Digitalisierung:Revolution in der Revolution

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In Kenia half eine Zahlungssoftware namens M-PESA den Menschen, sich aus der Armut zu befreien. (Foto: Finbarr O'Reilly/Reuters)

Junge Finanz­technologie­unternehmen beschleunigen Geldgeschäfte.

Von Marcel Grzanna

Wer für seine Finanzangelegenheiten gerne die Filiale seiner Hausbank besucht, weil der Kaffee dort so gut schmeckt, dem stehen vermutlich harte Zeiten der Entwöhnung bevor. Das Bankgeschäft, wie wir es heute kennen, wird sich zunehmend in die digitale Welt verlagern und den persönlichen Kontakt mit dem Institut minimieren. Heute schon können Kunden mit ihrem Smartphone oder Laptop Kredite in Millionenhöhe beantragen, ihre kleinen oder großen Vermögen an den Finanzmärkten der Welt anlegen oder Versicherungen für Haus und Hof abschließen, ohne mit einem Makler oder Berater gesprochen zu haben, geschweige denn die eigenen vier Wände oder das Büro verlassen zu müssen. Und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Online-Abwicklung nicht die Ausnahme, sondern zur Regel wird.

"Die Digitalisierung in der Finanzbranche steht erst am Anfang. Wir kratzen gerade an der Spitze des Eisbergs", sagt Tim Thabe, einer der Gründer des Online-Kreditvermittlers Creditshelf, der seit vergangenem Juli an der Frankfurter Börse notiert ist. Thabe und seine Partner hatten langjährige Erfahrungen gesammelt im Bankensektor, ehe sie mit ihrem Start-up in direkte Konkurrenz traten zu den klassischen Geldhäusern. Creditshelf macht nun das, was früher ausschließlich den Banken und Sparkassen vorbehalten war. "Firmenkredite im Netz waren vor einigen Jahren noch nicht denkbar. Aber uns war immer klar, dass die Digitalisierung auch vor dem Bankensektor keinen Halt macht", sagt Thabe. Als Gegenspieler der Banken betrachtet sich das Unternehmen jedoch nicht. Im Gegenteil könnten beide Seiten gleichermaßen profitieren, wenn jeder seine Kompetenz in eine Partnerschaft einbringe.

Für Deutschland und Europa geht es darum, den Anschluss nicht zu verlieren

Das Phänomen dieser Entwicklung trägt einen Namen: Fintech, kurz für Finanztechnologie. Seit 2010 flossen laut Berechnungen des Technik-Dienstleisters Accenture 100 Milliarden US-Dollar als Investitionen in die Branche. 2017 allein betrug das globale Investitionsvolumen 27,5 Milliarden US-Dollar. Zwei Drittel flossen davon in Zahlungstechnologien oder Plattformen zur Kreditvergabe. Auch die deutsche Fintech-Szene ist durchaus aktiv, doch den Ton geben international die USA und China an. Die Dynamik, mit der besonders in der Volksrepublik Fintech-Produkte und -Dienstleistungen wie Kreditvermittlung zwischen Privatpersonen oder digitale Bezahlmodelle angenommen und verbreitet werden, ist maßgebend für den Rest der Welt.

Für Deutschland und Europa geht es darum, den Anschluss nicht zu verlieren, weil andernorts Fakten geschaffen werden, denen man sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr entziehen kann, wie es bereits im Falle der sozialen Medien geschehen ist. Es gleicht einem Kampf gegen Windmühlen, wenn global dominierende Akteure, die im Ausland sitzen, die Regeln beispielsweise im Datenschutz vorgeben und deutsche oder europäische Gesetzgeber immer ein Stück hinterherlaufen. Ein solches Szenario ist auch mit Angeboten von Fintechs und Start-ups nicht ausgeschlossen. Zumal die Weichen für die digitale Infrastruktur der Zukunft schon heute gestellt werden, weil Technologien aufeinander aufbauen.

Fintech revolutioniert nicht nur eine ganze Branche, indem es Geldgeschäfte beschleunigt und automatisiert. In ihr schlummert das Potenzial, ein Motor der Weltwirtschaft zu werden. Das zeigt ein Beispiel aus Kenia. Eine Studie kam Ende 2016 zu dem Ergebnis, dass sich in wenigen Jahren fast 200 000 Menschen aus der Armut befreit hatten, weil sie die Zahlungssoftware M-Pesa nutzten. Durch die neue Route für einen sicheren Geldtransfer gelang es den Menschen, die Wirtschaft auch in schlechten Zeiten in Gang zu halten oder mit Investitionen in eigene Geschäftsideen sogar anzukurbeln.

Insgesamt sind 1,7 Milliarden Menschen weltweit ohne Bankkonto. All jenen genügt jetzt ein Internetzugang, um sich in den internationalen Wirtschaftskreislauf einzuklinken. Creditshelf-Gründer Thabe ist überzeugt davon, dass die Technologie eine enorme Kraft entfachen kann, um die Ökonomie zu stärken. "Die Analysemöglichkeiten sorgen dafür, dass beispielsweise bei der Kreditvergabe die Guten von den weniger Guten besser getrennt werden können. Was früher im Papierkorb gelandet ist, bekommt heute eine Chance", sagt Thabe.

