Der Fall "Amigo":Der Arbeiterführer der Bosse

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In der Zeit, als die Achtundsechziger zum Marsch durch die Institutionen bliesen, fürchtete Siemens ein Machtvakuum. Nun sieht sich der Konzern mit dem Verdacht konfrontiert, sich einen zahmen Betriebsrat gehalten und einem Ex-Belegschaftsvertreter zu Millionen verholfen zu haben.

Klaus Ott und Uwe Ritzer

Werner Neugebauer ist ein kerniger Gewerkschafter vom alten Schlag, ein wuchtiges Mannsbild von 56 Jahren, mit grimmig nach unten gezogenen Mundwinkeln und kräftigen Händen.

Eingang der Bundeszentrale der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB). Die Betriebsrats-Organisation trat moderater auf als die IG Metall. (Foto: Foto: AP)

Als bayerischer Bezirksleiter der IG Metall bevorzugt er eine unverblümte Aussprache, und verbal einmal in Fahrt, ist Neugebauer kaum zu bremsen.

So erinnert sich Klaus Hannemann gut an die irritierten Blicke der vornehmen Herren auf der anderen Seite des Besprechungstisches, als Neugebauer sie in einer Verhandlungsrunde unverblümt anschnauzte: ,,Euch hat man doch ins Hirn geschissen.''

Siemens-Manager sind eine vornehmere Tonart gewohnt, entsprechend indigniert seien die Herren gewesen, sagt Hannemann, IG Metall-Mitglied und Betriebsratschef am Siemens-Standort Erlangen. Danach hätten sie signalisiert, dass IG-Metall-Funktionäre von außerhalb künftig nicht unbedingt willkommen seien im Hause Siemens.

Von stattlicher Größe und mit rüden Manieren

Da war den Managern Wilhelm Schelsky schon lieber. Zwar ist auch er ein Mann von stattlicher Größe und mit bisweilen rüden Manieren, wenn es um seine Interessen geht. ,,Du musst der Firma sagen, was du persönlich willst'', habe ihm Schelsky zweideutig erklärt, erinnert sich Hannemann.

Er beschreibt Schelsky, der 1978 als Vertriebskaufmann bei Siemens in Erlangen anheuerte und 1984 Betriebsratschef wurde, als ,,sehr autoritär, von sich überzeugt und prinzipiell der Meinung, dass man mit Geld alles regeln kann''.

Aber im Umgang mit der Siemens-Führung pflegte Wilhelm Schelsky einen äußerst kooperativen Stil. Diesen setzte der Sohn des berühmten Soziologen Helmut Schelsky auch fort, als er Ende 1990 bei Siemens ausschied.

Dem Konzern eng verbunden

Er firmierte fortan als Unternehmensberater und blieb dem Konzern eng verbunden. Damals entstand jenes undurchsichtige Beziehungsnetz zwischen ihm und führenden Siemens-Managern, das nun Nürnberger Steuerfahnder und Staatsanwälte allmählich entflechten.

Im Raum steht der Verdacht, dass Wilhelm Schelsky mit zig Millionen Euro und im Auftrag von Siemens die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) aufgebaut habe, als eine Art managementfreundliche Gegenorganisation zur IG Metall.

Bis vor wenigen Tagen war Schelsky AUB-Bundesvorsitzender, mehr als 20 Jahre lang. Er sitzt seit Mitte Februar im Nürnberger Gefängnis in Untersuchungshaft und ist sich keiner Schuld bewusst.

Siemens bestreitet vehement, sich mit seiner Hilfe eine eigene Arbeitnehmervertretung aufgebaut und gehalten zu haben. Doch spätestens, seit am Dienstag mit Zentralvorstand Johannes Feldmayer erstmals ein Mitglied des engsten Führungszirkels um Vorstandschef Klaus Kleinfeld in diesem Zusammenhang unter Verdacht der Untreue und Steuerhinterziehung in U-Haft genommen wurde, mehren sich Anzeichen für ein enges Zusammenspiel.

Die Ermittler stoßen dem Vernehmen nach auf immer konkretere Hinweise, wonach Schelsky und die AUB womöglich nicht nur über ein komplexes Firmengeflecht viel Geld von Siemens erhielten, sondern sogar die Idee zur Gründung der Arbeitnehmerorganisation in der Konzernspitze entstand. Und zwar in der Zeit, als die Achtundsechziger zum Marsch durch die Institutionen bliesen.

Altehrwürdiger Standort

Selbst in den weitläufigen Gebäuden des altehrwürdigen Siemens-Standorts Mitte im braven Erlangen taten sich Anfang der siebziger Jahre junge Angestellte zusammen, um ihre Interessen zu vertreten und bei Betriebsratswahlen zu kandidieren.

Dem damaligen Management sei himmelangst geworden, sagt Rüdiger Kalupner, ein Wirtschaftsingenieur, der zwischen 1972 und 1975 bei Siemens freigestellter Betriebsrat war und 1984 im Unfrieden ausschied. ,,Man fürchtete ein Machtvakuum und überlegte, wie man es füllen könnte.'' Schließlich habe man ,,in einer panikartigen Gegenreaktion die Gründung der AUB angestoßen'', behauptet Kalupner.

