 Kubikmeter Beton wurden gegossen, 5,3 Millionen Kubikmeter Erde bewegt. Aber es bleibt noch viel zu tun, damit das erste neue Kernkraftwerk in Großbritannien seit einer Generation ans Netz gehen kann. Die Anlage Hinkley Point C in der Grafschaft Somerset, im Südwesten Englands, soll Ende 2025 erstmals Strom liefern. Fast auf den Tag vor zwei Jahren unterzeichneten die britische Regierung und die Betreiber - der französische Energieversorger EDF und der chinesische Atomkonzern CGN - den Vertrag für das umgerechnet 22 Milliarden Euro teure Projekt.

Premierministerin Theresa May plant die etwas andere Energiewende

Und Hinkley Point C ist nicht der einzige Atommeiler, den die konservative Regierung errichten will: Bis zu fünf weitere sind vorgesehen. Premierministerin Theresa May plant die etwas andere Energiewende.

Im vergangenen Jahr lieferte Kernenergie ein Fünftel der britischen Stromproduktion. Doch in den kommenden zehn Jahren erreichen die meisten AKW das Ende ihrer Laufzeit. Außerdem verspricht die Regierung, bis 2025 alle Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, weil diese besonders viel klimaschädliches Kohlendioxid ausstoßen. Diese Dreckschleudern stehen für sieben Prozent der Stromversorgung.

Für die alten Atom- und Kohlemeiler ist Ersatz nötig, und wegen der langen Bauzeiten muss London schnell handeln. Die Regierung setzt auf mehr grünen Strom, vor allen von Windparks auf See, auf neue Gaskraftwerke und eben auf bis zu sechs Atommeiler. Dieses strahlende halbe Dutzend steht für einen Sonderweg, zumindest in Europa: Auf anderen Kontinenten, in Schwellenländern, werden weiter viele AKW hochgezogen, doch in Europa ist die Liebe zum Atom seit der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 deutlich abgekühlt .

Eine der Hürden für den Bau von Reaktoren sind deren hohe Kosten. Das bereitet auch der britischen Regierung Probleme. Bei Hinkley Point C musste London den Betreibern EDF und CGN enorm hohe Abnahmepreise für den Strom garantieren, damit die Firmen die nötigen Milliarden für das Projekt locker machen. Steigen die Baukosten weiter oder verzögert sich der Betriebsstart, tragen die Unternehmen die Belastungen. Das Risiko ist nicht klein: Das Duo errichtet einen sogenannten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). EDF versucht schon, in Flamanville in Nordfrankreich ein Kraftwerk mit diesem Reaktordesign fertigzustellen. Das Vorhaben ist viele Jahre verspätet, genau wie ein ähnlicher Neubau in Finnland.

Der zugesagte Abnahmepreis von gut 100 Euro pro Megawattstunde ist doppelt so hoch wie die Großhandelsnotierung für Strom - und er soll 35 Jahre lang mit der Inflationsrate steigen. Die EU-Kommission genehmigte die üppige Subvention, aber Österreich klagte dagegen, weil das Land Verzerrungen auf dem Strommarkt befürchtet. Das EU-Gericht wies die Klage ab, doch Anfang des Monats verkündete Wien den Gang in die nächste Instanz.

Die hohe Einspeisevergütung für Atomstrom stößt auch im Königreich auf Kritik, zumal viele Öko-Kraftwerke günstiger produzieren, etwa manche Windparks auf See. Deswegen versprach die Regierung im Sommer, die Finanzierung künftiger Meiler zu überdenken.

An der Nordseeküste soll ein chinesischer Reaktor in Betrieb gehen - eine Premiere

Ein neuer Reaktor in Wales, auf der hübschen Insel Anglesey, soll bereits anders finanziert werden als Hinkley Point C: Wirtschaftsminister Greg Clark sagte, die Regierung könnte sich an den Baukosten beteiligen. Die werden auf 17 Milliarden Euro geschätzt, Bauherr ist der japanische Konzern Hitachi. Im Gegenzug soll der Abnahmepreis geringer sein als bei Hinkley Point C. Damit vollzieht die Regierung eine Wende. Bislang lehnte sie es ab, sich an Kraftwerk-Neubauten direkt zu beteiligen - allein schon, um dem Steuerzahler bei Verspätungen und Kostensteigerungen zusätzliche Belastungen zu ersparen.

Die Regierung erwägt auch, Betreibern in Zukunft eine bestimmte Rendite für ihre Investitionen zu garantieren. Legen die Baukosten - und damit die Investitionen - enorm zu, erhalten die Konzerne zum Ausgleich mehr Geld für den produzierten Strom. Geht alles glatt, bleiben die Preise niedriger. Die Unsicherheit über die künftigen Finanzierungsmodelle gefährdet gerade ein Vorhaben in Nordengland: Dort sollte Toshiba einen Reaktor hochziehen. Die Japaner verkauften allerdings Anfang des Jahres ihre kriselnde amerikanische AKW-Tochter Westinghouse und möchten im Königreich keine Meiler mehr bauen.

Der Staatskonzern Kepco aus Südkorea ist daran interessiert, das Projekt in England von Toshiba zu übernehmen. Doch wegen der Ungewissheit über das schnöde Geld ziehen sich die Gespräche hin. Ein anderer asiatischer Staatsbetrieb ist dagegen sehr erpicht darauf, bei der britischen Kernkraft-Renaissance mitzumischen: die China General Nuclear Power Group (CGN). Das Unternehmen ist bei Hinkley Point C Juniorpartner von EDF. Bei einem Folgeprojekt, einem AKW in der Grafschaft Suffolk an der Nordseeküste, wollen Franzosen und Chinesen in der gleichen Konstellation zusammenarbeiten.

Bei einem weiteren Vorhaben, ebenfalls an der Nordseeküste, 75 Kilometer von London entfernt, soll CGN dagegen der größere Partner sein und sein eigenes Reaktordesign nutzen dürfen. Es wäre das erste Mal, dass ein chinesischer Reaktor in Westeuropa in Betrieb geht. Kritiker klagen aber, Großbritannien gebe China damit zu viel Macht über das heimische Stromnetz.

Für die Chinesen soll das Königreich ein Schaufenster für ihren Reaktor sein: "Werden wir in Großbritannien akzeptiert, würden wir auch in anderen Ländern stärker akzeptiert werden", sagt Zheng Dongshan, der Chef der britischen CGN-Tochter. Strahlende Aussichten.

© SZ vom 28.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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