Der Computer ist dank Algorithmen in der Lage, schnell und zuverlässig nach bestimmten Mustern eine Auswahl zu treffen, die ein Mensch in der Kürze der Zeit niemals treffen könnte. Das ist ein enormer Zeitgewinn. Durch die Hilfe der Software kann der Mensch die Zahl der Einzelfälle, über die er schließlich entscheidet, deutlich erhöhen. Und weil die Kreditvergabe kein Nullsummenspiel ist, sorgen die neuen Alternativen für ein wachsendes Finanzvolumen, das in die Realwirtschaft fließt.

Aber wird der Computer bald auch schon die letzte Entscheidung treffen, wer einen Kredit erhält und wer nicht? "Davon sind wir weit entfernt. Die Technologie ist nicht so weit, und menschliche Experten haben auch viel Wichtiges zu Entscheidungsprozessen beizutragen. Außerdem ist es eine ethische Frage, ob wir Maschinen alleine entscheiden lassen wollen. Aber klar ist auch, dass der Einsatz von Menschen nur so lange möglich ist, wie dieser Einsatz effizient funktioniert."

Noch hat der Mensch gute Karten. Doch seine Qualitäten werden in Zukunft zunehmend herausgefordert. Künstliche Intelligenz wird bereits heute eingesetzt in der Finanzindustrie und steigert Effizienz und Sicherheit von Software. Quantencomputer sind dann der nächste Meilenstein. Sie werden die Rechenleistungen von herkömmlichen Computern pulverisieren. Prozesse, die heute noch wenige Tage dauern, wäre dann wohl binnen weniger Stunden abzuwickeln, vielleicht sogar in Echtzeit.

Das hält Arnaud Misset, Chief Digital Officer bei der französischen Caceis-Bank, für eine "Revolution in der Revolution". Misset ist verantwortlich dafür, eine Fintech-Kultur in der Bank zu etablieren, um mit der digitalen Entwicklung der Industrie Schritt halten zu können. "Wie in allen Industrien, in denen Technologie den Takt vorgibt, wird sich auch der Bankensektor anpassen müssen. Es geht nicht um die Frage, ob wir das tun, sondern ob es uns mit der nötigen Geschwindigkeit gelingt. Arbeitsplatzprofile müssen überprüft werden und die Menschen sich wieder auf die Bearbeitung komplexer Fälle konzentrieren", sagt Misset.

Um Caceis fit zu machen für die Zukunft, richtet die Bank Workshops aus, in denen die Mitarbeiter dafür sensibilisiert werden sollen, die Auswirkungen neuer Technologien so früh wie möglich vorhersagen zu können. Die Gefahr, in großen Rückstand zu geraten, soll weitgehend ausgeschlossen werden, indem neue Trends und Geschäftsfelder rechtzeitig erkannt werden.

Doch macht künstliche Intelligenz das Finanzsystem auch sicherer? Werden die Wahrscheinlichkeiten sinken, dass Spekulationsblasen oder Börsencrashs die Stabilität unserer Wirtschaft gefährden?

Künstliche Intelligenz ist nicht vor falschen Einschätzungen gefeit

Misset ist skeptisch. "Künstliche Intelligenz ist nichts anderes als ein Algorithmus, der aus unzähligen Fallstudien lernt und Schlüsse zieht. Also hängen seine Berechnungen ganz klar davon ab, mit welchen Fallstudien er gefüttert wird." Problematisch daran ist, dass Krisen an den Finanzmärkten nie aus den gleichen Vorbedingungen entstehen und deshalb immer neue Profile aufzeigen, die der künstlichen Intelligenz nicht bekannt sein können und die sie deshalb auch nicht vorhersagen kann.

Auch ist künstliche Intelligenz nicht vor falschen Einschätzungen gefeit. Das müsse man sich stets vor Augen halten, mahnt der Banker vor einer Zukunft, in der beispielsweise die sogenannten Robo Advisors alleinige Entscheidungen treffen für ihre Kunden, wie sie ihr Geld investieren. "Menschen müssen die Kontrolle über ihr Investment behalten. Künstliche Intelligenz ist dazu da, Vorschläge zu unterbreiten, aber die finale Entscheidung muss beim Investor selbst liegen", sagt Misset. Umso wichtiger sei es, die Nutzer überall in der Welt darüber in Kenntnis zu setzen, welche Risiken und Chancen junge Finanztechnologieunternehmen bieten. Sie ermöglichten in der Tat Quantensprünge für sozial Schwächere. Aber sie müssten auf Basis einer entsprechenden Sachkenntnis möglich gemacht werden, nicht ausschließlich auf Basis von Technologie.

© SZ vom 28.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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