Cum-Ex-Geschäfte:Her mit den Milliarden

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Erstmals will eine ausländische Bank mutmaßlich hinterzogene Steuern aus Börsendeals zurückzahlen und ein Bußgeld akzeptieren. Das setzt zahlreiche Geldinstitute aus aller Welt unter Druck und könnte dem Staat Milliarden bringen.

Von Klaus Ott, Köln/München

So ein Pech auch. Den früheren Bank-Manager aus München, in dessen Wohnung und Büro Kriminalbeamte im Oktober 2014 nach Beweisen für Steuerhinterziehung in Millionenhöhe suchten, ließ sein Gedächtnis leider im Stich. Die Ermittler fanden allerlei Computer, Laptops, Festplatten, Sticks und iPhones mit Millionen Dateien, Mails, Chat-Protokollen. Alles problemlos lesbar. Nur das wichtigste Fundstück, der frühere Dienst-Laptop des Ex-Bankers, war verschlüsselt. Man könne es ja mit "Munich22" oder "Australien31" versuchen, sagte der frühere Bank-Manager den Kriminalbeamten. Er hatte als Investment-Spezialist bei Münchner Filiale des aus Australien stammenden Geldinstituts Macquarie gearbeitet. Beide Passwörter waren falsch. Der richtige Zugangscode wollte dem Verdächtigen, der bei dubiosen Aktiendeals zu Lasten des deutschen Fiskus mitgemacht haben soll, einfach nicht mehr einfallen.

Davon ließen sich jene Steuerfahnder, Staatsanwälte und Kriminalbeamte, die komplizierte Börsen-Geschäfte durchleuchten, nicht aufhalten. Jetzt stehen die Behörden vor einem Durchbruch bei Ermittlungen gegen mehr als 100 Banken und Kapitalanlagefonds. Die Finanz-Firmen sollen den deutschen Staat beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende um mehr als zehn Milliarden Euro geschädigt haben. Nach Informationen von SZ, NDR und WDR ist Macquarie als erste ausländische Bank bereit, Steuererstattungen zurück zu zahlen und ein Bußgeld zu akzeptieren. Die Staatsanwaltschaft Köln und Macquarie stehen kurz vor einer Einigung, der formale Abschluss dauert noch. Beide äußern sich dazu nicht. Insgesamt soll es um etwa 100 Millionen Euro gehen, die Macquarie an die Staatskasse überweisen würde: Steuerrückzahlung, Zinsen, Abschöpfung von Cum-Ex-Gewinnen und ein kleines Bußgeld.

Geldinstitute aus der ganzen Welt geraten nun unter Druck, es Macquarie gleich zu tun. Das könnte dem Staat mehrere Milliarden Euro bringen. Bislang haben nur deutsche Banken ihren Frieden mit dem Fiskus gemacht. Auf der Liste der Fahnder stehen, neben bekannten Namen aus der Bundesrepublik, rund 50 Banken aus den internationalen Finanzzentren (siehe Kasten). Aus Zürich, London, New York, und so weiter. Sie alle sollen zusammen mit Kapitalanlagefonds, mithilfe derer Millionäre und Milliardäre ihr Vermögen vermehrten, den Fiskus jahrelang gezielt ausgenommen haben. Der Trick: Man ließ sich von Finanzämtern eine nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten. Möglich machte das eine Lücke in den Börsenregeln, die von Regierung und Bundestag erst 2012 geschlossen wurde. Viel zu spät, schließlich hatte es schon jahrelang alarmierende Hinweise auf solche Cum-Ex-Deals gegeben.

Auch die Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) waren intern gewarnt worden. Die Lücke in den Börsen-Vorschriften war nach Ansicht von Steuerfahndern und Staatsanwälten aber kein Freibrief, dem Staat in die Kasse zu greifen. Vor allem in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, aber auch anderswo wird ermittelt. Die Hypo-Vereinsbank (HVB), die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und die HSH Nordbank haben insgesamt knapp 500 Millionen an den Fiskus zurückgezahlt; teils vorläufig, bis alles ausermittelt ist.

Dass mit der LBBW und der HSH sogar zwei staatliche Landesbanken bei Cum-Ex mitmachten, zeigt deutlich, wie verbreitet solche Deals waren. Als einzige Bank hat bislang die HVB nach umfangreichen internen Untersuchungen ein uneingeschränktes Geständnis abgelegt. Beim Bußgeld kam die Hypo-Vereinsbank sehr glimpflich weg. Die Staatsanwaltschaft Köln honorierte das Einlenken der HVB. Jetzt steht das nächste Verfahren vor dem Abschluss. Auch Macquarie will zahlen. Auch die Australier haben, als zweites Institut nach der Hypo-Vereinsbank, mit den Ermittlungsbehörden umfassend kooperiert. Auch Macquarie käme insgesamt gut davon. In der Finanzbranche heißt es, das australische Institut lege Wert darauf, nichts Illegales getan zu haben. Wie auch immer, für die nächsten Banken werden Cum-Ex-Deals mit den Behörden wohl deutlich teurer als bei Macquarie.

Das 1969 gegründete Institut, das von Sydney aus weltweit tätig ist und mehr als 14 000 Beschäftigte hat, finanziert vor allem Industrie- und Infrastruktur-Projekte. Der Cum-Ex-Handel mit Aktienpaketen war wohl eher ein Geschäft nebenbei. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen zwei frühere Angestellte der Bank. Der eine der beiden hatte Jahre nach seiner Zeit Macquarie sogar wochenlang in Untersuchungshaft gesessen. Bis er schließlich zugab, seine eigenen Kumpane bei den Aktiendeals erpresst zu haben. Der Ex-Banker hatte den Kompagnons in anonymen Mails gedroht, alles auffliegen zu lassen, falls er nicht einen Millionenbetrag bekomme. Das Geld wurde auf ein Treuhandkonto überwiesen. Später flog der Erpresser auf.

Der andere in solche Aktiengeschäfte verwickelte Ex-Mitarbeiter von Macquarie ist jener Verdächtige, dem die richtigen Passwörter für seinen alten Dienst-Laptop nicht mehr eingefallen waren.

Dem Cum-Ex-Dealer half seine Vergesslichkeit nichts. Die Ermittler fanden viel Belastungsmaterial. Etwa Mails, in denen sich der damalige Macquarie-Angestellte Gedanken gemacht hatte, wie er die Börsengeschäfte in der eigenen Bank durchsetzen könne.

Die Risiko-Abteilung werde "den Deal nicht durchwinken", falls es intern weiter Bedenken gebe. Ein andermal notierte der Banker den bemerkenswerten Satz, der Trick bei diesen Geschäften sei, dass man "Kapitalertragsteuer bekommt". Und in einer weiteren Mail hielt der damalige Investment-Spezialist fest, es könne sein, dass Macquarie zu Unrecht erhaltene Steuererstattungen zurückzahlen müsse. Nämlich dann, wenn die Behörden das später mitbekämen. Wie wahr.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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