Demokratie in Zeiten des Internets:Netzamateure aller Länder, vereinigt euch!

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Wo findet Revolution im Zwischenraum statt? Auf Facebook, Twitter, im Netz? Netzaktivisten, Politiker und Wissenschaftler diskutierten mit Bürgern über Demokratie in Zeiten der Digitalisierung. Eindrücke und Auszüge der Diskussion.

Lena Jakat, Tutzing

Kann das Netz revolutionäre Kraft entfalten? Braucht Protest die Macht der analogen Straße?

Die Münchner Urbanauten, eine Initiative die sich der Debatte über und der Neuerfindung des öffentlichen Raums verschrieben hat, lud an diesem Wochenende zur Tagung "Revolution im Zwischenraum". Vor der idyllischen (und denkbar wenig rebellischen Kulisse) der Evangelischen Akademie Tutzing diskutierten Netzaktivisten, Politiker, Verwaltungsmenschen, Wissenschaftler und Bürger über Zustand und Zukunft der Demokratie unter Bedingungen der Digitalisierung.

Die Brauhäuser und der Bierpreis, das Rathaus und Lola Montez, die Schwabinger Straßenkrawalle und das Freiluftkonzert: Zwischenräume von Revolutionen und Aufständen. Wo ist dieser Raum in Zeiten von Occupy und Acta? Auf Facebook, Twitter, im Netz? Auf der Straße, wo Tausende gegen Acta protestieren? In der Gleichzeitigkeit und Verwobenheit beider Räume?

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"Also wenn ich das richtig verstehe, sind da die einen - ich nenne sie mal Internetfreunde - und die anderen, die Politiker der Parteien, die immer mehr an Zulauf verlieren", sagt ein älterer Herr aus dem Plenum. Was denn die traditionellen Parteien tun, um diese Entwicklung aufzuhalten, will er wissen. Eine große Frage, auf die es abseits von Kommissionen und Arbeitskreisen noch kaum Antworten gibt. Andere Fragen sind: Kann diese Entwicklung überhaupt aufgehalten werden? Soll sie es?

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"Stuttgart, New York, Tel Aviv, London: Vor ein paar Jahren hätte man sich bei dieser Reihung gefragt, ob es um Touristik geht", sagt Soziologieprofessor Dieter Rucht.

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Die Angst der Politiker vor dem Internet ist groß, immer noch und gerade besonders, da sind sich die Teilnehmer auf dem Podium ziemlich einig. Angst, die ständige Erreichbarkeit könnte überfordern, Angst zuzugeben, mit der rasenden technischen Entwicklung nicht mithalten zu können, Angst, die Kontrolle über politische Entscheidungen zu verlieren.

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"Ich bin einer von denen, denen das Internet gehört", scherzt ein Mann im grauen Sakko. Er arbeitet für IBM und fügt hinzu, nun ernster: "Das Internet gehört dem, der es sich nimmt."

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Bei Revolution geht es nicht so sehr um Zivilgesellschaft, sondern um Räume, sagt die Journalistin und Autorin Hannah Wettig, die ein Buch über den Arabischen Frühling geschrieben hat. Theater, Fußballstadien, Cafés, virtuelle Räume. Virtuelle Räume wie Twitter, die durch ihre Wirksamkeit auf die Wirklichkeit real werden. Virtuelle Räume sind einerseits "Mobilisierungstool", wie Wettig sagt, und verfügen zugleich um eine eigene "Agentschaft", wie es die Medientheoretikerin Rania Gaafar nennt, Aktionspotential, Handlungsmacht.

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"Mehr Aktivität im Netz ist nicht gleich mehr Demokratie."

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Müssen digital vernetzte Protestbewegungen, die oft von einzelnen beeinflusst sind und nur lose zusammenhängen, organisiert sein? Ja, sagt Gastredner Conrad Tribble, US-Generalkonsul in München, wenn man Gesellschaft tatsächlich mitgestalten will. Zustimmung von Soziologieprofessor Dieter Rucht: Dinge wie Finanzierung und Entscheidungsprozesse ließen sich nicht spontan herstellen, sagt er: "Organisation ist unverzichtbar."

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Auf einer Präsentationsfolie zum Thema Open Data in München "prallen Kulturen" aufeinander, wie Referent Thomas Pfeiffer sagt: Programmierer-Nerds von Mogdy versus OB Christian Ude mit Krone und Hermelin.

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"Zwischenraum - bei diesem Begriff fühle ich mich eingeengt", sagt ein Referent, der sich dabei an die niedrigen Gesindekammern in Pariser Altbauwohnungen erinnert fühlt. Und gibt zu bedenken: Ist nicht dieser Zwischenraum viel eher ein Anbau an den schon bestehenden öffentlichen Raum? *** Revolution im Zwischenraum kann auch "alle zwei Wochen zusammen Bier trinken" sein: In Berlin treffen bei der Open-Data-Debatte "Verwaltung und Menschen" zusammen. Aber geht das wirklich als Revolution durch? "Revolutionsvermeidung", nennt es ein Mann aus dem Plenum, "Stärkung von Partizipation".

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Wird die netzbasierte Bürgerbeteiligung von Verwaltungen gefördert, in der Stadtplanung zum Beispiel, über welche Regeln muss dann gesprochen werden? Wer achtet auf den Datenschutz? Wer moderiert? Kann man sich anonym oder muss man sich namentlich an der Debatte beteiligen?

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Die Liebhaber besetzen den Zwischenraum. Mit dem Internet entsteht eine neue, diskursive Art der Autorität, sagt jetzt.de-Chefredakteur Dirk von Gehlen. Er spricht über den Aufstieg der Amateure im Netz, in dem die etablierten Eliten den "Untergang des Abendlandes" sehen - als Lexikon-Redakteure bei Wikipedia, als Ärzte in Patientenforen, als Künstler auf Youtube. Sein Plädoyer: Amateure aller Länder, vereinigt euch!

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Noch so ein Zwischenraum: Der Teilnehmer einer Podiumsdiskussion spricht abends beim Bier über das Problem der twitternden Zuhörer. "Woher weiß ich, was da rausgeht? Wie das kommentiert wird? Ich kann nicht darauf reagieren." Und da ist sie wieder, die Angst vor dem Kontrollverlust.

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Slobodan Djinovic ist Geschäftsmann und Widerstandstrainer für die Organisation Canvas. Er reist durch die Welt, in Zwischenräume im Mittleren Osten, in Südamerika, in Osteuropa, schult und berät dort Widerstandsbewegungen. Seine Prinzipien sind pragmatisch, "Revolution für Dummies, in 50 Bildern, 50 Wies und Warums". Er zähmt die komplexe Dynamik von Widerstandsbewegungen in Iran, in Ägypten und Südamerika in simplen Kurvendiagrammen und sagt: "Ich weiß auch nicht warum, aber es funktioniert."

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