Digitale Fertigung:Wenn der Robo baut

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Der Einsatz von modernen Maschinen ermöglicht Gebäude mit ganz neuen Materialien und Formen. Die effizienten Verfahren schonen die Ressourcen der Erde - und wären außerdem ein wirksamer Beitrag zum Klimaschutz.

Von Gabriela Beck

Die Stränge aus Glas- und Kohlestofffaser rollen schnell über die Spulen. Dann gleiten sie durch ein Harzbad und schließlich zum Wickelkopf eines Roboterarms. Der schlingt unermüdlich die Faserstränge um Fixierungsbolzen zu einem komplizierten Geflecht. Schließlich fährt das Ganze in eine Ofenkammer, wo die Harzmatrix zu einem neuartigen Bauteil aushärtet, das etwa so aussieht wie ein von Muskelfasern umschlossener Knochen. Sechzig dieser Teile - jedes ein wenig anders geformt - werden am Ende zu einem kuppelförmigen Gerüst von 23 Metern Spannweite zusammengesetzt. Ganz zum Schluss wird das alles von einer transparenten Membran umschlossen. Das Gebilde sieht aus wie eine Mischung aus Vogelskelett und Spinnenkokon. Der Faserpavillon sorgte auf der Bundesgartenschau im vergangenen Jahr in Heilbronn für viel Aufsehen. Noch vor wenigen Jahren wäre es nicht möglich gewesen, ein Bauwerk dieser Art zu planen oder zu bauen. Doch seit mehrachsige Industrieroboter und digitale Fertigungsmethoden Einzug ins Bauwesen gehalten haben, sind ganz neue Verfahren entstanden.

Ziel der digitalen Fertigung ist es, das Planen und Bauen effizienter zu machen, und damit auch nachhaltiger. "Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, müssen wir mit viel weniger Material bauen, um Ressourcen zu schonen", sagt Professor Achim Menges, Direktor des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung der Universität Stuttgart. Zusammen mit den Kollegen des Instituts für Tragkonstruktion und konstruktives Entwerfen hat er den Buga-Faserpavillon entwickelt. Und der ist das beste Beispiel für sparsamen Materialeinsatz:

Die Firma AI SpaceFactory entwickelte eine Unterkunft für den Mars. Sie wurde bereits per 3D-Drucker gebaut, allerdings auf der Erde. (Foto: AI SpaceFactory)

Bei dem robotischen Wickelverfahren entstehen keine Produktionsabfälle. Dazu ist das Bauwerk mit seiner neuartigen Faserverbundstruktur etwa fünfmal leichter als eine Stahlkonstruktion mit vergleichbarer Spannweite. Und es ist mit Material gebaut, das so niemals von Hand hätte verarbeitet werden können. "Uns interessiert, wie Bauweisen und Bausysteme aussehen, die den digitalen Möglichkeiten gerecht werden", erläutert Menges.

Im Unterschied zur industriellen Vorfertigung, bei der Bauteile in identischer Serie vom Band laufen, werden bei der digitalen Fertigung ursprüngliche Herstellungsverfahren mithilfe von Computern in neue, dynamische Prozesse umgewandelt. In den verschiedenen Produktionsphasen können unterschiedliche Verfahren und Materialien zum Einsatz kommen und an die Anforderungen aus Architektur, Statik oder robotischer Fertigung angepasst werden. Planung und Produktion, Computer-Design und konstruktive Realisation verbinden sich.

Zu den digitalen Fertigungstechniken gehören zum Beispiel auch der 3-D-Druck und der Einsatz von Drohnen oder Schwarmrobotern auf der Baustelle. Der Einsatz der selbstfahrenden Maschinen bringt allerdings so einige Herausforderungen: die mobilen Roboter müssen sich in einer unstrukturierten, sich ständig ändernden Umgebung zurechtfinden, unvorhergesehenen Hindernissen und den Kollegen ausweichen, sich durch Materialungenauigkeiten nicht aus der Fassung bringen lassen und dabei das fortschreitende Bauwerk im Auge behalten - und das alles in Echtzeit.

Ein Gebilde wie von einem anderen Stern: Der Faserpavillon sorgte auf der Bundesgartenschau im vergangenen Jahr in Heilbronn für Aufsehen. (Foto: ICD ITKE Universität Stuttgart)

Mit einem ungewöhnlichen Fertigungsansatz experimentieren die Wissenschaftler bei Gramazio Kohler Research an der ETH Zürich. Beim sogenannten "Jamming" wird loses Material, zum Beispiel Schotter, von einem Roboter zu stabilen Bauteilen aufeinandergehäuft. Das funktioniert, wenn sich die Teile aufgrund ihrer Form ineinanderverzahnen, oder wegen ihrer rauen Oberfläche aneinanderhaften bleiben. Durch ihr Eigengewicht oder, noch besser, bei Druckbelastung werden die Elemente richtiggehend eingeklemmt und stabilisieren sich dann selbst.

