Datenaffäre bei der Deutschen Bahn:173.000 Mitarbeiter überprüft

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Neue Dimension im Spitzelskandal bei der Deutsche Bahn: Rund 173.000 Mitarbeiter sind ohne ihr Wissen und Einverständnis vom Konzern überprüft worden.

Michael Bauchmüller und Klaus Ott

Die Affäre um die Überprüfung von Mitarbeitern der Deutschen Bahn (DB) hat weit größere Ausmaße als bisher bekannt. Vor dem Verkehrsausschuss des Bundestags räumte der oberste Korruptionsbekämpfer der Bahn, Wolfgang Schaupensteiner, am Mittwoch die Überprüfung von 173.000 Beschäftigten oder Angehörigen ein. Zuletzt hatte die Bahn lediglich eingestanden, 774 Mitarbeiter und 400 Ehepartner unter die Lupe genommen zu haben. Die neue Dimension löste Empörung in allen Fraktionen aus.

Die Bahn hat 240.000 Beschäftigte. Nach den neuesten Erkenntnissen sind also große Teile der Belegschaft ohne deren Wissen kontrolliert worden. Die DB, die dem Bund gehört, wollte nach eigenen Angaben auf diese Weise krumme Geschäfte aufdecken. Dazu hatte sie die Daten von Mitarbeitern an eine Detektei übermittelt - von der Kontonummer bis hin zur Privatadresse. Die Detektive sollten diese Informationen mit den Daten von 80000 Auftragnehmern der Bahn abgleichen. Dadurch sollten mögliche Scheingeschäfte aufdeckt werden, etwa solche, bei denen Mitarbeiter Aufträge Firmen zuschanzen, die ihnen selbst gehören. Wegen vieler großer Bauvorhaben gilt die Bahn als besonders anfällig für Korruption und Betrug.

Unmut im Aufsichtsrat

Auch innerhalb des Aufsichtsrates der Bahn macht sich Ärger über die Untersuchungen breit. Die Bahn hat nach Angaben eines Sprechers zwar den vierköpfigen Prüfungsausschuss des Kontrollgremiums über die Überprüfung der 173000 Mitarbeiter informiert. Die anderen 16 Aufsichtsräte erfuhren davon aber offenbar nichts. Dem gesamten Kontrollgremium hatte Vorstandschef Hartmut Mehdorn zuletzt vor einer Woche lediglich mitgeteilt, es seien "keine Telefone abgehört, keine Konten eingesehen und keine Journalisten oder Aufsichtsräte bespitzelt" worden. Die massenhafte Kontrolle von Mitarbeitern erwähnte der Vorstandschef in seinem Schreiben, das der SZ vorliegt, mit keinem Wort. Aus dem Aufsichtsrat heißt es dazu, Mehdorn hätte bei dieser Gelegenheit auch die Überprüfung von großen Teilen der Belegschaft offenlegen müssen. Der Vorstandschef müsse nun erklären, warum er das nicht getan habe.

In seinem Brief an den Aufsichtsrat hatte Mehdorn betont, Gesetzesverstöße der Bahn seien für ihn "nicht erkennbar". Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix scheine zwar von vereinzelten Verstößen gegen das Datenschutzrecht auszugehen, weil beispielsweise von den Untersuchungen betroffene Mitarbeiter anschließend nicht unterrichtet worden seien, schrieb Mehdorn und fügte hinzu: "Wir teilen diese Rechtsansichten nicht." Nun soll der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats über die Affäre beraten. Das hat das Bundesverkehrsministerium beantragt.

Dem Bundestag teilte der Bahn-Manager Schaupensteiner mit, bei der Massen-Kontrolle der Mitarbeiter habe sich in 175 Fällen ein Tatverdacht ergeben. In wie vielen Fällen sich dieser Verdacht schlussendlich erhärtete, sagte er nach Angaben von Sitzungsteilnehmern nicht. Die Nachforschungen trugen Tarnnamen wie "Projekt Eichhörnchen", "Rubens" oder "Babylon". Die Detektei Network erhielt dafür rund 800000 Euro. Pikanterweise ist Network eben jene Firma, die im Auftrag der Deutschen Telekom Journalisten und Aufsichtsräte bespitzelt hat.

Der Verkehrsausschuss des Bundestags will der Sache nun weiter nachgehen. "Die Überprüfung fast der gesamten Konzernbelegschaft mit Korruptionsbekämpfung zu begründen, ist absurd", sagte der FDP-Verkehrspolitiker Horst Friedrich. "Der Großteil aller Bahnbeschäftigten hat mit Einkäufen und Auftragsvergaben überhaupt nichts zu tun." Die Bahn sei kein rechtsfreier Raum, kritisierte Friedrich.

© SZ vom 29.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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