Deutschland vor wochenlangem Streik:"Bis es die Arbeitgeber einsehen"

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Verdi hat den Arbeitskampf im öffentlichen Dienst auf acht Bundesländer ausgeweitet. In einigen Innenstädten türmen sich bereits Abfallberge - Gewerkschaften und Arbeitgeber zeigen sich jedoch weiter unnachgiebig.

B. Dörries, R. Wiegand und H.-J. Heims

Nach Gewerkschaftsangaben legten 22.000 Beschäftigte von Uni-Kliniken, Straßenmeistereien und Kindertagesstätten die Arbeit nieder, um eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden zu verhindern.

Die Länder reagierten derweil skeptisch auf einen Vorschlag von Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), eine längere Arbeitszeit gegen mehr Lohn durchzusetzen. Das sei nicht finanzierbar, meinten mehrere Finanzminister der Länder.

Oettinger bekräftigte am Montag seine Bereitschaft zu einer Lohnanpassung bei längerer Arbeitszeit. "Die Wochenarbeitszeit mit mindestens 40 Stunden ist unser Hauptanliegen. Daneben bin ich entlang der laufenden Lohnverhandlungen zu einer maßvollen Anpassung bereit", sagte er.

Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) signalisierte seine Zustimmung zu dem Vorschlag. Beide Ministerpräsidenten befinden sich derzeit im Landtagswahlkampf.

Die Gewerkschaft lehnt eine Lohnanpassung jedoch ab. Verdi-Chef Frank Bsirske drohte mit einem wochenlangen Arbeitskampf. Der Streik dauere so lange, "bis die Arbeitgeber einsehen, dass sie den Beschäftigten nicht einfach befehlen können, wie lange gearbeitet wird", sagte er.

Bsirske wiederholte, dass eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden 250.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst gefährde. "Wir lassen uns die Arbeitszeit nicht mit Geld abkaufen", sagte auch der Stuttgarter Verdi-Geschäftsführer Bernd Riexinger. Bei den Protesten gehe es vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen.

"Kein Spielraum für mehr Geld"

Der Chef der Tarifkommission der Länder (TdL) und niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) bezeichnete die von den Gewerkschaften genannte Zahl gefährdeter Arbeitsplätze als "nackten Unsinn".

Möllring forderte zur Lösung des Konflikts die Einführung einer Öffnungsklausel. Damit könnte jedes Land über die Höhe des Weihnachts- und Urlaubsgeldes sowie die Länge der Arbeitszeit selbst entscheiden. Für sein Land lehnte Möllring Lohnerhöhungen ab. Niedersachsen habe einen hoch verschuldeten Landeshaushalt und einen Personalüberhang im öffentlichen Dienst, sagte der CDU-Politiker.

Auch der nordrhein-westfälische Finanzminister Helmut Linssen (CDU) sieht für sein Land keine Möglichkeit, höhere Löhne im öffentlichen Dienst zu zahlen. Wenn Oettinger in Baden-Württemberg Geld für mehr Lohn in der Kasse habe, dann sei das seine Sache. "Nordrhein-Westfalen hat diesen Spielraum nicht", sagte Linssen.

Volker Bonorden, Leiter des Personalamts Hamburg und Vertreter der Hansestadt in der Tarifkommission, plädierte dafür, dass die Länder selbst entscheiden sollten, ob sie dem Vorschlag Oettingers folgen. Dies sei ja der Sinn einer Öffnungsklausel. Zunächst müsse die Gewerkschaft Verdi aber wieder an den Verhandlungstisch zurück, forderte Bonorden.

Gestreikt wurde am Montag in ganz Westdeutschland sowie in Sachsen. In Bayern traten gut 1000 Beschäftigte der Uni-Kliniken Würzburg und Erlangen und der Staatstheater in den Ausstand. Hier wurden auch die meisten Autobahn- und Straßenmeistereien bestreikt. Lediglich Niederbayern und die Oberpfalz, die von starken Schneefällen betroffen waren, seien ausgenommen worden, hieß es.

Privatfirmen springen ein

In Baden-Württemberg ging der Streik am Montag bereits in die zweite Woche. Dort war die Beteiligung mit 12.000 Streikenden am größten. In vielen Innenstädten türmen sich größere Abfallberge.

Der Mannheimer Oberbürgermeister und Verhandlungsführer der Kommunalen Arbeitgeber im Südwesten, Gerhard Widder (SPD), sagte, der Streik bei der Müllabfuhr könnte bald zu "nicht mehr haltbaren hygienischen Zuständen" führen. Die Kommunen könnten sich gezwungen sehen, die Müllabfuhr durch private Firmen erledigen zu lassen. In Freiburg ersetzen bereits Leiharbeiter Streikende.

In Nordrhein-Westfalen legten mit Beginn der Frühschicht am Montag etwa 2000 Beschäftigte an den sechs Universitätskliniken des Landes die Arbeit nieder. An dem Streik beteiligten sich Krankenschwestern, Pfleger, Techniker, Köche und Verwaltungskräfte.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verlangt für die 30.000 Mitarbeiter an den Unikliniken die Übernahme der Tarifvereinbarungen, die seit Oktober 2005 für die kommunalen Krankenhäuser gelten. Zentrale Forderungen sind dabei die 38,5-Stunden Woche, Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie 50 Euro mehr Lohn pro Monat.

Die Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen lehnen die Forderungen der Gewerkschaft ab, da sie nach ihrer Auffassung die Personalkosten unvertretbar in die Höhe treiben und Arbeitsplätze gefährden.

© SZ vom 14.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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