Zur Demonstration ließen die Forscher 2018 anlässlich der Ausstellung "Hello, Robot" auf dem Kirchplatz in Winterthur einen mobilen Industrieroboter einen begehbaren Pavillon aus losem Schotter und Paketschnur bauen. Wie bei einer Cremeschnitte schichtete das Gerät Lagen von Schotter und legte dazwischen die Schnur in Schnörkeln aus, um die Reibung und damit den Zusammenhalt zu vergrößern. So wuchsen acht Säulen in die Höhe, die mit einer Deckenplatte belastet und dadurch zusätzlich stabilisiert wurden. Beim Rückbau standen die Bestandteile schließlich wieder wie am Anfang da: die Deckenplatte, vier Rollen sauber aufgespulte Schnur und ein großer Haufen Schotter. Der wurde schließlich per Industriestaubsauger direkt in den Bauch eines Lasters gesaugt und abtransportiert. "Das hat in seiner Radikalität eine gewisse Poesie", sagt Architektur-Professor Fabio Gramazio.

Der Rock Print Pavilion: Das Haus im Zentrum von Winterthur wurde aus losem Schotter und Schnur gebaut - von einem mobilen Roboter. (Foto: Gramazio Kohler Architects ETH Zürich)

Viele digitale Fertigungstechniken im Bauwesen stecken noch in der Phase der Prototypen. Inwieweit sie für die Konstruktion von Gebrauchsarchitektur wie Wohnungs- oder Bürobauten angewendet werden können, bleibt abzuwarten.

Einen wesentlichen Vorteil sieht Gramazio in der 100-prozentigen Recycelbarkeit bei der Jamming-Methode. "Im Moment gehen wir unverantwortlich mit den Materialressourcen der Erde um", sagt er. "Das muss sich ändern, vor allem, was den Betonverbrauch betrifft." Bei der Herstellung von Zement, dem Hauptbestandteil von Beton, wird heute mehr klimaschädliches CO₂ ausgestoßen als durch den gesamten weltweiten Flugverkehr. Darauf verzichten könne man aber nicht. "Staudämme, Autobahnen, Hochhausfundamente - das kann man nicht alles aus Holz oder alternativen Materialien bauen", so Gramazio.

Gerade den Betonbau macht er als ein reales Einsatzgebiet digitaler Fertigungstechniken aus - im 3-D-Druck. So erfordere der übliche Bauprozess für Transportbeton einen hohen Aufwand für die notwendigen Schalungsarbeiten auf der Baustelle, sowohl zeitlich, finanziell als auch, was den Materialaufwand der Rohstoffe Holz oder Kunststoff betrifft. Beim 3-D-Druck entfällt die Schalung.

An der Technischen Universität Eindhoven hat Akke Suiker, Professor für Angewandte Mechanik, ein Berechnungsmodell für den 3-D-Druck von Betonwänden entwickelt. Ingenieure können so die optimalen Abmessungen und Druckgeschwindigkeiten festlegen, bei der die Wände noch stabil bleiben. Da Beton ein hydraulisches Material ist, bei dessen Aushärtung komplexe chemische Reaktionen ablaufen, ist das nicht einfach. Denn gedruckter Beton muss ohne Unterstützung einer Schalung sofort das Gewicht der darüber applizierten Betonschichten tragen. Ob der Beton schon hart und stark genug ist, um eine zusätzliche Schicht aufzubringen, ist eine der Fragen beim 3-D-Druck von Gebäuden. Gerade hat Europas erste kommerzielle Beton-3-D-Druck-Fabrik in Eindhoven ihren Betrieb aufgenommen.

Auch die Nasa sieht im 3-D-Druck eine vielversprechende Technologie. Sie hatte deshalb die "3-D-Printed Habitat Challenge" ausgelobt, einen mehrstufigen Architektur-Wettbewerb, der bis Mai 2019 andauerte. Gesucht wurden Vorschläge für ein Mars-Habitat aus dem 3-D-Drucker, das lediglich mit Materialien gebaut werden können sollte, die auf dem Roten Planeten vorhanden sind. Und zwar an Ort und Stelle von Robotern. Die ersten Mitglieder von Mars-Expeditionen sollen direkt nach der Landung einziehen können. Die eingereichten Projekte umfassen wabenförmige Strukturen oder erinnern an Iglus und Muscheln. Formen, die den oft wochenlang anhaltenden Staubstürmen auf dem Mars standhalten.

Das Siegerprojekt der Firma AI SpaceFactory sieht aus wie ein schlanker Bienenstock und wurde bereits per 3-D-Drucker gebaut - auf der Erde, als Projekt "Tera". Das Baumaterial: aus der Umgebung gewonnene Werkstoffe. Also Marsgestein für Marsha, während bei Tera ein Biopolymer-Basaltfaser-Verbundwerkstoff zum Einsatz kam, der laut Nasa 50 Prozent stärker und haltbarer ist als Beton. Es wäre ein Optimum an Nachhaltigkeit: mit örtlich vorhandenem Material bauen, das mehrmals wiederverwendet und am Ende vollständig recycelt werden kann.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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