So verdichten sich die Hinweise, dass führende Siemens-Manager einen Deal mit Schelsky machten. Nach seinem Ausscheiden aus dem Konzern garantierte Siemens ihm als Unternehmensberater jedenfalls viele lukrative Aufträge.

Schlagkräftige Truppe

Im Gegenzug, so der Verdacht, sollte Schelsky die wenige Jahre zuvor gegründete AUB zur schlagkräftigen Truppe machen, damit am Ende möglichst viele moderate AUB-Vertreter anstelle renitenter IG-Metall-Aktivisten in Siemens-Betriebsräten und anderen Mitbestimmungsgremien säßen.

Für den Fall, dass das AUB-Projekt scheitern sollte, hat Siemens Wilhelm Schelsky nach Informationen der Süddeutschen Zeitung aus Konzernkreisen sogar ein Rückkehrrecht in die Führungsebene zugestanden sowie Pensionsansprüche.

Wie viel Geld Wilhelm Schelsky seit 1990 von Siemens kassiert hat, weiß niemand. Ermittler halten eine hohe zweistellige Millionensumme für möglich. Soweit dabei möglicherweise Untreue im Spiel war, konzentrieren sie ihre Ermittlungen auf mögliche Straftaten, die noch nicht verjährt sind, speziell den Zeitraum seit 2001.

Das System Schelsky

Auch wie viele Siemens-Millionen womöglich über Schelsky in die AUB gepumpt wurden, ist unklar. Die AUB schweigt sich aus, vielleicht weiß man es dort nicht einmal selbst. Denn das System Schelsky soll nach dem Prinzip funktioniert haben, dass er, und nur er, alles steuerte und in alles eingeweiht war.

Dabei wäre es interessant zu erfahren, wie eine Arbeitnehmerorganisation mit angeblich 23.000 Mitgliedern und konkurrenzlos niedrigen acht Euro Monatsbeitrag sich bis zuletzt aufwendige Tagungen und Seminare in feinsten Hotels leisten konnte, ein Netz aus Geschäftsstellen in guten Lagen deutscher Großstädte und eine stattliche Zahl hauptamtlicher Mitarbeiter.

Schelskys eigene Geschäfte mit Siemens gingen prächtig. Er gründete eine Firma nach der anderen, residierte in einem schmucken weißen Backsteinhaus im Oberfränkischen, erwarb renovierte Villen in Ostdeutschland.

Schelsky pflegte teure Hobbys, kaufte edle Möbel, Antiquitäten, Gemälde und verfügte über einen ansehnlich motorisierten Fuhrpark. Und trotzdem blieb noch genug übrig, um reichlich Geld in Sportvereine zu stecken, die dafür den Schriftzug AUB auf den Trikots trugen.

Aufwendiges Konstrukt

Die Zusammenarbeit mit Siemens wurde über ein aufwendiges Konstrukt aus Verträgen und Vereinbarungen geregelt. Der oberste AUB-Arbeitnehmervertreter arbeitete in großem Stil für Siemens - oder tat zumindest so.

Die Nürnberger Ermittler hegen den Verdacht, dass Wilhelm Schelsky einen Großteil der vielen Millionen ohne adäquate Gegenleistungen kassiert hat.

Steuerprüfern war in den Büchern von Schelsky-Firmen aufgefallen, dass dort viele glatte Beträge meist zwischen 450.000 und 800.000 Euro als Einnahmen verbucht waren. Auf den zugehörigen Rechnungen an Siemens stand einfach ,,Dienstleistungen'' oder ,,Beratungsleistungen''.

Ermittler bohrten tiefer

Die Ermittler gründeten eine Soko ,,Amigo'', bohrten tiefer und stießen auf Hinweise, dass Wilhelm Schelsky 20 Mitarbeiter und Honorarkräfte in seinen Firmen beschäftigte (und beim Finanzamt als Betriebsausgaben steuerlich geltend machte), die in Wirklichkeit in Bundes- und Landesgeschäftsstellen der AUB arbeiteten.

Der Verdacht erhärtete sich, als Mitte Februar nicht nur Schelsky verhaftet wurde, sondern auch viele Büros, unter anderem bei Siemens und der AUB, sowie Privatwohnungen durchsucht wurden.

Bereits damals hätte es manche Insider nicht gewundert, wäre neben Schelsky auch der am Dienstag verhaftete Zentralvorstand Johannes Feldmayer festgenommen worden. Zumindest ein Vertrag zwischen Siemens und Schelsky, datiert von 2001, trägt Feldmayers Unterschrift.

Millionenrechnungen ohne Gegenleistung

Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung gehen nun dem Verdacht nach, dass der zeitweise als Kronprinz von Konzernchef Kleinfeld gehandelte Feldmayer zwei Dutzend Rechnungen über viele Millionen Euro zur Zahlung angewiesen hat, ohne dass Schelsky eine Gegenleistung erbracht hätte - was Untreue zu Lasten von Siemens wäre.

Abgewickelt wurden die Geschäfte in Teilen über zwischengeschaltete Firmen, wobei Rechnungen Schelskys laut dem Durchsuchungsbeschluss von dieser Woche über die privaten Briefkästen von Feldmayer und einem Manager des Rechnungswesens beim Konzern landeten.

© SZ vom 29.03.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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