Kommentar:Deutschland kann das

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Wenn es ein Land gibt, das es sich leisten kann, Milliarden in den Kampf gegen die Corona-Rezession zu pumpen, dann die Bundesrepublik.

Von Claus Hulverscheidt

Wahrscheinlich ist manchem Bundesbürger in den vergangenen Monate schwindelig geworden angesichts der Summen, die die Kanzlerin und die Länderchefs im Kampf gegen die Corona-Rezession regelmäßig über Deutschland ausschütten. Milliarden für die Luftfahrt, für die Reisebranche, für Restaurants und Handwerk, dazu Kurzarbeitergeld, Bürgschaften, Schnellkredite und die Erstattung von Umsatzausfällen. Wo kommt der ganze Geldsegen auf einmal her? Hieß es nicht jahrelang, es sei nichts da - für Schulen, Digitalisierung, Straßenbau? Und gab es da nicht dieses schöne Urlaubsland in der Ägäis, das so lange Schulden aufhäufte, bis es beinahe die Euro-Zone gesprengt hätte?

Seit das Coronavirus Deutschland und die Welt in seinem Würgegriff hält, scheinen die alten Wahrheiten wie weggewischt. Die Schuldenbremse, die EU-Defizitkriterien, der Stabilitätspakt - all die Regeln und Paragrafen, die gerade deutsche Politiker lange wie den Heiligen Gral verehrten, spielen plötzlich keine Rolle mehr. Und der gemeine Bürger fragt sich: Können wir uns das alles leisten?

Die Antwort lautet: Wir können - und wir müssen! Die Corona-Krise trifft die deutsche Wirtschaft mitten ins Herz. Sie trifft Einzelhändler, Dienstleister und Handwerker, die unter Zwangsschließungen und Kontaktverboten leiden. Sie trifft die Industrie, die wie kaum eine andere auf den weltweiten Handel angewiesen ist. Und sie trifft die Arbeitnehmer, deren Jobs millionenfach in Gefahr sind. Täte die Politik nichts, käme es zu einer Pleite- und Kündigungswelle, die Bund und Länder ein Vielfaches dessen kosten würde, was sie jetzt für die Hilfspakete an neuen Krediten aufnehmen müssen.

Es geht darum, noch viel größeren Schaden für die Wirtschaft abzuwenden

Staatsschulden haben in Deutschland keinen guten Ruf. Dabei gelten sie, ökonomisch gesehen, nur dann als problematisch, wenn man sie zur Finanzierung laufender Ausgaben verwendet, etwa der Renten oder der Beamtengehälter. Sinnvoll sind sie dagegen, wenn sich mit ihrer Hilfe, wie im Fall Corona, ein noch viel größerer volkswirtschaftlicher Schaden abwenden lässt oder Projekte finanziert werden, von denen noch künftige Generationen profitieren - bessere Schulen, Straßen oder Digitalnetze etwa. Das gilt umso mehr, wenn der Staat die Kredite zum Nulltarif bekommt und sich durch Sparsamkeit in früheren Jahren genug Luft für ihre Aufnahme verschafft hat. Beides ist in Deutschland derzeit gegeben.

Anders als die Tech- und die Finanzkrise der Nullerjahre, die durch menschliche Gier und Missmanagement ausgelöst wurden, ist die Ausbreitung des Coronavirus nichts anderes als eine grausame Laune des Schicksals. Die Seuche trifft Reiche wie Arme, Unternehmer wie Arbeitnehmer, den Koch wie den Kellner.

Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Katastrophe, die auch durch einen gesamtgesellschaftlichen finanziellen Kraftakt überwunden werden muss. Deshalb verbietet es sich, jetzt politische Süppchen zu kochen und etwa über eine Vermögensabgabe zu sinnieren, wie es die Partei Die Linke tut. Selbstverständlich kann und muss man angesichts der höchst ungleichen Finanzausstattung der Bundesbürger immer wieder darüber diskutieren, ob Vermögen höher besteuert werden sollten. Corona ist dafür aber der falsche Anlass.

Umgekehrt bedeutet der Fakt, dass die Regierung noch viel Raum für neue Schulden hat, natürlich nicht, dass sie ihr Geld ohne Sinn und Verstand verfeuern darf. Jedes Hilfspaket muss evaluiert, jede Ausgabe geprüft werden. Und natürlich muss sie bedenken, dass eines Tages die Inflation zurückkehren, die Zinsen steigen und die Schuldenlast in den öffentlichen Budgets wieder wachsen werden. Vorerst aber gilt für Deutschland, was für alle gilt: Niemand sollte aus Angst vor der Zukunft die Gegenwart verspielen.

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