Dieselaffäre:Der James war es nicht allein

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James L. wird zum Gesicht des Abgasbetrugs in den USA. Doch die Affäre ist vor allem eine Warnung an Manager, die nach unten durchregieren.

Von Thomas Fromm

Bemerkenswert war, was der US-Richter dem geständigen Ex-VW-Ingenieur James L. am Ende mit auf den Weg gab: Er, der gerade eben in der Dieselaffäre verurteilt wurde, sei "zu loyal" zu seinem Konzern gewesen.

Was der Richter meinte, war: Natürlich hätte der Ingenieur ja noch eine andere Option gehabt. Nämlich die, nicht loyal zu sein. Er hätte seinen Chefs in Wolfsburg sagen können, dass er keine betrügerische Software in Dieselmotoren einbauen möchte, weil das gegen das Gesetz verstößt. James L. hätte sich verweigern können - und müssen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dann jemand anderes das VW-Projekt defeat device vorangetrieben hätte. Und James L. wäre vielleicht so etwas wie ein Held geworden. Wenn auch ein unbekannter Held vermutlich, und einer, der sich erst mal einen neuen Job hätte suchen müssen.

So aber ist er, als erster Verurteilter in einem weltweiten Skandal, zum Gesicht des Abgasbetrugs in den USA geworden.

Eine harte Gefängnisstrafe wie die gegen ihn soll der Abschreckung dienen. Verhindern aber, dass es künftig schwere Verfehlungen in Konzernen gibt, wird dieses Urteil kaum. Dafür müsste das System verändert werden, in dem sich Ingenieure wie James L. einrichten. Ein System, das immer noch sehr oft nach dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam funktioniert.

In der Managementtheorie nennt man das den Top-down-Führungsstil: von oben nach unten, Widerspruch zwecklos. Selbst dann, wenn er wie bei VW sehr angebracht wäre.

Menschen wie James L. gab und gibt es viele, bei VW und in anderen großen Unternehmen

James L. hatte nicht am Dieselmotor geschraubt, weil ihm gerade danach war. Er tat es wohl, weil andere im Konzern es von ihm verlangten, direkt oder indirekt. Über ihm standen Vorgesetzte, die selbst Vorgesetzte hatten, die wiederum an Männer wie die Ex-VW-Granden Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch berichten mussten. Menschen wie James L. gab und gibt es viele, bei VW und in anderen großen Unternehmen. Sie erhalten Anweisungen und Zielvorgaben und von ihnen hängt es am Ende ab, ob es die Vorstände, die Millionengehälter verdienen, schaffen, jene Strategien umzusetzen, die sie ihren Investoren versprochen haben. Leute wie James L. sind also die Soldaten im großen Kampf der Konzerne. Männer wie Winterkorn sind, wenn man so will, die Generäle. Sie kennen nicht immer jedes Detail der Schlacht und wollen es vielleicht auch gar nicht wissen. Aber sie kennen die Marschrichtung. Allein schon, weil sie sie selbst vorgegeben haben.

Der Fall VW ist daher ein anschauliches Beispiel für einen Von-oben-nach-unten-Konzern. Jahrelang wurden große Ziele ausgegeben: immer mehr, immer größer, immer schneller. Unter dem früheren VW-Patriarchen Piëch und dem langjährigen VW-Boss Winterkorn war VW im Laufe der Jahre über sich hinausgewachsen. Eine fatale Mischung aus Eitelkeit, Ehrgeiz und Drang nach Größe hielt den Konzern auf Trab: Zehn Millionen Autos im Jahr verkaufen! Weltmarktführer werden! Besser als Toyota und General Motors sein! Mehr Autos auf dem lukrativen US-Markt verkaufen! Mehr Rendite!

Am Ende ist das Ziel alles. Der Weg dahin rückt in den Hintergrund. Zumal das Power-Duo Piëch/Winterkorn zunächst ja Erfolg hatte. VW lieferte, und am Kapitalmarkt war man sehr zufrieden.

Doch das System hatte seine dunklen Seiten, wie Mitarbeiter immer wieder berichteten: Sehr strenge und sehr starre Hierarchien, Menschen, die verängstigt in Präsentationen hineingingen und noch ängstlicher wieder aus ihnen herauskamen, ein ruppiger Umgangston. Wer kritisierte, stellte in Frage, und wer in Frage stellte, machte sich zum Feind. Also war es besser, nicht zu kritisieren.

Ein Weltimperium, regiert von wenigen Männern mit sehr viel Macht - so etwas ist noch nie lange Zeit gut gegangen.

Winterkorn ist noch heute der Meinung, dass ihn keine Schuld treffe, weil er den Diesel-Betrug nicht angeordnet habe. So ähnlich haben schon viele andere vor ihm argumentiert: Während der Finanzkrise, bei der Milliarden verzockt wurden, im Zuge der Korruptionsaffäre bei Siemens: Immer sollen es einige wenige Mitarbeiter gewesen sein, die dem Konzern geschadet haben. Nach dem Motto: "Ich war's nicht, der James war das!"

James L. muss 40 Monate ins Gefängnis, er gestand den Betrug. Gegen weitere Angeklagte laufen Prozesse. Das System aber blieb weitgehend unbehelligt. Zur Aufklärung der Dieselaffäre gehört die Frage, wie es passieren konnte. Antworten auf diese Frage sollten eine Warnung sein: An jene Manager, die immer noch glauben, dass man in Konzernen am besten von oben nach unten durchregiert.

© SZ vom 29.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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