Lebt er überhaupt noch? Liegt er im Koma? Ist er wieder aufgewacht? Wird er zwangsernährt? Am 22. August ist Maikel Nabil Sanad im El-Marg-Gefängnis von Kairo in Hungerstreik getreten. Eine Woche später hörte er auf zu trinken und setzte die Medikamente ab, die er aufgrund einer Herzerkrankung eigentlich nehmen muss. Sein Bruder Mark sagte der Daily News Egypt am Freitag, Maikel sei ins Koma gefallen und liege jetzt im Gefängniskrankenhaus.
Maikel Nabil Sanad ist ein 25-jähriger, arbeitsloser Tierarzt aus Asjut, einer Stadt im vernachlässigten Süden Ägyptens. So weit, so durchschnittlich. Sonst aber ist er so ziemlich alles, was man nicht sein darf in Ägypten: Er stammt aus einer Familie koptischer Christen, macht aber keinen Hehl daraus, Atheist zu sein. Im Herbst 2010, als noch niemand ahnen konnte, dass Mubaraks Tage gezählt sind, wurde er vorübergehend festgenommen, weil er als erster Ägypter die Frechheit besaß, den Militärdienst zu verweigern.
Und er macht sich immer wieder stark für die Existenz Israels: Ägypten und die anderen arabischen Länder sollten Israel nicht bekämpfen, sondern im Gegenteil von dem winzigen Nachbarland lernen, was es heißt, eine Demokratie zu sein. All das kann man nachlesen auf seinem Blog, den Nabil Sanad auf arabisch, englisch und hebräisch betrieben hat. Bis zum 28. März.
An dem Tag holten ihn Schergen der Militärregierung zu Hause ab. Kurz darauf wurde ihm der Prozess gemacht, ein Prozess, der exemplarisch Clemenceaus Satz belegt, man müsse einem Wort nur "Militär-" voranstellen, um es jeglichen Sinns zu entkleiden, schließlich habe "die Militärjustiz ungefähr so viel mit Justiz zu tun wie die Militärmusik mit Musik". Maikel Nabils Anwalt wurde am Tag der Verhandlung vom Richter gesagt, das Ganze sei fürs Erste vertagt. Sobald der Verteidiger das Gerichtsgebäude verlassen hatte, wurde Nabil dann wegen "Beleidigung des Militärs", "der Verbreitung falscher Informationen" und "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Mit Folter und Missbrauch bedroht
Als Beweismaterial diente in erster Linie sein Blogeintrag vom 8. März - einen Monat nach dem Fall Mubaraks -, ein zwar wütender, aber hervorragend recherchierter Text, in dem er den Mythos vom Militär, das Seit' an Seit' mit dem ägyptischen Volk in Richtung Freiheit schreite, regelrecht zerfetzte: Nichts daran sei wahr, schreibt er, "die Revolution hat es bisher nur geschafft, den Diktator loszuwerden, aber nicht die Diktatur."
Detailliert belegt er, wie das Militär im Verlauf der Revolution zwar mehrfach die Taktik und Rhetorik geändert, aber hinter den Kulissen stets mit eiserner Hand durchgegriffen habe: In Kollaboration mit Staatssicherheit und kriminellen Banden seien Tausende Demonstranten verschleppt, gefoltert und vergewaltigt worden. Elektroschocks, Eisenstangen, Psychoterror.
Auch Maikel Nabil Sanad war selbst im Februar schon vorübergehend festgenommen, zusammengeschlagen und mit Folter und Missbrauch bedroht worden. Er beendete seinen Blog-Eintrag mit dem Satz: "Ich schreibe all das nicht, um mich zu rächen, sondern um die Leute wissen zu lassen, was ihnen blüht, sollte die Revolution scheitern."
Sanads Schicksal bestätigt das Ergebnis einer Untersuchung des Berkman Center for Internet and Society an der Harvard-Universität, das kürzlich 98 Blogger im arabischen Raum befragt hat. "Es ist sehr viel gefährlicher geworden, digital zu kommunizieren", heißt es in der Studie. "Die Regierungen haben auf den digitalen Aktivismus, der wesentlich zum arabischen Frühling beigetragen hat, mit großer Härte reagiert." In Syrien gibt es eine eigene "elektronische Armee", die Webseiten abschaltet oder deren Betreiber online kompromittiert. Saudi-Arabien hat seine Zensurgesetze im Januar auf das Internet ausgeweitet.
Maikel Nabil Sanad bloggt bereits seit 2005
Die tunesische Übergangsregierung soll versucht haben, die Mailkonten von Menschenrechtsaktivisten zu hacken. Nahezu die Hälfte der Blogger versieht laut der Studie ihre Einträge gefährlicherweise mit Klarnamen und/oder eigenem Foto. Fast ein Zehntel der Befragten wurde aufgrund ihrer Onlineaktivitäten verhaftet oder vorübergehend festgenommen. Die Hälfte sah sich einmal oder mehrfach massiven Drohungen ausgesetzt.
Maikel Nabil Sanad bloggt bereits seit 2005. Das heißt, er konnte mehrere Jahre lang unter Mubarak kritische Dinge im Netz äußern. Die Militärregierung, die ja angeblich den Weg freimachen möchte für demokratische Wahlen, hat ihn wenige Wochen nach ihrer Machtübernahme zu drei Jahren Haft verurteilt, die durch zahlreiche Schikanen verschärft wurde.
Sein Fall soll anderen Bloggern zur Warnung dienen. Im Juni hat er gegen das Urteil Berufung eingelegt, ohne Ergebnis. Daraufhin war er in Hungerstreik getreten. Am Samstag forderte die in Paris ansässige Vereinigung "Reporters Without Borders" Sanads sofortige Freilassung. Er schwebe mittlerweile in Lebensgefahr, und wenn er sterbe, trage "das Militär dafür die volle Verantwortung". Unterdessen streuen die digitalen Schergen des ägyptischen Militärrats unermüdlich im Netz das Gerücht, Sanad sei ein zionistischer Agent.