Die Wirtschaft wächst:Es läuft in Europa

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Der Eindruck vom schwachen Kontinent täuscht: Der Euro-Raum gewinnt an ökonomischer Kraft, nicht zuletzt wegen des ersten Wahlergebnisses in Frankreich. So ließe sich wohl auch die Finanzkrise überwinden.

Von Catherine Hoffmann, München

Bis vor Kurzem sah es so aus, als werde der nationalistische Furor, den Donald Trump in den USA entfesselt hat, auf Europa überspringen. Es schien möglich, dass nach dem Brexit auch der Frexit kommt: Würde die Rechtspopulistin Marine Le Pen französische Präsidentin und würde sie Frankreich aus dem Euro und der EU führen, wäre das Ende der gemeinsamen Währung und der Europäischen Union besiegelt. Noch ist die Gefahr nicht gebannt, aber wahrscheinlicher ist doch, dass der wirtschaftsliberale Emmanuel Macron die Stichwahl gewinnt.

"Die populistischen Versuchungen haben nachgelassen", sagt Jörg Haas, Wissenschaftler beim Jacques Delors Institut. "Mit Macron in der Pole Position sind die Risiken für die Währungsunion deutlich gesunken." Viele Ökonomen sind deshalb optimistisch für Frankreich und den Euro-Raum, einige haben zuletzt ihre Konjunkturprognosen erhöht. Die europäische Wirtschaftsleistung werde in diesem Jahr um 1,8 Prozent wachsen, schätzt die Europäische Zentralbank (EZB). Ihr Chef, Mario Draghi, preist den Aufschwung als "breit und solide".

Europa, eben noch abgeschrieben, ist plötzlich wieder da. Mit dem politischen Erwachen geht eine wirtschaftliche Renaissance einher: Europa und seine Wirtschaft sind in einem besseren Zustand, als es viele Menschen wahrhaben wollen.

Die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Konsumausgaben steigen

Nach langer Krise wächst das Bruttoinlandsprodukt in allen Mitgliedsländern des Euro-Raums wieder, nur in Griechenland rührt sich nichts. Die Stimmung der Verbraucher und Unternehmer hellt sich auf, auch an den Finanzmärkten ist man zuversichtlich, wie die steigenden Aktienkurse zeigen. Die Arbeitslosenquote geht langsam zurück: In den vergangenen vier Jahren wurden 4,5 Millionen neue Stellen geschaffen. Die Jobs entstehen nicht nur im boomenden Deutschland, sondern auch in Frankreich, Irland, in Spanien und sogar in Griechenland, beim ewigen Sorgenkind.

In der Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt werden Sparkonzepte entworfen - zulasten der Leiharbeiter, befürchten viele. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Besonders erfreulich ist, dass sich Europas Wirtschaft aus eigener Kraft erholt: Die privaten Konsumausgaben legten im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent zu. Ähnlich schnell stiegen die Konsumausgaben der Staaten. Das Wichtigste aber ist, dass auch die Unternehmen dabei helfen, dass die zaghafte Erholung, die seit drei Jahren messbar ist, mit Schwung weitergeht. Wenn man den Bau mitrechnet, wachsen die Investitionen mit real mehr als drei Prozent. Die bessere Lage ist also in erster Linie einer stärkeren Binnennachfrage zu verdanken, und das ist gut so, macht es die Konjunktur doch weniger anfällig für Schocks von außen.

"Die Folgen der Krise sind längst nicht überall überwunden, aber die Chancen sind groß, dass wir die Finanz- und Wirtschaftskrise bald hinter uns lassen", sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Die Unternehmen schaffen zwar neue Stellen, aber die Arbeitslosenquote müsste noch weiter sinken, damit der Normalzustand zurückkehrt. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist viel zu hoch. Und auch die Qualität der Arbeitsplätze muss in vielen Ländern noch besser werden, wo derzeit vor allem Teilzeitjobs und Arbeit auf Zeit angeboten werden.

Aber die Rede vom kranken Europa, das es mit den USA nicht aufnehmen kann - sie stimmt nicht mehr. Die Wirtschaft der Euro-Länder ist im vergangenen Jahr sogar schneller gewachsen als die der Vereinigten Staaten. Wie gut es Europa mittlerweile geht, fällt auch deshalb auf, weil in den USA Ernüchterung über Trump herrscht und die Zweifel wachsen, dass er für ein Wirtschaftswunder sorgen kann. "Wir erleben gerade, dass Trump von den Umständen gezähmt wird und nicht umgekehrt", sagt Schmieding. "Er hat nahezu nichts erreicht, was der Weltwirtschaft schaden könnte." Und der Weltwirtschaft geht es gut: Sie soll in diesem Jahr um 3,5 wachsen, schätzt der Internationale Währungsfonds, und im nächsten Jahr ein bisschen mehr. Das dürfte die europäischen Exporteure freuen, denen obendrein der günstige Euro-Kurs nützt. Seit Anfang 2015 päppeln Mario Draghi und die Europäische Zentralbank die Euro-Zone mit niedrigen Zinsen und monatlichen Anleihekäufen. Zur gleichen Zeit haben die Finanzminister ihren Austeritätskurs verlassen und stimulieren nun gleichfalls das Wachstum, wenn auch nur ein wenig. Besonders ermutigend ist, dass einige Euro-Staaten von Strukturreformen der vergangenen Jahre profitieren. Der Industrieländerorganisation OECD zufolge zählen Spanien, Griechenland, Portugal und Irland zur weltweiten Spitzengruppe bei der Umsetzung von Reformen. Nur in Italien und Frankreich tut sich bislang wenig.

Das könnte sich in Frankreich mit dem Erneuerer Macron bald ändern. Am dringendsten scheint Ökonomen, das Arbeitsrecht zu flexibilisieren. "Die Stimmung in Paris erinnert mich an jene in Berlin vor 14 Jahren, als Kanzler Gerhard Schröder seine Agenda 2010 ausgerufen hat", sagt Schmieding. Die politische Elite in Frankreich sei schockiert, dass die wirtschaftliche Schwäche des Landes seinen politischen Einfluss in Europa spürbar geschwächt habe. Vielen sei klar, dass es so nicht weitergehen könne.

Wenn Macrons Reformeifer auch noch so weit reicht, gemeinsam mit Deutschland die drängendsten Probleme der Währungsunion anzugehen, die Bankenunion zu vollenden, eine gemeinsame Einlagensicherung und einen europäischen Währungsfonds zu schaffen, dann bliebe vom vermeintlich sklerotischen Europa wenig übrig. "Ein erster Schritt könnte sein, dass Frankreich Strukturreformen unternimmt und Deutschland mehr investiert, um den Leistungsbilanzüberschuss zu verringern", sagt Haas, der auf eine bessere Koordination der Wirtschaftspolitik in Europa hofft. Um den Aufschwung müsste man sich dann endgültig keine Sorgen mehr machen.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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