Es ist erst ein paar Tage her, da erschien in der Tageszeitung The Daily Telegraph ein bemerkenswerter Artikel. Der Autor vertrat darin die für eine konservative Zeitung ungewöhnliche Meinung, die Digitalwährung Bitcoin sei erst der Anfang einer Revolution, welche die alten Institutionen hinwegfegen und eine digitale Anarchie an ihrer statt installieren würde. Unter den Bitcoin-Befürwortern wurde der Artikel herumgereicht. Nach all den Pleitemeldungen der vergangenen Monate war, so schien es, endlich wieder Entspannung angesagt. Bitcoin war wieder als Alternativwährung für Crypto-Anarchisten im Gespräch - und nicht als Sicherheitsrisiko oder Kapitalvernichtungsmaschine.
Von langer Dauer war die Wohlfühlphase allerdings nicht. Forscher der Cornell Universität veröffentlichten nun das Ergebnis einer Untersuchung, die das Potenzial hat, das öffentliche Bild der Digitalwährung erneut zu erschüttern. Demnach spielt sich die Bitcoin-Produktion inzwischen viel weniger dezentral ab, als man es von einer Währung , deren wichtigstes Versprechen die Dezentralität ist, vermuten könnte. Ein einziges Netzwerk von Bitcoin-Produzenten sei zuletzt mehrfach für mehr als 51 Prozent der Produktion verantwortlich gewesen, schreiben die Forscher.
Bitcoins entstehen, indem Computer im zeitlichen Verlauf immer komplexer werdende Rechenoperationen durchführen. Inzwischen sind diese Operationen so umfangreich, dass sich die Ersteller von Bitcoins in sogenannten Mining-Pools zusammenschließen. Das sind große Rechnernetze, die gemeinsam Bitcoins schürfen. Das weltweit größte dieser Netze ist Ghash, das laut eigenen Angaben zu Jahresbeginn bereits für 40 Prozent der Bitcoin-Produktion verantwortlich war und laut den Forschern nun mehrfach über 51 Prozent lag.
Denial-of-Service-Attacke ist laut den Forschern möglich
Mit der Konzentration bei einem Netzwerk sei eine ganze Reihe von Problemen verbunden, schreiben die Forscher. Es sei dadurch etwa möglich, dieselben Bitcoins zweifach zu verbuchen, die Transaktionen anderer Bitcoin-Urheber zurückzuweisen oder sogar eine sogenannte Denial-of-Service-Attacke gegen Bitcoin zu fahren. Ein solcher Angriff würde zum vorübergehenden Zusammenbruch des Systems führen.
Gravierende Probleme also für eine Idee, die sich über die Opposition zu den Machtkonzentrationen im bestehenden Finanzsystems definiert. Kein Wunder, dass die Darstellung der Forscher nun auf scharfe Kritik in der Community stößt. Sollte es zu einem Angriff eines 51-Prozent-Netzwerks kommen, würden diejenigen, die Bitcoin weiterentwickeln, Gegenmaßnahmen einleiten, heißt es etwa. Außerdem sei das Problem nur theoretischer Natur. Ghash habe seine Macht nicht ausgenutzt.
Dafür haben zwar auch die Forscher keine Anhaltspunkte. Bedenkenswert ist es aber schon, dass Ghash kürzlich noch angekündigt hatte, die 51-Prozent-Grenze nicht zu überschreiten. Vertrauenswürdig wirkt das nicht. Doch eigentlich sollte es bei Bitcoin ja gar nicht um Vertrauen gehen.