Das deutsche Valley:Der Turbo

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(Foto: Bernd Schifferdecker/Bernd Schifferdecker)

Wer sich mit der Digitalisierung in Deutschland beschäftigt, kommt an Thomas Sattelberger nicht vorbei: Er streitet für die Erneuerung von Staat und Gesellschaft.

Von Marc Beise

Wenn dieser Mann die Bühne betritt, kommt Stimmung auf. Thomas Sattelberger, gerade 70 Jahre alt geworden, begeistert andere - weil er sich selbst begeistert. Der Ex-Personalmanager aus der Autoindustrie, Ex-Telekom-Vorstand und nun spät berufener Bundestagsabgeordneter mit privatem Schreibtisch an einem bayerischen See, nimmt im politischen Berlin Einfluss weit über die eingeschränkte Bedeutung seiner Partei, der FDP, hinaus.

Jedes Thema, das das humane Kraftwerk "TS" anpackt, gewinnt an Fahrt - und das ist ein Glücksfall für die Digitalisierung in Deutschland. Denn genau sie ist Sattelbergers Fokus, Thema von unzähligen Auftritten, jeden Tag, in Berlin und überall in der Republik, auf kleinen und großen Bühnen, vor interessiertem Publikum und inmitten wichtiger Entscheider.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Digitalisierung in der Regierung seit Langem zur Chefsache gemacht (wie Umwelt und Bildung übrigens auch) - aber wer hat das je wirklich bemerkt? Was dagegen Sattelberger zu seinem Anliegen macht, ist Top-Thema, jedenfalls überall da, wo er höchstpersönlich auftaucht. Und wer nicht dabei ist, erfährt es dank seinem ausgeprägten Ego auf allen denkbaren medialen Kanälen. Zugegebenermaßen: jetzt auch in dieser Kolumne.

Kürzlich, beim Plan W-Kongress der Süddeutschen Zeitung in Berlin, gab es ein wunderbares Beispiel des Sattelbergerismus. Ein Panel zur Frage "Wie modern ist Deutschland?", erfahrene Menschen auf der Bühne, kluge Gedanken, aber irgendwie, denkt man sich beim Zuhören, müsste da doch noch mehr gehen. Sattelberger - zufällig ist es der Tag seines runden Geburtstages -, steckt noch arbeitend im Bundestag fest, und als er endlich eintrifft, hält er sich nicht erst mit einer Entschuldigung auf, sondern übernimmt mit dem freien Sessel auch die Federführung fürs Gespräch, das Panel kommt in Fahrt. Und das Wunderbare: Keine der Gesprächsteilnehmerinnen nimmt ihm das wohl übel, es macht einfach zu viel Spaß, mit diesem Mann die Zukunft zu planen.

Nächste Szene, Montag dieser Woche, wieder in Berlin, Enquetekommission "Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt": ein Sattelberger-Thema. Er selbst notiert in seinem Tagebuch, an dem er Interessierte Woche für Woche digital teilhaben lässt: "Nervositätspegel der Beteiligten steigt. Arbeit am schriftlichen Zwischenbericht beginnt. Da für mich Arbeit kein Fremdwort ist, bringe ich im Unterschied zu fast allen anderen Kommissionsmitgliedern ein eigenes (und bereits fertiges) 11-Thesen-Papier in die Diskussion ein. Von dieser Nachricht aufgeschreckt, haben die Linken dann übers Wochenende auch noch schnell einen Dreiseiter gebastelt. Die anderen stattdessen im Dornröschenschlaf." Das ist arg selbstgerecht, aber Sattelberger sieht das eben so, und da von anderen wenig zu hören ist, liegt die Deutungshoheit an diesem Montag bei ihm.

Mit dem vorliegenden Zwischenberichtsvorschlag des Enquete-Sekretariats ist er denn auch gar nicht zufrieden: "Zu viel Hohelied der Berufsausbildung in Deutschland, zu wenig Fokus darauf, welche Schwächen wir ausbügeln und welche Zukunftstrends wir erspüren müssen." Außerdem, moniert der frühere Industriemanager, sei das Papier total industrielastig. Als ob es keine Banken und keinen Handel in Deutschland gäbe. Und dann immer wieder die Klagearien über die negativen Folgen der Digitalisierung, das kann "TS" schon gar nicht ab: "Als sei es eine biblische Heuschreckenplage, bei der nur noch Beten hilft. Kein Wort über Chancen und Potenziale! Eine Geisteshaltung zum Davonlaufen." Aber keine Sorge, Turbo Sattelberger bleibt dran.

"Angst stört beim Denken", sagt Valerie Holsboer, die Arbeitsmarktexpertin

Seine Welt sind Leuchtturmprojekte, Exzellenzinitiativen, er fordert Stipendien für Leistungsträger beruflicher Bildung und Hospitanzen in den Hot Spots dieser Welt: Tel Aviv, Stockholm, Boston. Und, was soll man sagen, der Mann hat ja recht. Wer die Digitalisierung gestalten will, darf sie nicht in erster Linie beargwöhnen und gar bekämpfen. Oder, wie es dieser Tage Valerie Holsboer, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, bei einem Panel zur "Zukunft der Arbeit in Zeiten der Digitalisierung" an der Universität Nürnberg-Erlangen sagt: "Angst stört beim Denken". Holsboer macht qua Beruf genau das: Sie denkt angstfrei darüber nach, wie Arbeitnehmer in Zeiten der Digitalisierung ihren Job behalten oder einen neuen Job finden können, und ihr Thema sind Bildung, Weiterbildung und lebenslanges Lernen. In Bildung aber investiert es sich leichter, wenn man die grundlegenden Veränderungen durch die Digitalisierung verstanden hat.

Studien des zur Bundesagentur gehörenden Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass Betriebe, die verstärkt in digitale Technologien investieren, auch stärker in Bildung investieren als andere Betriebe. Sie nutzen auch verstärkt die neuen Techniken, richten Erfahrungs- und Experimentierräume ein, sogenannte Fab Labs oder Maker Spaces, in denen der Fokus nicht mehr auf dem starren Abarbeiten von Bildungsplänen liegt, sondern auf dem Ausprobieren und Experimentieren. Am Ende wird man wohl die 326 Ausbildungsberufe in Deutschland daraufhin überprüfen müssen, inwieweit sie noch zeitgemäß sind. Früher schien Spezialisierung der richtige Weg zu sein, arbeitsplatzgerecht auszubilden. Heute muss man wohl sagen: Je mehr einer sich spezialisiert, desto geringer ist seine Beschäftigungsfähigkeit. Je breiter jemand ausgebildet ist, desto fitter ist er im Zeitalter der Digitalisierung. Und vermutlich kann man auch sagen: Je begeisterungsfähiger jemand ist, desto besser in dieser neuen Zeit.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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