Kommentar:Kurs halten

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Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass nach der Pandemie noch genug Betriebe und Jobs übrig sind.

Von Alexander Hagelüken

Es ließ sich alles so gut an. Schon seit Mai erholte sich die deutsche Wirtschaft vom Corona-Schock. Schon seit Sommer sank dank kluger Staatshilfen die Zahl der Jobsuchenden wieder, was jeden erstaunt, der die Massenarbeitslosigkeit in anderen Ländern sieht. Nun aber kehrt die Pandemie auch in Deutschland mit Macht zurück. Die Bundesregierung muss überlegt handeln, damit aus der Krise nicht doch noch eine wirtschaftliche Katastrophe wird.

Zuletzt hatten sich die Ökonomen darin überboten, ihre Prognosen aufzuhübschen. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfe dieses Jahr durch Corona doch nur um etwa 5,5 Prozent, hieß es, weniger als in der Finanzkrise 2009. Die Jahrhundertseuche schien die Volkswirtschaft nicht mehr in einen Abgrund zu stürzen, sondern nur in eine Rezession. Die hochschnellenden Infektionen werfen diese Rechnungen über den Haufen. Sie lassen der Regierung keine andere Wahl, als das öffentliche Leben erneut einzuschränken, um hoffentlich das Leben vieler Bürger zu retten.

Es wird in den nächsten Wochen genau zu beobachten sein, was es gesundheitlich bringt, Restaurants zu schließen, Kinos und Fitnessclubs. Eindeutig wird dies wenig bewirken, falls sich zu viele Bürger dann privat sorglos mit anderen treffen. Verstehen lässt sich der Frust der betroffenen Unter- und Arbeitnehmer, die in den vergangenen Monaten schon so viel erlitten. Aber klar ist auch, dass die Regierung die Infektionen nicht einfach weiter steigen lassen kann. Nur wer konsequent die Pandemie bekämpft, bekämpft konsequent die Wirtschaftskrise. Monatelang zunehmende Infektionen mit allen Unsicherheiten wären für die Gesamtwirtschaft desaströs. Dann lieber gezielt einzelne Sektoren mit vielen Sozialkontakten dichtmachen - vorübergehend.

Zumal die Politik gezielt Sektoren dichtmacht, um die übrige Wirtschaft nicht so abzuwürgen wie im Frühjahr. Fabriken und Geschäfte bleiben auf. Weil auch Schulen und Kitas aufbleiben, können Eltern arbeiten statt sich zu zerreißen. Das wirkt durchdacht. Der Ökonom Sebastian Dullien rechnet vor, dass rund zwei Drittel des wirtschaftlichen Rekord-Einbruchs im ersten Halbjahr aus der Industrie resultierten - die diesmal kaum betroffen sein wird. Das nun geschlossene Gastgewerbe dagegen macht weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Viele der dortigen Arbeitsplätze sind Nebenjobs, auch weil zahlreiche Betriebe zu schlecht zahlen, um Vollzeit-Beschäftigte zu gewinnen.

Das bedeutet um Gottes Willen nicht, dass die Politik Restaurants, Kultur- und Sportstätten ihrem Schicksal überlassen darf. Erstens können diese Branchen nichts dafür, dass eine in China ausgebrochene, von der dortigen Diktatur zunächst fahrlässig verschwiegene Pandemie bei uns Leben bedroht. Und zweitens würde Deutschland grauer und trister, wenn massenhaft Kinos, Kneipen und Konzerthallen verschwinden. Aber die Regierung überlässt die Branchen ja auch nicht ihrem Schicksal, sondern will großzügig bis zu drei Viertel des Umsatzes ersetzen.

Man kann sich fragen, warum bei diesem Plan noch viele Details offen sind, die Infektionszahlen steigen ja seit Wochen. Man muss darauf drängen, dass das Geld ohne langwierige Prüfungen schnell fließt. Man kann auch beklagen, dass Selbständige eine Art Ausfall-Lohn erhalten, obwohl sie anders als Beschäftigte nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Doch es hat sich eben eine unvorhergesehene Pandemie ereignet, die unkonventionelle Lösungen erfordert. Handeln first, Bedenken second. Es wäre falsch, Musiker, Beleuchter und Kosmetikerinnen wie bisher auf Hartz IV zu verweisen, wenn man ihnen nun für vier Wochen quasi Berufsverbot erteilt.

Seit John Maynard Keynes gilt, dass der Staat in einer Krise viel Geld ausgeben muss, um Schlimmeres zu verhindern

Seit der furchtbaren Depression der 1930er Jahre gilt John Maynard Keynes' Lehre, dass der Staat in einer Krise viel Geld ausgeben muss, um Schlimmeres zu verhindern. Die Bundesregierung wird in den nächsten Monaten vielleicht noch ein paar Mal viel Geld ausgeben müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Falls zu viele Bürger aus Angst sparen, bedarf es Konsumschecks. Falls die Exporte erneut abstürzen, sollten Exportfirmen aktuelle Verluste steuerlich stärker mit alten Gewinnen gegenrechnen dürfen.

Die Regierung hat Deutschland bisher gut durch die Corona-Krise gesteuert, wie der Vergleich mit anderen Ländern zeigt. Dies sollte man nicht durch Zweifeln an Details aufs Spiel setzen. Ja, nach der Pandemie darf die Regierung nicht jeden Betrieb retten, der schreit. Aber jetzt muss sie erstmal dafür sorgen, dass nach der Pandemie noch genug Betriebe und Jobs übrig sind.

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