Energie:Scheidung nach Siemens-Art

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Die Energiesparte wird abgespalten, der Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel wird jetzt Aufsichtsrat.

Von Thomas Fromm, München

Schon an der Besetzung des künftigen Aufsichtsrates der neuen Siemens Energy kann man sehen, dass das Geschäft in den nächsten Jahren vor allem eines sein wird: politisch. Denn wenn Siemens-Chef Joe Kaeser sein Energiegeschäft Ende September an die Börse schickt, soll neben der Geschäftsführerin des Automobilverbandes VDA, Hildegard Müller, auch der frühere SPD-Chef und Bundesminister Sigmar Gabriel in den Aufsichtsrat einziehen. Und dass nur kurz, nachdem er schon in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank berufen wurde. Wirklich überraschend ist dies kaum: Der frühere Wirtschaftsminister war bereits für den Aufsichtsrat des geplanten Zugherstellers Siemens Alstom gehandelt worden. Der Zugkonzern kam jedoch wegen Wettbewerbsbedenken der EU-Kommission nicht zustande. Nun also gibt es doch noch einen Platz für Gabriel bei Siemens.

Das Kalkül Kaesers: Mit den Kunden im Energiebereich verhält es sich ähnlich wie bei den Käufern von Zügen: Oft es sind dies öffentliche Stellen, und zu denen dürfte Gabriel aus seiner Zeit als Politiker noch beste Kontakte haben. Siemens selbst will nur noch drei von 20 Aufsichtsräten stellen - einer davon ist Kaeser, der zum Aufsichtsratsvorsitzenden vorgeschlagen werden soll. Nur drei von 20 - durchaus ein Zeichen dafür, dass sich der Mutterkonzern nach mehr als einem Jahrhundert schnell zurückziehen will.

Denn Joe Kaeser spaltet seinen Konzern auf: Die Energiesparte, die für ein gutes Drittel des Gesamtumsatzes von 87 Milliarden Euro im Jahr steht soll alleine weiter machen. Mitten in der Corona-Krise also kappt Siemens seine Wurzeln.

Siemens und sein Energiegeschäft, das geht zurück auf das Jahr 1866, als Werner von Siemens nach der Zukunft des Stroms suchte. Der Absolvent der preußischen Artillerie- und Ingenieurschule Berlin und Gründer der "Telegraphen-Bau-Anstalt Siemens & Halske", der in einem Berliner Hinterhof begann, baute die Dynamomaschine. Mit einem Leitungsdraht und großen Generatoren konnte Energie nun an verschiedene Orte verteilt werden - es, war, wenn man so will, einer der Anfänge der modernen Elektrotechnik. Es kamen im Laufe der Jahre die erste elektrische Straßenbahn, die großen Verteilernetze, die großen Kraftwerke. Siemens, das war neben der Medizintechnik, den Telefonen und all dem anderen, was man sonst noch so machte, vor allem eines: ein Energietechnik- und Kraftwerksbaukonzern.

Die Spaltung ist kein klassischer Börsengang, sondern ein so genannter "Spinoff": Am 25. September erhält jeder Siemens-Aktionär für je zwei seiner Papiere eine Aktie des neuen Unternehmens Siemens Energy ins Depot gebucht. Die Münchner trennen sich so von 55 Prozent der Energy-Aktien, 35,1 Prozent bleiben beim Mutterkonzern, 9,9 Prozent werden beim Siemens Pensionsfonds geparkt. Doch dabei soll es nicht bleiben: Im Laufe der folgenden 12 bis 18 Monate will Siemens seinen Anteil an dem renditeschwachen Energiegeschäft noch weiter herunterfahren, heißt es in dem 280-seitigen Spaltungsbericht. Eine Art "Scheidungsvertrag", über dessen Modalitäten die Siemens-Aktionäre bei einer Hauptversammlung im Juli zu entscheiden haben.

Siemens, das alte Industriekonglomerat, zerlegt sich selbst. Kaeser folgt hier einer klaren Strategie: Alleine, sagt er, haben spezialisierte Bereiche wie die Energiesparte bessere Chancen, sich am Markt zu behaupten. Höhere Renditen, mehr Flexibilität, bessere Aktienbewertungen: Auch deshalb hatte er schon vor über zwei Jahren sein Medizintechnikgeschäft unter dem Namen "Healthineers" an die Börse gegeben. So wird das, was einst unter Werner von Siemens in einem Hinterhof begann, demnächst mit drei Unternehmen börsennotiert sein: Das Energiegeschäft, die Medizintechnik Healthineers und, wenn man so will, das "alte" Siemens: Das Industriegeschäft, zu dem die Digitalisierung, Infrastrukturprojekte oder auch Züge gehören.

Bei der Frage allerdings, wo der neue Konzern, der von dem ehemaligen Linde-Manager Christian Bruch geführt wird, dann seine Zentrale einrichten wird, hält sich Siemens noch bedeckt. Der neue Energiekonzern, der vor allem im Bereich klassischer Kraftwerke mit fossilen Energieträgern aktiv ist, steht vor großen Umwälzungen - gerade im Bereich erneuerbarer Energien.

© SZ vom 27.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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